Bernard Meyer, Chef des größten deutschen Schiffbauunternehmens, über Domino-Effekte und Überkapazitäten in der Branche.

Hamburg. Der deutsche Schiffbau steckt in einer schweren Krise. Gleichwohl ist die Schiffbau-Messe SMM, die heute Abend in Hamburg eröffnet wird, das weltweit wichtigste Forum für die Werftbranche. Das Abendblatt sprach mit Bernard Meyer, Inhaber und Chef des größten deutschen Schiffbauunternehmens Meyer Werft in Papenburg, über die Perspektiven seiner Industrie.

Hamburger Abendblatt:

Herr Meyer, Sie haben im vergangenen Monat einen neuen Auftrag für einen Kreuzfahrer von der Reederei Aida Cruises erhalten. Haben die Sektkorken geknallt?

Bernard Meyer:

Der Auftrag ist ein positives Signal für uns und die Branche. Aber zum feiern ist den meisten deutschen Schiffbauern nicht zumute.

Die Schifffahrtskrise geht zu Ende. Ist das kein Grund für Optimismus?

Meyer:

Die Auftragslage ist etwas besser als 2009. Aber wir rechnen für die Zukunft mit einem weltweiten Neubaubedarf, der auf dem Niveau von 2004 liegt. Das bedeutet, dass künftig weltweit 50 Prozent mehr Werftkapazitäten bereitstehen als gebraucht werden. Das ist eine Folge des Ausbaus vor allem in Korea und China, unter dem der deutsche Schiffbau bereits leidet. Um die deutschen Werften auszulasten, sind allein für Handelsschiffe jährlich Aufträge von drei Milliarden Euro nötig. Eingegangen sind bis heute knapp 800 Millionen Euro und da ist unser Schiff für rund 340 Millionen Euro schon mit drin.

Sieht es bei Kreuzfahrern besser aus?

Meyer:

Nicht wirklich. In diesem Jahr gab es international bisher vier Aufträge, vielleicht kommen wir noch auf sechs. Bauplätze wären aber für 19 Schiffe pro Jahr vorhanden. Schließlich wollen Japaner und Koreaner zusätzlich Passagierschiffe anbieten.

Entpuppt sich nicht China als der schärfste Konkurrent?

Meyer:

Ohne Zweifel. Die Chinesen bauen trotz Krise ihren Schiffbau aus und wurden jetzt von den Europäern auch noch unfreiwillig gestärkt.

Inwiefern?

Meyer:

Die teils von deutschen Banken finanzierten Anzahlungen für die von europäischen Reedern abbestellten Schiffe blieben bei den Werften. Sie haben die Schiffe fertig gebaut und dann günstig an eigene Reedereien und chinesische Fonds weitergegeben. Die Chinesen bauen somit immer mehr für inländische Auftraggeber. Für mich wirft das die Frage auf, ob sie es zulassen werden, dass ihnen Erze, Öl oder Container auch dann noch von europäischen Reedereien gebracht werden, wenn ihre eigene Flotte erst einmal groß genug ist.

Wie geht die Entwicklung weiter?

Meyer:

Es gibt einen Domino-Effekt. Die Chinesen jagen die Koreaner und Japaner bei Tankern und Massengutfrachtern vom Markt. Die Koreaner wollen nach den Containerfrachtern auch Kreuzfahrer, Fähren und Offshore-Schiffe bauen. Die Kassen sind durch Subventionen und verlorene Anzahlungen gut gefüllt. Was noch für die deutschen Werften bleibt, ist offen.

Die deutschen Zulieferer sind aber gut mit Asien im Geschäft. Droht ihnen auf Dauer auch Böses?

Meyer:

Die Chinesen holen Zulieferfirmen ins Land und saugen das Know-how ab. Das geht immer schneller. Gedacht wird in Zehn-Jahres-Zeiträumen. Ziel ist es, nicht mehr auf die europäischen Zulieferungen angewiesen zu sein. Schon jetzt gilt: Wenn die chinesischen Werften pro Jahr um zehn Prozent produktiver werden, entspricht dieser Zuwachs der Produktion der Größe des gesamten europäischen Schiffbaus. Rein rechnerisch reichen allein die Schiffbau-Kapazitäten in China heute weltweit aus.

Nun könnte man einräumen, der Schiffbau mit noch knapp 20 000 Beschäftigten sei für Deutschland keine strategisch wichtige Branche mehr.

Meyer:

Das sehen wir Schiffbauer natürlich anders. Und wir können das auch belegen. Wenn die Meyer Werft zum Beispiel eine "Aida" baut, werden die Zulieferungen zu 100 Prozent in Europa und davon zu 80 Prozent in Deutschland gekauft. Aufträge gehen auch an Firmen, die gar keine typischen Schiffszulieferer sind. Dazu gehören Möbel- oder Küchenhersteller oder Spezialisten, die Zubehör für Theater liefern. 24 000 Menschen sind am Bau unserer Schiffe beteiligt, davon 6000 aus der Region, darunter unsere 2500 Beschäftigten. Ist das Schiff fertig, sind allein 120 Millionen Euro in die Steuer- und Sozialkassen geflossen. Wenn die deutschen Reeder uns vorwerfen, dass wir zu teuer sind, sollten sie berücksichtigen, dass sie diese Sozialkosten, zumindest zum Teil, gar nicht bezahlen müssen.

Wird künftig auch die Schiffsfinanzierung in Richtung Asien abwandern?

Meyer:

Den deutschen Banken geht es derzeit vor allem darum, Altgeschäfte abzuwickeln. Kaum eine ist bereit, einen neuen Kredit zu vergeben, der nicht durch Bürgschaften gedeckt ist. Wären jetzt tatsächlich die in Deutschland benötigten Aufträge über drei Milliarden Euro vorhanden, gäbe es bundesweit dafür keine Finanzierung. Dagegen bieten asiatische Banken und Fonds deutschen Reedern Finanzierungen an. Natürlich müssen diese Schiffe dann in Asien gebaut werden.

Welche Gegenstrategie hat Europa?

Meyer:

Auf der EU-Ebene gibt es derzeit keine. Die Industrie hat zwar entsprechende Vorschläge gemacht, aber die Mitgliedstaaten haben immer noch nicht verstanden, dass man diese Probleme nur gemeinsam lösen kann. Und die Kommission ist sprachlos. Die Asiaten nutzen diese Sprachlosigkeit, um auch noch die letzen Bastionen wie den Passagierschiffbau zu stürmen.

Tut der Bund genug?

Meyer:

Es gibt schon Flexibilität bei den Ausfuhrbürgschaften und auch bei den Förderungen für Innovationen, Forschung und Entwicklung. Dazu bemüht sich auch der Maritime Koordinator der Bundesregierung, Hans-Joachim Otto, um Lösungen bei Problemfällen. Der Bund macht alles was möglich ist im Rahmen der Regeln.

Wäre es nicht vielmehr nötig, Aufträge des Staates vorzuziehen?

Meyer:

Tatsächlich könnte der Bau von Forschungs- oder auch Marineschiffen helfen. Aber da sind natürlich auch die Haushaltsprobleme des Bundes. Gut wäre es, wenn etwa über ein EU-Programm die teilweise sehr alten Fähren vor allem im Mittelmeer erneuert werden könnten. Das wäre nicht nur ökonomisch sondern auch ökologisch sinnvoll.

Wie stellt sich die Meyer Werft für den Wettbewerb auf?

Meyer:

Indem wir ständig an unserer Produktivität arbeiten. Seit einem Jahr haben wir durch ein neues Programm Verbesserungen um 20 bis 30 Prozent erreicht. Jeder in der Belegschaft weiß, worum es geht. Wir bilden die Mitarbeiter ständig weiter und versuchen, mit der gleichen Mannschaft immer mehr Schiffe zu bauen. Zudem profitieren wir von drei Gegebenheiten auf dem Kreuzfahrtmarkt: Unsere Kunden sind bei der Finanzierung nicht auf das Eigenkapital von Anlegern angewiesen, die Nachfrage nach den Reisen wächst kontinuierlich mit jährlich fünf bis sechs Prozent. Und es wurde in der Kreuzfahrtbranche nicht spekulativ gebaut wie etwa bei Containerschiffen und Massengutfrachtern.

Der Auftrag für die neue "Aida" betrifft ein Serienschiff, es ist das siebte für den Kunden. Mussten da beim Preis Abstriche hingenommen werden?

Meyer:

Es wurde hart verhandelt. Aber wir profitieren auch vom Serieneffekt. Bis zum Jahresende hoffen wir auf einen Auftrag für einen ganz neuen Typ.

Der deutsche Schiffbau hat also doch noch Zukunft?

Meyer:

Die Meyer Werft ist nicht die einzige, die sich auf einen Spezialschifftyp konzentriert. Es gibt noch weitere gute Beispiele, wie etwa die Bremer Lürssen Werft, Abeking & Rasmussen, Marktführer bei Megayachten oder die Flensburger Schiffbau Gesellschaft für Roll-on/Roll-off-Fähren.

Ihr Fazit für die Meyer Werft?

Meyer:

Die Jobs sind derzeit sicher. Wir bilden überproportional aus, immerhin elf Prozent der 2500 Mitarbeiter in Papenburg sind Auszubildende. Auch einen Fachkräftemangel spüren wir noch nicht. Die Faszination des Schiffbaus lässt also nicht nach. In einem Satz: Wir geben nicht auf.