Beim weltgrößten Branchentreff der Windenergie prallen Gegensätze aufeinander. Die Kleinstadt kämpft mit der Invasion.

Husum. So ändern sich die Zeiten. Vor dem Eingang zur Husumer Messe breitet eine kleine Gruppe von Demonstranten ihre Transparente aus und ringt um Aufmerksamkeit. "Gegenwind" und "Windwahn" steht auf den Bannern oder "Ihr rettet nicht unser Land, Ihr zerstört es!" Die Slogans markieren das Feindbild. Es ist die Windkraftindustrie, die sich soeben in Rufweite der Protestler zu ihrer weltweit wichtigsten Messe versammelt. Es sind Industrie- und Finanzmanager in dunklen Anzügen und Geschäftsfrauen in schicken Businesskostümen, die mit schweren Limousinen vorfahren oder im Ferrari. Da wird es schwer, die Botschaft der Abstinenz zu vermitteln.

"Wir wollen nicht, dass Deutschland von Windkraftanlagen plattgemacht wird", sagt Petra Tiemann, die zweite Vorsitzende des Landesverbandes Schleswig-Holstein von "Gegenwind". Dann zählen sie und ihre Mitstreiter die Argumente gegen die Nutzung der Windkraft auf, eine Liste von Klagen, fast so lang wie die bei einer Demonstration gegen die Atomkraft. Von käuflichen Bürgermeistern und Landräten ist die Rede, von Bodenverdichtungen durch Windkraftfundamente, von Infraschallattacken aus den Rotoren und überhaupt von der Verschandelung ganzer Landstriche durch Wälder von Windturbinen. "Unsere Gemeinde Oldenborstel", sagt Tiemann, "ist von 70 Windkraftanlagen umzingelt."

Die installierte Leistung wächst jedes Jahr im zweistelligen Prozentbereich

In der Tat, die Zeiten haben sich geändert. 1989 mussten die Unterstützer und Betreiber von Windkraftanlagen selbst um eine Bühne kämpfen. Damals unternahm die Branche - oder besser: ein Verbund von politisch motivierten Idealisten - in der Mehrzweck- und Viehauktionshalle von Husum mit 90 Ausstellern ihre erste Messe. In diesem Jahr sind mehr als 900 Unternehmen aus 30 Ländern vor Ort. Die Demonstranten wirken da nur wie Zaungäste.

Die Branche hat alle Widrigkeiten der Wirtschaftskrise problemlos überstanden, mit Ausnahme vielleicht der einen oder anderen Kreditklemme. Die Industrie wächst jährlich mit zweistelligen Prozentzahlen, gemessen an der neu installierten Leistung. Mit keiner anderen Technologie wurden in Europa laut einer neuen Studie der HSH Nordbank 2009 so viele Millionen Watt zusätzlich ans Netz gebracht wie mit Windturbinen. Etliche Länder haben das deutsche Fördersystem kopiert. In China boomt die Windkraft ebenso wie in den USA und in Europa. Und nach der Eroberung der Küstenregionen drängt die Branche vielerorts mit Offshore-Großprojekten hinaus aufs Meer. Die Windkraft ist ein Milliardengeschäft geworden.

Die Kreisstadt Husum nennt sich mit ihrer Messe stolz die "Welthauptstadt der Windkraft". Der Standort verkörpert die Widersprüche der Wachstumsbranche perfekt. Einst stand die Technologie für Dezentralität und Beschaulichkeit, mittlerweile überrollt sie sich mit ihren Superlativen selbst. Wer mit dem Auto anreist, muss sich durch ein Flickwerk von Autobahn und Landstraße in die schleswig-holsteinische Küstenprovinz fädeln, an einen Ort, der für diese Großveranstaltung denkbar ungeeignet erscheint. Doch das Landschaftsbild wirkt wie eine Werbekulisse für die Branche. Zu Hunderten drehen sich die Rotoren in riesigen Windparks, je näher man der Küste kommt. 40 Prozent seines Strombedarfs bezieht Schleswig-Holstein aus Windturbinen, mehr als jedes andere Bundesland und mehr als wohl die meisten Regionen der Welt. Für die einen ist es das Sinnbild der neuen Energiewelt, für die anderen das Fanal eines technischen Irrwegs - und für die Wirtschaft in diesen Jahren eines der gewinnträchtigsten Wachstumsfelder überhaupt.

Die Ausstellungsfläche wurde in diesem Jahr um 40 Prozent erweitert

Vor dem Eingang zur Messe stehen Strandkörbe, die Servicekräfte tragen Fischerhemden für das Lokalkolorit. An die Mehrzweckhalle sind neben durchgeregneten Wiesen und Äckern mehrere Messezelte angebaut. Um 40 Prozent auf 43 000 Quadratmeter musste die Ausstellungsfläche dieses Jahr erweitert werden. Innen läuft eine Show modernster Technologie und großer Namen. General Electric, Siemens, Liebherr, Schaeffler, Shell und EnBW sind vor Ort. Und natürlich auch jene Unternehmen, die die Windkraft in Deutschland groß gemacht haben wie Enercon, Nordex oder Repower. Hightech-Getriebe werden neben satellitengestützten Peilsystemen für die beste Positionierung der Windturbinen präsentiert, Spezialschmiermittel neben modernsten Umspannsystemen für das Netzmanagement. Von einer konventionellen Messe irgendwo in einer der Metropolen der Welt ist die Veranstaltung hinterm Deich von Nordfriesland nicht mehr zu unterscheiden.

Mehr als 40 000 Besucher kommen in die 22 000-Einwohner-Stadt

"Das ist heutzutage eine reine Industriemesse", sagt Hanno Fecke, der Geschäftsführer der Messe Husum. "Wir stehen natürlich in starker Konkurrenz zu anderen Messestandorten, aber die vermarkten in erster Linie Quadratmeter nackten Betons, bei uns geht es auch um eine Identität. Hier hat die deutsche Windkraftbranche ihre Wurzeln, und das zieht die Branche nach wie vor an." Den ersten Marathon des Tages hat Fecke absolviert, die Eröffnung mit Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU), den Messerundgang mit Vertretern von Verbänden und Unternehmen. Bis zum Ende der Woche wird das so weitergehen.

Eine Invasion von gut 40 000 Besuchern kommt alle zwei Jahre über Husum, die Kleinstadt mit 22 000 Einwohnern. Deren touristische Herausforderung sind ansonsten die jährlichen Krabbentage, die Fans des Heimatdichters Theodor Storm oder auch mal Modellbaufans auf der Fachmesse "Traktorado", einer Ausstellung für Modelltraktoren. Die 9000 Betten in Hotels, Pensionen und Ferienwohnungen rund um Husum sind voll belegt. Mit Busshuttles, aber auch mit Hubschraubern oder Kleinflugzeugen wird der Radius für die Gäste nach Flensburg, Neumünster oder auch nach Sylt erweitert.

Einige Jahre lang versuchten Hannover und Hamburg, Husum den Status als Leitmesse der Windbranche streitig zu machen. Doch die Stadt am Watt setzte sich durch. "Wir gelten noch immer als ,Woodstock der Windkraft'", sagt Messegeschäftsführer Fecke. Das legendäre Konzert der Hippies in den USA blieb eine einmalige Veranstaltung. Die Messe Husum Wind Energy hingegen entwickelte sich vom Treffpunkt grüner Energiebewegter zum Mittelpunkt einer modernen Großindustrie. Um das Wachstum der kommenden Jahre macht sich Fecke keine Sorgen: "Dann bauen wir einfach noch ein paar große Zelte an."