Irlands Schulden sind eine Gefahr für den Euro. Wie ernst ist die Krise? Das Abendblatt hat Wissenschaftler befragt

Hamburg. Mit einem Paukenschlag hat ein kleines Land am westlichen Rand Europas die Schuldenkrise, die über den Sommer in den Hintergrund gerückt war, schmerzlich ins Bewusstsein zurückgerufen. Um sein ins Taumeln geratenes Bankensystem zu retten, muss Irland die Neuverschuldung auf den EU-Rekord von 32 Prozent der Wirtschaftsleistung hochfahren. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu den Problemen in Irland und zur Zukunft des Euro.

Kommt nach der Griechenland-Krise nun die Irland-Krise?

"Irland kann zu einem neuen Krisenfall innerhalb des Europäischen Währungssystems werden", sagt Rudolf Hickel, Direktor des Bremer Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW), dem Abendblatt. Auch der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg von der Universität Hannover hält es für "durchaus möglich, dass auf die Griechenland-Krise nun eine Irland-Krise folgt".

Worin unterscheiden sich die Schuldenprobleme von Griechenland und Irland?

Anders als Griechenland galt der Inselstaat lange Zeit als Musterknabe. "Irland hat eine traumhafte Erfolgsgeschichte hinter sich, vergleichbar mit dem deutschen 'Wirtschaftswunder' der Nachkriegszeit", erklärt Homburg. So lag die Gesamtverschuldung Irlands Ende 2009 erst bei 64 Prozent der Wirtschaftsleistung, als es in Griechenland schon 115 Prozent waren. Und während das Balkanland schon länger durch äußerst großzügige Staatsausgaben auffiel, liegen die Gründe für Irlands Schulden woanders. "Verschiedene irische Banken haben sich übernommen - und in Irland hat diese Branche eine viel größere Bedeutung als zum Beispiel in Deutschland", so Homburg.

Irland habe sich aber auch mit einer besonders laxen Regulierung des Finanzsystems profiliert: "Darum sind so viele Banken dort hingegangen und haben ein zu großes Rad gedreht."

Muss auch Irland unter den Euro-Rettungsschirm?

Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht nicht davon aus, dass Irland den im Mai bereitgestellten Rettungsschirm im Volumen von insgesamt 750 Milliarden Euro in Anspruch nehmen muss. "Das erwarten wir nicht", sagte IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn dem "Handelsblatt".

Finanzexperte Homburg ist weniger zuversichtlich: "Es kann sehr gut sein, dass auch Irland auf die Hilfe des Euro-Rettungsfonds angewiesen sein wird." Hickel fordert eine derartige Unterstützung sogar: "Ich halte es für falsch, dass EU-Währungskommissar Olli Rehn den Einsatz des Fonds ablehnt, denn die Probleme sind nicht von Irland allein zu bewältigen." Sollte die dortige Regierung zu extrem harten Sparmaßnahmen gezwungen sein, werde die irische Wirtschaft vollends in die Knie gezwungen.

Hickel hält den Rettungsschirm für Irland aber auch noch aus einem anderen Grund für notwendig: "Die Finanzmärkte spekulieren jetzt auf den Absturz des Landes. Es kommt jetzt darauf an, Irland vom Finanzmarkt abzukoppeln, so wie man das mit Griechenland getan und damit die Angriffe der Spekulanten abgewehrt hat."

Werden auch Spanien und Portugal zum Problem für die Euro-Zone?

Wegen schlechter Wachstumsaussichten haben die Ratingagenturen zuletzt Spanien die Bestnote "AAA" für die Kreditwürdigkeit entzogen. "Wenn eine Ratingagentur ein Land herabstuft, ist das immer ein besorgniserregendes Signal", sagt Homburg. Das Hauptproblem Spaniens sei die hohe Arbeitslosigkeit. "Offenbar gibt es aber große Widerstände in der Bevölkerung gegen Reformen." Zunehmend beunruhigt sind die Finanzmärkte auch über Portugal, dessen Risikoaufschläge für Staatsanleihen weiter steigen. Nach Einschätzung von Hickel haben die beiden iberischen Länder aber letztlich gute Chancen, ihre Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Dagegen sieht Homburg für Griechenland schwarz: "Ich weiß nicht, wie dieses Land seine Schulden jemals zurückzahlen will."

Was kann dem Euro auf längere Sicht wegen der Schuldenkrise drohen?

Durch die extreme Niedrigzinspolitik der Notenbanken würden etliche Probleme derzeit einfach überdeckt, weil sich Banken - und auch Staaten - sehr günstig refinanzieren können, erklärt Homburg. Doch irgendwann müssten die Karten auf den Tisch gelegt werden. "Auf Sicht von fünf Jahren bin ich ziemlich pessimistisch gestimmt", so der Professor: "Wenn als Folge der Niedrigzinspolitik früher oder später die Inflation deutlich anzieht, flammen die Schuldenprobleme wieder auf. Ich sehe die Gefahr, dass man in Europa - wie Deutschland im Jahr 1948 - einen Währungsschnitt machen muss." Die Alternative wäre, sich von den Schulden durch Inflation zu befreien. Beides aber würde die Sparer hart treffen.

Warum ist der Euro trotz der Schuldenprobleme derzeit so stark?

Am Freitag ist der Euro weiter auf mehr als 1,37 Dollar gestiegen. Homburgs Erklärung für die erstaunliche Stärke der Gemeinschaftswährung: "In den USA wie auch in Japan sieht es genauso dunkel aus wie in Europa." Der Dollar sei "keine vertrauenswürdige Währung mehr", denn die Schuldenstandsquote der USA bewege sich rasant auf die Marke von 100 Prozent zu - "und man weiß, dass es dann eng wird".