Mit neuem Chef und innovativen Ideen soll im Hamburger Norden ein Markentempel entstehen, der bundesweit Spitze ist

Hamburg. Autofahrer auf der A7 Richtung Norden kennen das Modecentrum Schnelsen als unscheinbare Hochhausblocks mit dem Hang zur Bausünde. Im Innern der grauen Gebäude jedoch eröffnet sich dem Besucher eine äußerst bunte Welt. Händler, die sich mit einem Ausweis als Wiederverkäufer identifizieren müssen, haben Zugang zu dieser eigenen Stadt in der Stadt.

Wer dagegen nur Fashionjünger ist oder sich Trends abschauen will, muss draußen bleiben: In mehr als 200 Showrooms präsentieren Marken wie Esprit, Gerry Weber oder S.Oliver, was in der nächsten Saison angesagt ist. Wer hier Zugang hat, bekommt nicht nur einen exklusiven Einblick in die Welt von morgen, sondern kauft auch zum Einkaufspreis ein. Boutiquebesitzer, Einkäufer von großen Ketten wie Peek & Cloppenburg und Kaufhäusern gehen hier ein und aus, sie ordern die Ware, die in ein paar Monaten in den Regalen zu haben sein wird. Das Modecentrum ist die gesamte Mönckebergstraße, der Jungfernstieg und der Neue Wall im Kleinen, das konzentrierte Abbild der Welt der Mode.

16 Jahre lang führte Klaus Strecker das Modecentrum im Nordwesten der Stadt, vor Kurzem ist der Centermanager altersbedingt ausgeschieden. Sein Nachfolger ist Andreas Weuster, ein 44 Jahre alter Kaufmann, der die Bekleidungsbranche über berufliche Stationen bei C&A, Kaufhof und Karstadt bestens kennengelernt hat, ein jungenhaft aussehender, sympathischer Manager, der sein Wissen auch als Dozent bei der Hochschule für Mode und Handel in Düsseldorf weitergibt. Der gebürtige Ratinger ist gerade nach Hamburg gezogen, begnügt sich bisher mit einem möblierten Apartment auf der Uhlenhorst und sucht eine eigene Wohnung in der Stadt, in der er schon als Jugendlicher leben wollte. "Jetzt bin ich endlich hier angekommen", sagt Weuster.

Der Textilexperte, der am Freitag schon mal den Anzug im Schrank hängen lässt und im sportlichen Outfit ins Büro kommt, will nach Jahren der Stagnation, in denen die Branche nach der Krise 2009 Federn lassen musste, mit der Modestadt Hamburg auf Wachstumskurs gehen. "Wir wollen den Standort zum bundesweit führenden Modecentrum ausbauen", sagt Weuster. Zwar stagniert die Zahl der Mieter in Schnelsen bei gut 250. Der neue Chef ist dennoch optimistisch, da andere Modecentren selbst in renommierten Metropolen stärker unter dem zuletzt gebremsten Wachstum der Branche gelitten haben. Der Leerstand in den Modecentren Hannover und Düsseldorf erreiche 30 bis 50 Prozent. "In Schnelsen kommen wir gerade mal auf fünf Prozent Leerstand", sagt der Centermanager. Der Wert ist erfreulich niedrig, zumal sich in der HafenCity einzelne Marken wie Marc O'Polo mit eigenen Showrooms niedergelassen haben. Ein Trend, den Weuster wegen der schlechten Parkplatzsituation und der nur schleppend sich entwickelnden Infrastruktur in der HafenCity allerdings nicht als bedrohlich empfindet. In Schnelsen präsentieren sich zudem nicht nur große Marken, sondern auch Sofortanbieter, die Bekleidung und Accessoires ohne Label zum Mitnehmen präsentieren. So können die Einkäufer ihr Angebot in den Geschäften ausweiten und zusätzlich zu den üblichen acht bis zwölf Kollektionen im Jahr besonders schnell auf Trends reagieren.

Die Branche erlebt derweil eine gelungene Selbstdarstellung Berlins als neue Modemetropole. Während renommierte Messen etwa in Düsseldorf an Glanz verlieren, macht die Hauptstadt mit Fashion-Show-Events wie der Bread & Butter oder der Premium-Messe von sich reden. Politiker wie Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit lassen sich mit Models ablichten, die Lifestyle-Magazine sind voll von Nachrichten aus der Trendstadt an der Spree. "Bei solchen Themen haben wir bisher eher hanseatische Zurückhaltung geübt", sagt Weuster. Dabei lockten in der Stadt äußerst attraktive Modemeilen von der "konsumigen" Mönckebergstraße bis zum edlen Neuen Wall. Doch kaum jemand rede darüber.

Eine ähnliche Philosophie herrschte bisher im Modecentrum. Der Komplex inklusive der benachbarten Messehallen gehört der Hamburger Familie Luserke, und damit Eignern, die ein hanseatisches Understatement pflegen. Weuster will mit dem Modecentrum in Zukunft für mehr Gesprächsstoff in der Stadt sorgen, es zur unverzichtbaren Einkaufsquelle für Deutschlands Einzelhändler ausbauen. Bereits in den vergangenen Monaten hat die Zahl der Besucher jeweils um 20 bis 30 Prozent zugenommen. Derzeit kommen etwa 100 000 Händler im Jahr nach Schnelsen, das Einzugsgebiet reicht von der niederländischen bis zur polnischen Grenze, umfasst den gesamten Norden und endet im südlichen Münsterland.

Mit neuen Veranstaltungen will Weuster den Radius erweitern. Er plant zusätzlich zur etablierten Kindermesse Lollypop eine Branchenschau mit Schwerpunkt auf dänische Designer. Die Nachbarn aus dem Norden nutzen Hamburg als Tor zum deutschen Markt und werden mit Marken wie Vero Moda und Jack & Jones auch bundesweit immer erfolgreicher. "Außerdem wollen wir jungen Firmen eine Plattform bieten, sich bei uns darzustellen", sagt Weuster und hat damit auch eine Win-Win-Situation im Blick: Neue Marken können das Umfeld etablierter Konkurrenten im Centrum nutzen, die Einzelhändler wiederum profilieren sich mit dem Einkauf unbekannterer Mode gegenüber großen Ketten. Messepartys und die Möglichkeit zum Businessfrühstück und Gedankenaustausch in der Branche sollen das Angebot des Modecentrums abrunden. Weuster sitzt zwar erst seit Januar auf dem Chefsessel des Hamburger Modecentrums, seine Ideenliste ist dafür aber schon erstaunlich lang. Vermutlich werden sich auch die Berliner bald warm anziehen müssen.