Hitzeopfer erhalten auch ohne Attest 500 Euro Entschädigung. Verbraucherschützer verklagen Rüdiger Grube

Hamburg/Berlin. Er ist braun gebrannt, wirkt aber sehr angespannt: Als Bahn-Chef Rüdiger Grube gestern nach einem Krisentreffen mit Vertretern des Verkehrs- und des Verbraucherschutzausschusses des Bundestages vor die Presse trat, entschuldigte er sich für die Pannen bei den Klimaanlagen in den ICE-Zügen. "Jeder Zug, der ausfällt, ist ein Zug zu viel", sagte er.

Zudem kündigte der Bahn-Chef an, dass jeder Fahrgast, der wegen der fehlenden Klimaanlage "gesundheitliche Probleme" hatte, auch ohne Attest 500 Euro als Schmerzensgeld erhalten werde. Einen Tag zuvor machte der Manager die Zahlung noch von einer ärztlichen Bescheinigung abhängig. Doch dagegen gab es heftige Proteste. Der Ausfall der Kühlung in einigen älteren ICE-Zügen kommt die Bahn jetzt teuer zu stehen. Bisher machten bereits 300 Fahrgäste Ansprüche geltend.

Strafanzeige gegen Grube wegen fahrlässiger Körperverletzung

Die freiwillige Zahlung von 500 Euro reicht den Verbrauchervertretern offenbar nicht. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat gestern wegen der Hitzepannen Anzeige gegen Grube erstattet. "Es muss geklärt werden, ob es in Zusammenhang mit dem Ausfall von ICE-Klimaanlagen Defizite bei der Information der Fahrgäste gegeben hat", sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Gerd Billen, den "Ruhr Nachrichten". Daher habe der vzbv bei der Staatsanwaltschaft Berlin Strafanzeige wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung gestellt.

Weiterer Höhepunkt einer peinlichen Pannenserie

Der Ausfall der Klimaanlage war für die Fahrgäste zwar schwerwiegend, für das Schienenunternehmen selbst ist dies jedoch nur ein weiteres Mosaik aus der Rubrik Pleiten, Pech und Pannen. So sorgte das Unternehmen von Mai bis September 2009 für ein S-Bahn-Chaos in Berlin. Nachdem eine Bahn entgleiste, mussten die Berliner Verkehrsbetriebe Hunderte von Zügen zur Überprüfung in die Werkstätten schicken. Kunden konnten mangels einer Ersatzflotte nicht mitgenommen werden. Im September 2009, ein gutes Jahr nach dem Entgleisen eines ICE 3 auf dem Kölner Hauptbahnhof, musste die Bahn zudem ankündigen, dass alle 1200 Achsen der 67 bahneigenen ICE 3 ausgetauscht werden müssen. Denn Ursache des Kölner Unglücks waren Risse in einer Radsatzwelle, die durch eine fehlerhafte Fertigung entstanden sein sollen.

Diese der Vergangenheit angehörenden Probleme haben mit dazu beigetragen, dass die Klimapanne nicht schnell behoben werden konnte. Es fehlte schlichtweg an Zügen, weil zu viele Züge in den Wartungshallen des Unternehmens stehen. "Die Bahn hat massive technische Probleme. Es fehlt an Ersatzwagen", sagte gestern Winfried Hermann (Grüne), Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag.

Ramsauer macht Börsenpläne für die Probleme verantwortlich

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat den Sparkurs wegen des dann abgesagten Börsengangs der Bahn als eine Ursache für die technischen Probleme bei Zügen verantwortlich gemacht. Um ein bestimmtes betriebswirtschaftliches Ergebnis zu erzielen, seien zahlreiche Kürzungen vorgenommen worden, sagte er im Deutschlandfunk. Doch die Schuld dafür allein auf die Bahn abzuschieben, ist nur die halbe Wahrheit. Schließlich war es die Bundesregierung, die den Schienenkonzern bald nach der Bahnreform im Jahr 1994 zum Börsengang gedrängt hat. Und um für Anleger attraktiv zu sein, muss ein Unternehmen gute Gewinne einfahren. Das geht am einfachsten, wenn an den Ausgaben und damit auch an den Investitionen gespart wird.

Winfried Hermann von den Grünen fürchtet, dass die Bahn auch in Zukunft nicht genügend Mittel für wichtige Vorhaben haben wird. "Es bedarf dringend Investitionen in die Modernisierung und das Know-how der Züge. Dies wird nicht möglich sein, wenn der Bund künftig dem System Schiene jährlich 500 Millionen Euro an Dividendeneinnahmen entzieht, um damit den Haushalt zu sanieren", sagte er. Ramsauer hingegen verteidigte die Dividende, da jeder Eigentümer von einem gesunden Unternehmen profitieren dürfe. Die genaue Dividendensumme für 2010 werde zudem erst auf der Hauptversammlung 2011 beschlossen.

Probleme in Deutschland, Milliarden für Zukauf in Großbritannien

Christian Böttger, Bahnexperte bei der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, wundert sich über das Begehren der Politik. "Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP ist zu lesen, dass die Gewinne der Bahn für Investitionen in die Infrastruktur zufließen sollen", sagte er dem Abendblatt. Doch selbst, wenn der Bund in Zukunft auf eine Dividende verzichten würde, ist nicht sichergestellt, dass das Unternehmen das Geld in deutsches Schienennetz investiert. Erst im April hat die Bahn für drei Milliarden Euro den britischen Verkehrskonzern Arriva übernommen, statt die Milliarden für dringende Investitionen in Deutschland vorzuhalten. Das Vorhaben, das ein Baustein auf dem Weg der Bahn zum weltweiten Konzern ist, wurde vom Bundestag abgenickt.