Folgeschäden der Ölpest im Golf von Mexiko unabsehbar. Britische Regierung bereitet angeblich einen finanziellen Notplan gegen Zusammenbruch vor

Hamburg. Seit 78 Tagen schon läuft das Öl aus der havarierten Quelle der zerstörten Bohrinsel "Deepwater Horizon" in den Golf von Mexiko. Die größte Ölpest in der Geschichte der USA umfasst mittlerweile in ihrer Ost-West-Ausdehnung eine Fläche, die von der deutsch-niederländischen bis an die deutsch-polnische Grenze reichen würde. Der dafür verantwortliche britische Energiekonzern BP bekommt den unkontrollierten Ölfluss nicht in den Griff. Mehr und mehr drängt die Frage, ob mit dem auslaufenden Öl die Zeit von BP in seiner heutigen Form abläuft.

Bislang hat BP nach eigenen Angaben rund drei Milliarden Dollar zur Eindämmung der Schäden aufgewandt. Doch die Folgekosten der Katastrophe, die am 20. April mit der Explosion der "Deepwater Horizon" begonnen hatte, sind unabsehbar. Schätzungen von Finanzanalysten und Branchenbeobachtern lauten bislang auf 50 Milliarden Dollar bis zu 100 Milliarden Dollar, die als Kosten für die Abdichtung der Quelle, für den Reinigungseinsatz, für Bußgelder und an Schadenersatz zusammenkommen könnten.

Die britische Regierung bereitet einem Bericht der Londoner Zeitung "Times" zufolge bereits einen Notfallplan dafür vor, dass BP finanziell einknicken sollte. Das Finanzministerium in London ging darauf gestern nicht ein.

BP ist ein wichtiger Aktientitel für britische Pensionsfonds

Doch der Konzern hat erhebliche wirtschaftliche Bedeutung auch für das Land selbst. BP, dessen Börsenwert sich seit Beginn der Krise auf rund 100 Milliarden Dollar in etwa halbiert hat, ist eine der wichtigsten Aktien für viele britische Pensionsfonds. Zudem gehören BP wesentliche Teile der Infrastruktur für die Förderung von Öl und Erdgas im britischen Teil der Nordsee sowie für die Versorgung der britischen Inseln mit Energie. Dazu zählt unter anderem ein Leitungssystem, das mehr als 50 Öl- und Gasfelder in der Nordsee verbindet. BP beschäftigt allein in Großbritannien rund 10 000 Menschen und zahlte in seinem Heimatland 2009 gut sechs Milliarden Pfund Steuern.

In den internationalen Medien kursieren mittlerweile wilde Spekulationen darüber, wie BP sein finanzielles Fundament stärken will, um die Folgen der Krise zu überstehen. Von einem Einstieg Libyens war ebenso die Rede wie vom Interesse arabischer oder chinesischer Staatsfonds. "BP sucht nach einem strategischen Partner, sodass es nicht von einem anderen großen Ölkonzern wie Exxon und Total geschluckt wird", sagte eine mit der Sache vertraute Person aus den Vereinigten Arabischen Emiraten der Nachrichtenagentur Reuters. Auch über Pläne zur Aufstockung des Kapitals wurde berichtet. Ein BP-Sprecher wies das gestern zurück: "Es gibt derzeit keine Pläne, das Kapital aufzustocken. Wir freuen uns immer über neue Aktionäre oder über existierende Aktionäre, die ihren Anteil aufstocken wollen, aber es gibt keine Pläne, frisches Kapital an irgendjemanden herauszugeben", sagte er. Die Börse zumindest honorierte die Gerüchte. In London stieg die BP-Aktie gestern auf 345 Pence, den höchsten Wert der vergangenen Tage.

Das Unternehmen will Konzernteile für bis zu zehn Milliarden Dollar verkaufen

Der Konzern will, so eine Zusage an die US-Regierung, einen Treuhandfonds mit 20 Milliarden Dollar ausstatten. Zur Finanzierung der Krisenfolgen plant BP, in diesem Jahr Unternehmensteile im Wert von zehn Milliarden Dollar zu verkaufen. Konzernchef Tony Hayward, dem die Koordinierung der Hilfsaktionen vom Aufsichtsrat auf Druck der US-Regierung aus der Hand genommen worden war, reiste zuletzt nach Russland und nach Aserbaidschan. In beiden Ländern betreibt BP umfangreiche Öl- und Gasförderprojekte, die an Konkurrenzunternehmen - privatwirtschaftliche oder staatliche - verkauft werden könnten. Der französische Energiekonzern Total hat bereits Interesse für den Fall signalisiert, dass BP Geschäftsfelder zum Verkauf stellt.

Wann BP die havarierte Ölquelle in rund 1500 Meter Meerestiefe im Golf von Mexiko unschädlich machen kann, ist völlig offen. Weder mit Absaugkonstruktionen unter Wasser konnte das Öl bislang gebändigt werden noch mit dem Versuch, die Quelle mit Schlamm und Schutt zu verstopfen. Auch der bislang letzte Versuch scheiterte, der Einsatz eines taiwanesischen Supertankers, der angeblich bis zu 80 Millionen Liter Öl täglich von der Meeresoberfläche absaugen und aus dem Wasser filtrieren kann. Mittlerweile hat die Hurrikan-Saison begonnen und erschwert die Bindung des Öls. Sämtliche der südlichen US-Bundesstaaten am Golf von Mexiko sind nun von der Ölpest erfasst.

Mehr als 95 000 Klagen auf Schadensersatz sind gegen BP laut US-Medienberichten mittlerweile bei amerikanischen Gerichten eingegangen. Für realistisch halten Marktbeobachter deshalb auch die Variante, dass BP seine US-Tochter nach dem amerikanischen Chapter 11 in ein geordnetes Insolvenzverfahren schicken könnte. Das US-Insolvenzrecht gilt als wesentlich unternehmensfreundlicher als das in Europa. BP könnte unter Chapter 11 seinen Betrieb fortsetzen, die Schadenersatzzahlungen aber voraussichtlich geringer halten, als es dem Konzern ohne Insolvenzantrag möglich wäre.