Allein in Hamburg fehlen 200 Berufskraftfahrer. Ausbildungsplätze reichen nicht aus. Situation verschärft sich. Arbeitsagentur testet Speed-Dating

Hamburg. Durch die Krise haben sie ihre Jobs verloren, jetzt sind Männer wie Adel Shokravy begehrt. Der Iraner, seit 15 Jahren in Deutschland, wurde arbeitslos, weil seine frühere Firma wegen fehlender Aufträge vor Monaten ihre Lkw verkaufte. Nun zieht die Konjunktur an und "es gibt zu wenige Lkw-fahrer, um die Ladung zu den Kunden zu bringen", sagt Stefan Saß, Referent beim Verein Hamburger Spediteure. "Allein in Hamburg werden 200 qualifizierte Fahrer gesucht", so Frank Wylezol, Geschäftsführer des Verbandes Straßengüterverkehr und Logistik.

Daher bekam der 47-jährige Shokravy am Freitag die Chance, seine Fahrkünste auf einem Lkw der NordSüd Speditionsgesellschaft aus Rheda-Wiedenbrück zu beweisen. Die hatte mit Jennifer Wolter und Jürgen Vacker gleich zwei Mitarbeiter zum Speed-Dating bei der Arbeitsagentur in Hamburg geschickt. Dort sprachen sie im Fünf-Minuten-Rhythmus mit Kraftfahrern, die sich für einen Job interessierten. Der Auftrag für den Fahrtrainer und die Personalreferentin lautete, bis Montag vier Fahrer anzuwerben. "Wir werden zum 1. Juli eine Firma mit 16 Lkw und Mannschaft übernehmen und wollen in Hamburg aufstocken", so Wolter.

Insgesamt 75 Bewerber, deutlich mehr als erwartet, kamen am Freitag zur Agentur, um Vertreter von fünf Firmen zu sprechen, die an extra aufgestellten Tischen warteten. "Seit März, April sind wieder Kraftfahrer gesucht. Wir wollen dazu beitragen, die Stellen schnell zu besetzen", sagt die Organisatorin Renate Göben, Teamleiterin Arbeitgeberservice bei der Agentur. Ihr Chef Rolf Steil ist überzeugt: "Mit Speed-Datings lassen sich vor allem Kontakte knüpfen, wenn Arbeitgeber Kenntnisse rasch prüfen können." Nach je einem dieser Schnelltreffen für die Gastronomie und für Lehrlinge war die Suche nach Kraftfahrern der dritte Versuch dieser ungewöhnlichen Idee.

"Ich habe 17 Fahrzeuge und ich habe Aufträge, aber mir fehlen die Fahrer. Gern würde ich fünf sofort einstellen", sagte am Freitag auch Sabri Öge, der Chef der Hamburger Öge Transport, die seit acht Jahren für die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) Container im Hafen transportiert. Deshalb kam er am Freitag selbst zum Treffen. Beim Dating vereinbarte er gleich mehrere Praktika mit neuen Fahrern. Sie sollen in der kommenden Woche beginnen.

Doch nicht nur wegen der anziehenden Konjunktur dürfte die Konkurrenz um Trucker, die derzeit durchschnittlich 1800 Euro brutto im Monat verdienen, härter werden. Denn allein 30 Prozent der bundesweit 750 000 Berufskraftfahrer werden bis 2020 in den Ruhestand gehen, schätzt Martin Bulheller, Sprecher des Bundesverbands Güterverkehr, Logistik und Entsorgung. Auch in Hamburg ist die Situation prekärer, als es die Zahl von noch 994 arbeitslosen Kraftfahrern vermuten lässt. "Ein Viertel von ihnen ist älter als 50 Jahre und kann oft aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr eingesetzt werden", sagt Arbeitsagentur-Teamleiterin Göben. Und den anderen fehlt es oft an Spezialkenntnissen.

Aber es sinkt nicht nur die Zahl der Fahrer. Auch der Nachwuchs rückt nur zögerlich nach. Ein Grund: Die Bundeswehr bildet seit zwei Jahren weniger Lkw-Fahrer aus und die Kosten von rund 7000 Euro für den Lkw-Führerschein schrecken immer mehr Menschen vom Erwerb der Lizenz ab. Quereinsteiger, auf die die Branche zuvor setzen konnte, müssen seit September 2009 zudem eine von der EU für die Sicherheit auf den Straßen vorgeschriebene umfangreiche Ausbildung in Theorie und Praxis absolvieren. Die umfasst etwa Kurse über wirtschaftliches Fahren oder die Sicherung der Ladung. "Auch diese Ausbildungen schlagen mit Kosten in vierstelliger Höhe zu Buche", sagt Verbandschef Wylezol.

Die Ausbildungsbemühungen der Branche allein reichen aber längst nicht aus. "An die Zahl von bundesweit 2000 Lehrstellen müsste man noch eine Null anhängen, um den Bedarf zu decken", so Wylezol. Mit 60 Ausbildungsplätzen in jedem der drei Lehrjahre sei Hamburg dabei noch gut aufgestellt. Allerdings sei es schon wegen des für den Führerscheinerwerb notwendigen hohen Alters der Auszubildenden schwer, Nachwuchs zu werben. Oft hätten sich Jugendliche mit 17 oder 18 Jahren schon anders entschieden. "Auch kommt es vor, dass Ausbildungen nach dem Erwerb der Fahrerlaubnis abgebrochen werden", sagt Wylezol. "Dann waren alle Investitionen vergebens."

Immerhin werden in der Branche seit Anfang 2009 Lehrstellen gefördert. Dafür fließen Einnahmen aus der Lkw-Maut an die Betriebe zurück, die damit 60 bis 70 Prozent der Kosten von jeweils rund 26 000 Euro decken können. Ein leichtes Plus bei den Ausbildungsverträgen habe es dadurch in Hamburg gegeben. Doch ob ein "Fahrernotstand" verhindert werden kann, wie Wylezol sagt, ist offen. "In etwa zwei Jahren kann es eng werden."

Dagegen hat sich die Spedition NordSüd gewappnet. "Unsere Fahrtests im Anschluss an das Dating waren so erfolgreich", so Personalreferentin Wolter, "dass wir möglicherweise mehr als vier Lkw-Fahrer einstellen werden."