Topmanager gelten oft als abgehoben. Doch zum Check ihrer Produkte begeben sie sich auch mal an die Basis und tauchen sogar in Badezimmern auf.

Hamburg. Der Anruf kam gegen Mittag. Sandra Lindner war gerade dabei, das Essen für ihre vierköpfige Familie zu kochen, als sich am Telefon ein freundlicher Herr meldete: "Hier ist der Chef der Deutschen Bahn. Sie hatten mir einen Brief geschrieben." Der Vorsitzenden des Elternbeirats einer Grundschule fiel daraufhin fast der Kochlöffel aus der Hand. "Man hat ja nicht jeden Tag den Chef eines Großkonzerns am Telefon", erzählt sie dem Abendblatt.

Bei Rüdiger Grube, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, sind solche Anrufe allerdings keine Seltenheit. Täglich, so heißt es aus seinem Umfeld, arbeite der Manager die Briefe und E-Mails von Kunden durch und kümmere sich um deren Probleme gern persönlich. Der kumpelhaft auftretende Konzernchef, der im Zug schon mal ein Gespräch mit der Putzfrau anfängt, wolle auf diese Weise nicht die Bodenhaftung verlieren .

Im Fall von Sandra Lindner ging es um die fehlende Böschung an der S-Bahn, die dazu führte, dass viele Kinder nach der Schule im Ort Riemerling auf den Gleisen herumturnten. Grube hörte sich das Problem an, reiste einige Wochen später in den Ort in der Nähe von München und suchte eine Lösung mit dem Bürgermeister. Heute gibt es einen Zaun, der das Betreten der Gleise verhindert. "Ich war sehr beeindruckt, dass sich ein Unternehmenschef für ein solch vermeintlich kleines Problem engagiert", sagt Sandra Lindner. "Das hat mein Bild von der Deutschen Bahn nachhaltig verändert."

Der Topmanager als Kumpel und bester Freund des Endverbrauchers? "Wenn ein Vorstandschef den direkten Kontakt mit den Kunden pflegt, dann hat das einen hohen Stellenwert für das Image des Unternehmens", meint Tiemo Kracht, Geschäftsführer der Managementberatung Kienbaum. "Seine Hauptaufgabe besteht aber darin, die Grundstrategie festzulegen und das Unternehmen für die Zukunft aufzustellen." Es mache daher keinen Sinn, dass sich der Konzernchef allzu sehr ins operative Geschäft einmische und mit Einzelproblemen verzettele.

Ein sympathischer Bahnchef allein löst nicht die Grundprobleme des Konzerns

So wirkt das persönliche Engagement von Bahnchef Grube zwar sympathisch, hat aber weder das Hitzechaos in den ICE-Zügen verhindern können noch die Verspätungsprobleme oder das immer maroder werdende Schienennetz. Hier geht es viel eher darum, die Wartung der Klimaanlagen und das allgemeine Qualitätsmanagement zu verbessern oder gegenüber dem Eigentümer mehr Geld für dringend benötigte Investitionen herauszuholen.

Bei den meisten deutschen Großkonzernen beschränkt sich der Kontakt zwischen Topmanagern und Endverbrauchern daher eher auf publicityträchtige Auftritte oder ein zufälliges Aufeinandertreffen. So geht der Chef der Deutschen Telekom, René Obermann, schon mal mit einer Mitarbeiterin des Direktvertriebs von Tür zu Tür oder erklärt einer Kundin, die ihn zufällig auf dem Flughafen erkennt, die Benutzung ihres iPhones.

Auch der Chef der Deutschen Post, Frank Appel, absolviert ab und an eine Tour mit einem Postboten oder stattet den Filialen des Konzerns einen Besuch ab. In Köln stieß er dabei auf einen Pensionär, der sich darüber beschwerte, man habe ihm seine Postfiliale vor Ort dichtgemacht, und er müsse nun Kilometer laufen, um Geld abzuheben. Appel riet dem Kunden, er könne das doch auch kostenlos in der nächsten Shell-Tankstelle erledigen, die mit der Post zusammenarbeite. Der Mann soll mit der Antwort zufrieden gewesen sein und sich mit "Vielen Dank, Herr Oberpostpräsident" verabschiedet haben.

Generalstabsmäßig durchorganisiert ist der Kontakt zwischen Managern und Konsumenten hingegen beim Hamburger Kosmetikriesen Beiersdorf. Der Konzern entsendet seine Vorstände regelmäßig in die Badezimmer der Verbraucher, damit sich diese ein möglichst ungeschminktes Bild vom Pflegeverhalten der Nivea-Kunden machen können. Vorstandschef Thomas Quaas trifft sich in der Regel auf Auslandsreisen mit Verbrauchern, zuletzt in Vietnam, Japan und Brasilien. "Dabei besuche ich die Konsumenten zu Hause und spreche mit Familien über ihre Tagesabläufe, über ihre Einkaufsgewohnheiten und natürlich über Kosmetik und Körperpflege", sagt Quaas dem Abendblatt. Diese persönlichen Eindrücke ergänzten die Arbeit der Marktforschungsabteilung und "helfen mir so, die richtigen Entscheidungen zu treffen". So lässt sich in Vietnam eine Bodylotion besonders gut verkaufen, wenn sie neben der Pflege noch verspricht, die Haut aufzuhellen. Und in Brasilien verlangen viele Frauen, dass sie sich mit einem Shampoo zweimal pro Tag die Haare waschen können. Einmal vor dem Besuch im Fitnessstudio und einmal danach.

"Warum gibt es keine schwangeren Playmobil-Figuren?"

Besonders anspruchsvolle und energische Kunden hat auch der süddeutsche Spielzeughersteller Playmobil. "Warum gibt es eigentlich keine schwangeren Figuren mit aufklappbarem Bauch und Baby darin?", schrieb vor Kurzem ein Mädchen an Unternehmenschefin Andrea Schauer. "Da musste ich schon schmunzeln", sagt die Geschäftsführerin, die sich viel Zeit für das Lesen der zahlreichen Kinderpost nimmt. Den Vorschlag mit der schwangeren Playmobil-Dame konnte sie zwar nicht umsetzen, weil an der Grundform der Figuren nur wenig gerüttelt wird. Ein anderer, häufig formulierter Kinderwunsch wurde aber gerade aufgegriffen: Erstmals gibt es in diesem Sommer Playmobil-Figuren im Bikini. Und die Spielzeugschule, die im vergangenen Jahr auf den Markt kam, wurde um eine Toilette ergänzt, nachdem die Kundschaft zuvor das Fehlen eines stillen Örtchens im Playmobil-Krankenhaus bemängelt hatte.

"Als mein eigener Sohn noch klein war, war es ganz einfach, an der Kinderwelt dranzubleiben", sagt Chefin Schauer. Um die Haltbarkeit eines neuen Playmo-Krans zu testen, ließ sie den Jungen das Gerät einfach ausprobieren. Der schleppte den Kran in sein Kinderzimmer, hängte kiloschwere Lasten daran und war höchst beeindruckt, dass das Modell nicht umkippte, sondern die Last durch einen Sicherheitsmechanismus zu Boden rauschen ließ.

Heute besucht die Geschäftsführerin zusammen mit ihrem zweieinhalb Jahre alten Neffen den Playmobil-eigenen Freizeitpark oder spioniert der jungen Kundschaft auch mal im Supermarkt hinterher. "Kinder sind eine Zielgruppe, die sich rasend schnell verändert", sagt Schauer. Nur wenn auch sie als Chefin ständig am Ball bleibe, stelle das den Unternehmenserfolg sicher.

Aus Sicht von Experten sind die Chancen für Manager, in den Kopf ihrer Kunden einzudringen, heute besser denn je. "Soziale Netzwerke im Internet oder Blogs bieten Vorstandschefs die Möglichkeit, auf relativ einfache Weise eine Vielzahl von Verbrauchern direkt zu erreichen", sagt Christoph Burmann, Professor am Lehrstuhl für innovatives Markenmanagement (LiM) der Universität Bremen. Besonders gut untersucht hat Burmann die positiven Aspekte einer solchen Form der Kundenbindung beim Tiefkühlkostproduzenten Frosta.

Unternehmenschef Felix Ahlers erzählt im firmeneigenen Blog regelmäßig von seinen Auslandsreisen oder neuen Produktideen. Im Mai berichtete der Chef beispielsweise von seinem Besuch bei einem Chilipulverhersteller in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. In Deutschland wolle er die Qualität des Pulvers prüfen, um es dann hoffentlich bald in den afrikanischen Frosta-Gerichten einsetzen zu können. Für die Idee bekam Ahlers viel Zustimmung von seinen Kunden, musste sich aber auch einige hämische Kommentare über die "Gutmenschen" von Frosta anhören. "Harte Kritik bekommen wir regelmäßig, aber gerade das macht unser Blog so spannend", sagt der Firmenchef. Daher seien selbst Beschimpfungen durchaus erwünscht. Man habe bereits viele gute Tipps von den Kunden erhalten. Diese reichen von Hinweisen für eine Verbesserung des Fleischs in einem Bratkartoffelgericht bis hin zur Optimierung eines neu eingeführten Lieferservices für Büros.

Böser Brief an Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber

Unternehmensberater Kracht hält es für wichtig, dass ein Konzern vor allem über eine gut ausgebaute Abteilung für den Kundendialog verfügt, in die dann auch der Vorstandschef einbettet sein sollte. Besonders gut gelöst findet der Kienbaum-Manager das bei der Lufthansa. Seine positive Einschätzung basiert nicht zuletzt auf einer persönlichen Erfahrung: Als Krachts Frau eine Fernreise wegen einer Problemschwangerschaft nicht antreten konnte, versuchte ihr Mann, den entsprechenden Flug im Lufthansa-Kundencenter zu stornieren. Dort aber teilte man ihm lapidar mit, dass dies nur gegen eine hohe Gebühr möglich sei, da es sich bei einer Schwangerschaft schließlich nicht um eine Krankheit handele.

Erbost schrieb Kracht einen Brief an Vorstandschef Wolfgang Mayrhuber und beschwerte sich über das Verhalten der Callcenter-Mitarbeiter. Mayrhuber entschuldigte sich für das Vorgehen und kümmerte sich für die Krachts um eine kostenlose Stornierung des Flugs. "Es gab sogar noch ein Abendessen für die ganze Familie, und die Geschäftsbedingungen der Lufthansa wurden auch überarbeitet", sagt der Berater zufrieden. "So stelle ich mir den optimalen Umgang mit einem Kunden vor."