Textildiscounter stellte 49 000 Anfragen bei Creditreform. Datenschützer machtlos gegen die Praxis

Hamburg. Lebenslauf, Zeugnis und Beurteilungen reichten dem Textildiscounter KiK nicht. Das Unternehmen wollte auch über die finanziellen Verhältnisse seiner Mitarbeiter Bescheid wissen. Bezahlen sie regelmäßig ihre Telefonrechnung, haben sie Schulden bei einem Versandhändler oder sind sie gar überschuldet? Deutschlands größer Textildiscounter hat über mehrere Jahre systematisch die persönlichen Vermögensverhältnisse seiner vielen Tausend Mitarbeiter ausgeforscht, berichtet das ARD-Magazin "Panorama" und beruft sich dabei auf zwei Kronzeugen: ehemalige Bezirksleiter der Handelskette, die ausgepackt haben. Ziel war es, sich von Mitarbeitern zu trennen, wenn sie in massiven finanziellen Schwierigkeiten steckten. Wer eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte, dem wurde gekündigt, berichtet der ehemalige Bezirksleiter Guido Hagelstede in "Panoroma". "Diese Anweisung gab es schriftlich aus der Zentrale", sagte er.

Bereits in der Vergangenheit hatten große Unternehmen Arbeitnehmer ausgespäht. Die Deutsche Bahn überprüfte über Jahre Mitarbeiter und deren Angehörige, um Korruption im Unternehmen zu bekämpfen. Lidl überwachte seine Mitarbeiter mit Detektiven und Kameras. "Wir setzen deshalb auf das neue Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, um den Missbrauch einzudämmen", sagt Nils Schröder, Sprecher des Datenschutzbeauftragten für Nordrhein-Westfalen. Ein Gesetzentwurf ist bereits fertiggestellt. Die Behörde ist für den KiK-Fall zuständig, weil das Unternehmen seinen Hauptsitz in NRW hat.

Der Textil-Discounter hat allein in den Jahren 2008 und 2009 in mehr als 49 000 Fällen die Vermögensverhältnisse seiner Mitarbeiter bei Creditreform abgefragt. "Wir haben von den Überprüfungen im April 2009 durch die Beschwerde eines Betroffenen erfahren und auch Strafanzeige gestellt", sagt Schröder. Doch die Dortmunder Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein, weil dem Unternehmen nicht zu beweisen war, dass Kündigungen aufgrund schlechter Bonitätsauskünfte erfolgten. Auch der Datenschutzbeauftragte verzichtete auf ein Bußgeld, weil KiK die Überprüfungen eingestellt hat. Das Unternehmen wollte sich gestern auf Anfrage nicht äußern.

Nach den Zeugenaussagen in dem Panorama-Bericht prüft die Staatsanwaltschaft Dortmund, ob sich ein neuer Anfangsverdacht ergebe. "Wir erwarten, dass die Ermittlungen gegen die KiK-Geschäftsführung wieder aufgenommen werden", sagt Margret Mönig-Raane, stellvertretende Vorsitzende von Ver.di, dem Abendblatt.

Noch müssen Arbeitnehmer damit rechnen, dass sich ihr Chef einen Einblick in ihre finanziellen Verhältnisse verschafft. "Wir erteilen solche Auskünfte, wenn ein berechtigtes Interesse vorliegt", sagt Michael Bretz von Creditreform. Dafür reicht es, wenn jemand an der Kasse oder in der Buchhaltung arbeitet. Die Auskunfteien prüfen die Auskunftswünsche nur auf Formalien und Plausibilität. Ob die Betreffenden tatsächlich in sensiblen Unternehmensbereichen arbeiten, kann nicht überprüft werden. "Missbrauch wird in der Praxis vorkommen, ist aber nicht zulässig", sagt Datenschützer Schröder. Der Fall KiK wird wohl nicht der letzte Fall des Ausspähens von Mitarbeitern gewesen sein.