Chinesen kaufen billig auf Vorrat ein und Anleger hoffen auf bessere Zeiten. Doch für viele Experten gibt es kaum Gründe für allzu große Euphorie.

Hamburg. Die Lage ist paradox. Die Rohstoffpreise schießen in die Höhe, obwohl die Industrien in fast allen Ländern der Welt unter der schwersten Rezession seit Jahrzehnten leiden. Die Produktionen müssen deutlich heruntergefahren werden, die Nachfrage nach vielen Waren ist auf dem Tiefpunkt. Und dennoch hat sich der Ölpreis seit Februar auf rund 70 Dollar pro Barrel (159 Liter) beinahe verdoppelt - was auch die Autofahrer an den gestiegenen Spritpreisen an den Tankstellen merken.

"Der Markt wird derzeit vor allem vom Optimismus und der Hoffnung getrieben. Die Investoren erwarten, dass die Konjunktur bald wieder anspringt", sagt der Chef der Rohstoffanalyse der Commerzbank, Eugen Weinberg, dem Abendblatt. Dass die realen Wirtschaftsdaten diese Entwicklung nicht widerspiegelten, sei dabei nicht entscheidend. Selbst die Prognose der Deutschen Bundesbank, dass die deutsche Wirtschaft 2009 um 6,2 Prozent schrumpfe, bremste die Euphorie nicht. Weinberg: "An den Märkten wird nicht die Gegenwart gehandelt, sondern die Zukunft."

Ob Erdöl, Pflanzenöle, Zucker, Weizen, Textilfasern, Kautschuk oder Nichteisen-Metalle - die Rohstoffpreise legten seit ihrem Tief im vergangenen Dezember im Schnitt um 23,4 Prozent zu, sagt der Rohstoff-Experte des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), Klaus Matthies, dem Abendblatt: "Diese Entwicklung stützt sich vor allem auf die Erwartung, dass es wirtschaftlich wieder bergauf geht." Allerdings zweifelt Matthies daran, dass diese Preisentwicklung schon die tatsächliche Trendwende für einen Konjunkturaufschwung markiert. Ein weiterer Grund für die steigenden Rohstoffpreise sei China. Das Land decke sich seit Monaten massiv mit Kupfer, Eisenerz, Öl und zahlreichen Metallen ein, so Matthies. China lege Vorräte an, um für sein künftiges Wachstum vorzubauen. "In Ländern wie China und Indien gibt es auch in der Krise noch vergleichsweise hohe Wachstumsraten", so Matthies. Auch künftig bestehe in den Ländern mit Milliarden-Bevölkerungen großes Ausbaupotenzial. Zudem dienten die chinesischen Investitionen in Rohstoffe dazu, vorhandene Dollar-Reserven in Sachwerte zu investieren. China gilt weltweit als größter Gläubiger der USA.

Weil die Staatsverschuldung in den USA und den Ländern in Europa immer höher wird, fürchten zahlreiche Investoren, dass die aufgebaute Schuldenlast in den nächsten Jahren nur über eine Geldentwertung zu tilgen sei, was wiederum zu deutlich steigenden Inflationsraten führen könnte. Anleger flüchten in Sachwerte - wie Rohstoffe, aber auch Immobilien, Aktien und Gold. Die Folgen: Die Börsen wittern bereits wieder Morgenluft. Der Aktienindex DAX kletterte seit seinem Jahrestief von 3666 Punkten im März im Galopp um fast 40 Prozent auf mehr als 5000 Zähler. Der Goldpreis nähert sich der magischen Marke von 1000 US-Dollar je Feinunze.

Die Börsenrallye werde gestützt durch einige positive Signale der Wirtschaftsforscher. "Ein Grund für die Aufwärtsbewegung sind die klassischen Frühindikatoren wie zum Beispiel der Ifo-Geschäftsklimaindex oder das US-Verbrauchervertrauen, die ihre Talfahrt beendet und sich von ihren Tiefständen gelöst haben", sagt Jochen Intelmann, Analyst der Hamburger Sparkasse. "Die Stabilisierung der Erwartungen hat ausgereicht, um den Risikoappetit der Anleger wieder anzuheizen. Man sieht wieder Licht am Ende des Tunnels." Die realen Unternehmensdaten geben dagegen noch nicht Anlass für Optimismus, ist der Haspa-Analyst überzeugt: "Gemessen an den Unternehmensgewinnen sind die Kurse eher schon zu hoch." Intelmann sieht bei der Index-Entwicklung der 30 deutschen Premiumwerte in den nächsten Wochen Potenzial bis zu 5300 Punkten, schließt aber im dritten Quartal eine Korrektur nach unten nicht aus.

HWWI-Experte Matthies kann sich gut vorstellen, dass es auch bei den Rohstoffpreisen erneut bergab geht. "Es könnte durchaus wieder Rückschläge geben. Für den Benzinpreis erwarte ich für dieses Jahr eher eine Seitwärtsbewegung." Spätestens mit dem Einsetzen des nächsten Aufschwungs rechnet Matthies jedoch wieder mit steigenden Rohstoffpreisen. "Der Rohstoffbedarf in der Welt wächst langfristig, damit steigen die Nachfrage und auch die Preise."