Das italienische Haus Gucci startet heute in die nächste Dimension des Online-Shoppings. Besucher sollen sich fühlen, als seien sie tatsächlich in den Geschäften von New York, London oder Mailand

Das Jahr 1921: Die Männer tragen halswürgende Hemden, die Frauen so viel Stoff wie möglich. Prüde, gediegen, schwarz-weiß im wahrsten Sinne wirken die Menschen auf den Fotos dieser Zeit. Und doch - es ist das Jahr, in dem die erotischste Marke der Welt geboren wird: Gucci.

Natürlich dachte der Florentiner Guccio Gucci nicht an Sex, als er in der Via Vigna Nuova sein erstes Lederwarengeschäft eröffnete. Er ahnte nicht, dass seine verschlungenen Initialen für Glamour und Gentleman stehen, dass Gucci zum Dresscode von Stars, Königen und Lebenskünstlern werden würde. Dass das Mundstück der Pferdetrense einmal eine stilistische Verbindung schlagen würde zwischen Fred Astaire und Lindsay Lohan.

Gucci erfand, lange bevor es das Wort gab, eine Corporate Identity für sein Unternehmen. Und die lautete: Eleganz und Präsenz. Die Angestellten trugen Smoking - wie es später keiner schöner tat als Tom Ford -, und der Chef verpflichtete auch seine Söhne Aldo, Vasco, Rudolfo und Ugo im Verkauf. Die älteste und einzige Tochter Grimalda hingegen war im Unternehmen unerwünscht. Männersache.

Heute regiert eine Frau: Frida Giannini. Die Chefdesignerin. Die Familie ist raus, die Marke gehört zum französischen PPR-Konzern.

Gucci heute ist hauteng, figurbetont, sexy im Sinne von sinnlich, ohne dabei aggressiv zu sein, aber idealtypischerweise sollte die Trägerin (es gibt auch alles für Männer, aber wir wollen schon wegen Grimalda an dieser Stelle einseitig bleiben) gern überschulterlange Haare, ebenso lange Beine, schmale Hüften und Power haben - so wie die Chefin selbst. Frida Giannini, die als Accessoire-Designerin das Unternehmen von der Pike auf kennenlernte und dann nach einigen Phantomschmerzen im Nachgang der Ära Tom Ford der Marke als Creative Director seit Mitte dieses Jahrzehnts ihren Stempel aufdrückt. Sie ist charmant, hart und schnell.

Unbeirrbar hat sie umgebaut. Die Flagshipstores verändert, das Testosteron der Ford-90er herausgenommen, durch selbstbewusste, weibliche Modernität ersetzt. Wenn in einer Werbekampagne immer noch Frauen vor einem Mann auf einer Kofferraumhaube posieren, dann sollte man das nicht als Griff in die Mottenkiste interpretieren. Als Mann sollte man sich in Acht nehmen vor den rasiermesserscharfen Frauen. Könnte sein, dass sie aufstehen, sich ans Steuer setzen und abbrausen. Ohne ihn.

Der 46 000 Quadratmeter große Store an der 5th Avenue in New York, vor zwei Jahren eröffnet, gab den neuen Sound vor, gläsern, groß, kantig und dabei warm und ruhig.

Wenn Gucci von heute an zur nächsten Dimension des Shoppens und Markenerlebens bittet, dann braucht der Kunde Schreibtisch oder Sofa nicht zu verlassen, wenn er denn über Computer, Smartphone oder iPad verfügt. Willkommen im Digital Flagshipstore!

Mit der Einführung seiner e-commerce-Seite in den USA 2002 machte sich Gucci zum Pionier, mit inzwischen über 20 000 Bestell-Artikeln zählt gucci.com zu den Großen der Luxusindustrie, die ja lange fürchtete, gerade ihre Luxuriösität durch zu großzügige Netzaktivitäten aufs Spiel zu setzen. Doch die Italiener gingen forsch voran, auch im Social Media Segment, und so hat die offizielle Facebookseite mehr als 900 000 Fans.

Ab heute laden die Italiener in die nächste Dimension. 18 Monate lang wurde renoviert, nun dürfen sich rund 2,5 Millionen Netzshop-Besucher so fühlen, als wären sie womöglich tatsächlich in New York oder Rom oder London. Fast. Geruch geht immer noch nicht. Aber dafür Hologramme und 3-D-Animationen. Und besonders wichtig: die Verknüpfung mit anderen, nach dem Motto: "Share your shopping". Bummeln mit Freunden. Frida Giannini sagt: " Es war mir wichtig, soziale Netzwerke als Kern der neuen Seite zu etablieren, da gerade Einkaufen etwas ist, das man gern mit Freunden genießt." Und wirklich neu ist die Einladung von Seniora Giannini, ihr virtueller Gast auf cucciconnect.com zu sein.

Sie haben immer noch keine Einladung zu den Modeschauen in Mailand? Wenn Sie ein bisschen Glück beim Bewerben haben, können Sie dieses Mal am 22. September sogar ihre Freunde mitnehmen - und alle können es sehen. Von daheim. Die Journalisten, die wie immer noch vor Ort sein werden, weil es ja nicht nur um Gucken und Urteilen geht, sondern auch um die Kontaktpflege, sind jedenfalls gespannt. Wird neben einem vielleicht eine kleine Webcam stehen, die personalisiert auf einen einzigen Computer oder ein iPad irgendwo auf der Welt hin überträgt? Genau um solche "VIP"-Plätze kann man sich ab heute im neuen Store bewerben.

Persönlich statt alle, das Codewort der Luxusindustrie. Jetzt auch im Netz.