Der Afghane Nawin Kumar, 21, vertritt Hamburg als Edelsteinfasser beim Leistungswettbewerb des Handwerks. Traumberuf gefunden.

Hamburg. Je kleiner der Stein, desto größer die Herausforderung. Für seine Arbeit braucht Nawin Kumar eine ruhige Hand, scharfe Augen und viel Geduld. Er starrt durch ein Mikroskop auf einen Goldring, auf dem sich die Auftraggeberin eine Reihe winziger Edelsteine wünscht. Eine Neonleuchtröhre verströmt grelles Licht, auf der Werkbank warten Feilen, Schmirgel, Bohrer und Bürsten auf ihren Einsatz. Nawin Kumar, 21, ist einer der wenigen Edelsteinfasser, die im norddeutschen Raum arbeiten - und vermutlich auch der beste. Zumindest ist er der erste Hamburger, der jemals von der Handwerkskammer als Landessieger der Edelsteinfasser ausgezeichnet wurde. Die Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Punktzahl bei der Gesellenprüfung, die Kumar erreichte.

Insgesamt erhielten gestern im Großen Saal der Handwerkskammer 14 Frauen und 34 Männer einen Preis als erste Landessieger im Leistungswettbewerb des Deutschen Handwerks. Jeder in seiner Disziplin, also in verbreiteten Handwerken wie Bäcker, Augenoptiker, Betonbauer, aber auch als Schornsteinfeger, Maßschneider und Bootsbauer. Mit 48 Landessiegern von insgesamt 1750 Gesellenprüflingen haben in diesem Jahr so viele Teilnehmer wie zuletzt im Jahr 2000 die nötige Punktzahl erreicht. "Ich bin sehr stolz auf die jungen Männer und Frauen", sagte Handwerkskammer-Präsident Josef Katzer. "Der erste Schritt ist getan, um eine vielversprechende Karriere im Handwerk beginnen zu können."

Für Nawin Kumar lag der erste Schritt zu seinem Traumberuf um den Hals seiner Mutter. Noch als die Familie im afghanischen Kabul lebte, bewunderte er als jüngster von vier Brüdern den filigranen Goldschmuck seiner Mutter. "Ich habe schon damals ihre Ketten repariert", erzählt Kumar, ein schlaksiger Typ mit großen dunklen Augen, lässigen Jeans, Turnschuhen und perfektem Deutsch. Als er sechs Jahre alt war, flohen seine Eltern mit den vier Söhnen vor dem Krieg in Afghanistan nach Deutschland, erst an den Bodensee, später zogen sie nach Hamburg. Die drei großen Brüder arbeiten heute in klassischen Berufen, als Versicherungskaufleute und Gießer.

Nawin Kumar zog es hingegen in einen künstlerisch-handwerklichen Beruf, in dem es in ganz Deutschland nur noch wenige Hundert Beschäftigte gibt. "Der Edelsteinfasser ist so selten, weil nur noch etwa 20 Trauringmanufakturen in ganz Deutschland existieren", sagt Nils Friese, Inhaber der Manufaktur HCF Merkle in Lokstedt und damit Kumars Arbeitgeber. "Der meiste Schmuck, der hierzulande verkauft wird, wird in Indien oder Thailand gefertigt." Nicht nur die Asiaten, sondern auch die Automatisierung macht den in Deutschland verbliebenen Edelsteinfassern Konkurrenz. Bei HCF Merkle stehen zwei große graue Maschinen, die schneller und exakter Edelsteine in Schmuck setzen können als es ein Mensch vermag. "Die Maschinen haben aber kein Gefühl", sagt Firmenchef Friese. "Viele Kunden bestehen auf Handarbeit, ein Trauring soll schließlich ein Begleiter fürs Leben sein."

Also setzt sich Nawin Kumar jeden Morgen ab sieben Uhr an sein Mikroskop, schleift in der kleinen Werkstatt mit abgedunkelten Fenstern sein Werkzeug, setzt Turmaline, Rauchquarze und Amethyste in Schmuckstücke aus Gold, Platin, Silber oder Palladium. Mancher Stein ist nach fünf Minuten eingesetzt, bei außergewöhnlichen Formen kann es eine Stunde dauern. Eine Arbeit, die nicht nur anspruchsvoll für Augen und Feinmotorik ist, sondern auch Vertrauenssache: Der teuerste Stein, den jemals einer der drei Fasser in der Manufaktur HCF Merkle verarbeitet hat, war 600 000 Euro wert. "Solche Werte muss man schon in gute Hände legen", sagt Friese. Etwa 150 Ringe verlassen täglich die Manufaktur auf dem Weg zu ihren knapp 1000 Kunden in Deutschland, meist kleinere Juweliere und Goldschmiede.

Kumar hat nun sogar die Chance, seine Fingerfertigkeit mit einem Meisterbrief weiter zu verfeinern - als Landessieger erhält er ein Stipendium für eine Weiterbildung. Vorher wird er aber Hamburg am 4. Dezember als Edelsteinfasser beim Bundeswettbewerb des Deutschen Handwerks in Bayreuth vertreten. Mit seinem Gesellenstück, einer Silberbrosche mit grünen und weißen Zirkonia-Steinen, in die er 16 Stunden Handarbeit gesteckt hat.