Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner stellt Strategien gegen Verschwendung vor

Berlin. Elf Millionen Tonnen. Diese Menge an Lebensmitteln landet in Deutschland jedes Jahr auf dem Müll. Würde man den Abfall auf Lastwagen verfrachten und sie Stoßstange an Stoßstange aufreihen, würde der Konvoi von Berlin mindestens bis nach Nowosibirsk reichen. Die Stadt liegt im tiefsten Russland. Luftlinie zur deutschen Hauptstadt: 4389 Kilometer.

Im Auftrag von Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hat die Uni Stuttgart aus der deutschen Wegwerfgesellschaft eine Statistik erstellt, die gestern präsentiert wurde. Demnach schmeißt jeder Bürger 82 Kilo Nahrung pro Jahr in den Müll. Zwei Drittel davon wären zum Zeitpunkt der Vernichtung noch genießbar - auf 235 Euro pro Kopf wird der Wert dieser Abfälle geschätzt. In den Privathaushalten entstehen dabei 61 Prozent des gesamten Lebensmittelmülls, so die Ergebnisse der Forscher. Großverbraucher und Industrie produzieren je 17 Prozent. "In Deutschland und Europa wird viel zu viel weggeworfen, wertlos gemacht, vernichtet", sagte Aigner. Sie unterstütze deshalb das Ziel der EU-Kommission, die Menge der Lebensmittelabfälle bis 2020 zu halbieren, betonte sie. Die Strategie Deutschlands, um das zu erreichen, soll dabei so aussehen:

"Zu gut für die Tonne" lautet der Name einer neuen Infokampagne für Verbraucher. "Wir wollen den Menschen nützliches Wissen und praktische Tipps vermitteln über den Umgang mit Lebensmitteln - von Einkauf über die richtige Lagerung bis hin zur Verarbeitung in der Küche", so Aigner.

Das Mindesthaltbarkeitsdatum wird ebenfalls Inhalt einer Aufklärungsaktion sein. Denn nicht jeder Joghurt ist am Tag des aufgedruckten Datums automatisch unverzehrbar. Auch Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sieht das so: "Verbraucher können vielfach aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen Veränderungen im Aussehen, Geruch und Geschmack feststellen und einschätzen, ob sie etwas noch essen können oder besser die Finger davon lassen sollten", sagte sie dem Abendblatt. Ein guter Ansatz mancher Supermärkte sei, kurz vor dem Erreichen des Datums stehende Waren in speziellen Regalen zu günstigeren Preisen anzubieten.

Politischen Einfluss soll ein Bündnis aus Handel, Industrie, Verbraucherschützern, Kirchen und Aigner selbst geltend machen. Die Pläne der Bundesregierung sehen zudem vor, EU-weite Lebensmittelnormen für Tomaten, Äpfel oder Erdbeeren weiter abzuschaffen, eine europaweite Bioabfallrichtlinie einzuführen und die regionale Vermarktung zu stärken.

Die Forschung soll nun die gesamte Kette vom Acker bis zum Teller beleuchten, um Schwachstellen aufzudecken. Der Handel wird aufgefordert, eine zuverlässige Datenbasis über die anfallenden Abfallmengen zu schaffen. Hier besteht für Aigner noch Nachholbedarf.

Umweltverbänden reicht dieses Vorgehen allerdings nicht. Die Politik dürfe nicht nur eine Problembeschreibung und unverbindliche Appelle liefern, erklärte etwa der Deutsche Naturschutzring. Der Bundesverband der Deutschen Tafeln sieht vor allem die Preise der Supermärkte im Fokus: Billige Angebote würden zu dem gegenwärtigen Umgang mit den Lebensmitteln führen.