BGH-Entscheidung ermöglicht Kunden, auch ohne Widerspruch Geld zurückzufordern

Hamburg. Ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat für Gasverbraucher und Energiekonzerne Sprengkraft. Wie gestern bekannt wurde, beschieden die Richter, dass viele Kunden, die über Jahre von ihrem Versorger beschlossene Gaspreiserhöhungen ohne Klagen bezahlt haben, jetzt zu hohe Zahlungen zurückfordern können. Im konkreten Fall hatten insgesamt 46 Kläger in letzter Instanz Erfolg, die in Niedersachsen ihr Gas von der EWE bezogen. Die seit 1. April 2007 geltenden EWE-Verträge über Gaspreiserhöhungen wurden für unwirksam erklärt, da die sogenannte Preisanpassungsklausel, also die Begründung des Konzerns für die gestiegenen Tarife, vor Gericht nicht standhielt.

Das Urteil geht jedoch über diesen Einzelfall hinaus. Denn laut BGH können nun alle Kunden, deren Preisanpassungsklausel nicht rechtens ist, Geld zurückfordern. Bislang konnten sich Gasbezieher diese Möglichkeit nur offenhalten, wenn sie bei jeder Erhöhung immer wieder fristgerecht widersprochen hatten. Und diese Mühe machten sich die wenigsten.

Profitieren von dem Richterspruch können allerdings nur sogenannte Sonderkunden - zum Beispiel Mieter in großen Wohnanlagen oder Gasbezieher, die nicht nur mit Gas kochen, sondern auch heizen. Wer mit seinem Anbieter einen Grundversorgungstarif ausgehandelt hat, geht leer aus, weil es in diesen Verträgen keine Preisanpassungsklausel gibt. Doch die "Mehrheit der Verbraucher sind Sonderkunden", sagte Thorsten Kasper vom Bundesverband der Verbraucherzentralen.

Auf die Versorger könnten Forderungen von Millionen Kunden zukommen, wie der Hamburger Rechtsanwalt Elmar Stoll dem Abendblatt sagte. Das bestätigt auch Thorsten Meinecke, der als Jurist die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein berät. Denn inzwischen haben Gerichte schon zahlreiche Preisanpassungsklauseln der Konzerne gekippt. Auch dem Hamburger Versorger E.on Hanse wurde im Oktober 2009 vor dem Landgericht Hamburg eine unzureichende Klausel im Gasvertrag beschieden. Das Unternehmen ging in die nächste Instanz, das Verfahren läuft noch. E.on Hanse wollte sich gestern zu dem BGH-Spruch nicht äußern, da die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorliegt.

Da wohl kein Konzern überhöhte Beträge freiwillig zurückzahlt, und die Firmen vermutlich argumentieren werden, es handele sich um ein Urteil über EWE, müssen sich die betroffenen Kunden trotz der Schützenhilfe vom BGH auf eine langwierige Prozedur einstellen. Meinecke rät, dass sie zuerst von einer Verbraucherzentrale oder einem Anwalt die Preisanpassungskausel in ihrem Vertrag überprüfen lassen sollten. Ist die Formulierung von dem Versorger in jüngster Zeit verändert worden, müsse auch die zuvor geltende Klausel geprüft werden. Ist der Passus zur Preisanpassung rechtswidrig, sollten die Kunden die Rückzahlung zu hoher Beiträge bei ihrem Versorger anmahnen. Da die Frist für solche Forderungen nur rückwirkend für drei Jahre gilt, können sie nur Zahlungen von 2007 bis 2009 geltend machen.

Dass der norddeutsche Versorger E.on Hanse 2009 die Preise dreimal gesenkt hat, dürfte in diesem Fall keine große Rolle spielen. Denn entscheidend für die Forderung ist das Datum, zu dem die jetzt kritisierte Klausel Bestandteil des Gasliefervertrags wurde. Bei E.on Hanse liegt dies Jahre zurück. Schon der Vorläufer HeinGas hatte die im Oktober 2009 gekippte Formulierung in seinen Lieferverträgen.

Eine neue Chance bekommen laut Meinecke übrigens auch jene Kunden von E.on Hanse, gegen die das Unternehmen in jüngster Zeit Prozesse gewonnen hat, nachdem die Verbraucher einen Teil der geforderten Gaspreiszahlungen einbehalten hatten. Sie können das Urteil auf Basis der neuen BGH-Entscheidung anfechten. "Allerdings ist Eile geboten. Das Widerspruchsrecht bei verlorenen Prozessen beträgt nur einen Monat", so der Kieler Verbraucherschützer.