Greenpeace sieht den Konzern vor einem energiepolitischen Scherbenhaufen. 2011 soll das Kernkraftwerk Krümmel wieder ans Netz gehen.

Hamburg. Es wirkt wie ein Befreiungsschlag: Der in vielerlei Hinsicht in die Defensive geratene Energiekonzern Vattenfall will die Geschäfte in mehreren seiner europäischen Auslandsmärkte wie Dänemark und Polen zurückfahren und sich dort von Kohlekraftwerken trennen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten soll künftig im Heimatmarkt Schweden sowie in Deutschland und in den Niederlanden liegen.

Weniger klimaschädliche Stromerzeugung, weniger Investitionen, weniger Kosten und weniger Personal - so ließe sich der neue Kurs zusammenfassen. Doch der Vorstandsvorsitzende Øystein Løseth drückte es anders aus: "Unser Ziel ist, die Ertragskraft zu stärken und die Wertschöpfung zu steigern und das Unternehmen auf künftiges Wachstum vorzubereiten."

Dazu müsse man die "operative Effizienz" erhöhen und Schulden abbauen. Vattenfall wolle außerdem seine CO2-Bilanz verbessern, die nach eigenem Eingeständnis schlechter als im Branchenschnitt ausfällt, und zu einem der führenden Unternehmen "für umweltgerechte nachhaltige Energieerzeugung" werden, ergänzte der Aufsichtsratsvorsitzende Lars Westerberg. Bis zum Jahr 2020 soll der CO2-Ausstoß von 90 Millionen Tonnen auf rund 65 Millionen Tonnen sinken, wachsen will Vattenfall künftig vor allem in den Bereichen Atom- und Windenergie, Biomasse und Gas.

Das Kernkraftwerk Krümmel soll zum Jahreswechsel wieder ans Netz gehen

Dennoch will Løseth am Bau des Kohlekraftwerks Moorburg in Hamburg festhalten, und auch einen Ausstieg aus dem umstrittenen Braunkohleabbau in der Lausitz soll es nicht geben. Gerüchte über einen bevorstehenden Verkauf der norddeutschen Kernreaktoren Krümmel und Brunsbüttel seien falsch, sagte der Vattenfall-Chef: "Wir wollen, dass sie möglichst schnell wieder ans Netz gehen."

Die Anlage in Krümmel soll um den Jahreswechsel 2010/2011 wieder hochgefahren werden, in Brunsbüttel soll es im zweiten Halbjahr 2011 so weit sein. Die beiden Kernkraftwerke stehen schon seit 2007 nahezu permanent still, was zur schlechten Ertragslage des Konzerns wesentlich beitrug und allein im zweiten Quartal dieses Jahres 100 Millionen Euro kostete.

Der neue Kurs von Vattenfall bedeutet eine radikale Abkehr von der Strategie des vorherigen Konzernchefs Lars Josefsson mit zahlreichen Zukäufen in Europa - womit er allerdings auch die Verschuldung des schwedischen Staatsunternehmens hochgetrieben hatte. "Vattenfall steht vor einem energiepolitischen Scherbenhaufen", sagte Karsten Smid, Energieexperte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, dem Abendblatt. "Der Kurswechsel zeigt, dass sich der Konzern von dem kompromisslos betriebenen klimaschädlichen Wachstumskurs verabschieden muss."

Neue Position für den bisherigen Deutschland-Chef Tuomo Hatakka

Entgegen den Aussagen von Løseth werde aber auch der Ausstieg aus den ostdeutschen Braunkohlekraftwerken unvermeidlich sein, um das CO2-Reduktionsziel erreichen zu können. "Mit dem Verkauf einzelner Anlagen in Polen oder Dänemark wird man das nicht schaffen", so Smid. Er erwartet daher einen schrittweisen Abschied aus der Kohleverstromung.

Um die Profitabilität von Vattenfall zu verbessern, sollen die Kosten bis 2014 um umgerechnet rund 648 Millionen Euro sinken, und die Investitionen werden um vier Milliarden Euro auf 18 Milliarden Euro gekürzt. Unklar ist, ob die neue Strategie auch in Deutschland weiteren Personalabbau zur Folge hat. "Es werden nur einzelne Puzzlesteine aufgedeckt, ein klares Bild haben wir noch nicht", sagte Ina Morgenroth, Gewerkschaftssekretärin bei der IG Metall in Hamburg. Im März hatte Vattenfall den Abbau von 1500 Stellen in Deutschland ohne betriebsbedingte Kündigungen angekündigt. Umgesetzt sei er bislang nicht, sagte Morgenroth.

Verändert wird aber die Unternehmensstruktur: Künftig bündelt der Staatskonzern sein Geschäft in fünf zentralen Sparten und verabschiedet sich damit von der bisherigen regionalen Aufstellung. Der Chef der von Berlin aus gesteuerten Tochter Vattenfall Europe, Tuomo Hatakka, ist mit Wirkung vom 1. Januar 2011 für den Bereich Erzeugung in ganz Europa zuständig.