Thomas Straubhaar kritisiert Überheblichkeit und Verantwortungslosigkeit seiner Zunft. “Alte Weisheiten“ hätten die Krise mitverursacht.

Hamburg. So offen und deutlich hat bisher wohl kein prominenter Ökonom in Deutschland die eigene Zunft kritisiert: Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), geht in einem Interview mit der "Financial Times Deutschland" hart mit seinen Fachkollegen ins Gericht. So wirft er ihnen Überheblichkeit und Verantwortungslosigkeit vor: "Es nervt, wenn bekannte Wirtschaftsprofessoren einfach empfehlen: Lasst ruhig Banken oder Länder pleitegehen - weil es so in den Lehrbüchern steht."

Als Konsequenz aus der Finanzkrise mahnt Straubhaar eine grundlegende Überprüfung von Grundannahmen der ökonomischen Theorie an. "Seit 2008 ist für mich immer deutlicher geworden, dass wir mit den alten Weisheiten nicht mehr weiterkommen - und dass es sogar diese alten Weisheiten waren, die die Krise mitverursacht haben", sagt der HWWI-Chef dem Abendblatt. Dies gelte etwa für die verbreitete Überzeugung, dass der Abbau von Regeln in jedem Fall eine gute Sache ist.

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Straubhaar räumt ein, Glaubenssätze seiner Disziplin selber zu lange akzeptiert zu haben. Er wendet sich aber auch gegen Selbstüberschätzung vieler Kollegen. Er nennt deren Glauben, dass die Volkswirtschaftslehre über anderen Wissenschaften stehe, "ökonomischen Imperialismus". Im Gespräch mit dem Abendblatt erläutert er seine Kritik: "Als Ökonomen übernehmen wir für unsere Aussagen keine Verantwortung. Wir müssen deutlich bescheidener werden in dem, was wir sagen." Straubhaar fordert aber auch mehr Offenheit für die Erkenntnisse anderer Wissenschaftsgebiete, die sich etwa mit dem realen Verhalten von Menschen befassen: "Wir müssen Interdisziplinarität wirklich leben und uns als Teil der geisteswissenschaftlichen Familie verstehen." In diesem Zusammenhang erinnert Straubhaar an die "Stammväter" der Volkswirtschaftslehre: Adam Smith war Moralphilosoph, John Stuart Mill war Philosoph und Sozialreformer.

Doch gehe es in weiten Teilen der Wirtschaftswissenschaften heute nicht mehr um Erkenntnisgewinn, sondern nur noch um Publikationsfähigkeit: "Das ist unredlich - und außerdem ist diese Wissenschaft für die Allgemeinheit dann nicht mehr von Nutzen." Der HWWI-Direktor zeigt allerdings auch Verständnis für das Festhalten an den vertrauten Mustern: "Wäre ich ein junger Mensch, würde ich mir dreimal überlegen, dies alles zu sagen, weil ich mich im Hinblick auf die Karriere ins Abseits begeben könnte."

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Bei Fachkollegen stießen Straubhaars Auffassungen auf Widerspruch. "Ich finde es überzogen zu sagen, wir müssten nun ganz neu nachdenken", so Joachim Scheide, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). "Ich vermisse konkrete Aussagen, wo wir denn versagt haben sollen." Es gebe zum Beispiel gute Gründe, "warum wir die Krise nicht vorhersehen konnten - unter anderem deshalb, weil die Politik Fehler gemacht hat".

Die Aufforderung zu mehr Bescheidenheit kann Scheide dagegen gut nachvollziehen: "Wenn man der Politik sehr spezifische Rezepte an die Hand gibt, ohne dass sie belegbar sind, dann muss man das auch deutlich machen." Als unverständlich empfindet Scheide hingegen Straubhaars Kritik am Abbau von Regeln: "Man kann sehr viele Beispiele nennen, wo die Deregulierung etwas gebracht hat. So hat es daraufhin enorme Fortschritte in der Telekommunikation gegeben." Allenfalls auf den Finanzmärkten herrsche inzwischen zu viel Freiheit: "Da hat man nicht gut genug aufgepasst."

Georg Weizsäcker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, hält eine pauschale Abrechnung mit seiner Zunft ebenfalls nicht für angebracht: "Die Finanzkrise hat die Methode der Wirtschaftswissenschaften nicht widerlegt, sie hat ihr höchstens einen Dämpfer versetzt." Mit radikalen Strukturbrüchen müsse sich die Theorie schwertun: "Wenn Lehman Brothers zusammenbricht, ändert sich das Verhalten der Marktteilnehmer drastisch. Das kann man nicht prognostizieren." Schon aus diesem Grund sei es für die Ökonomen tatsächlich geboten, in ihren Aussagen bescheidener aufzutreten: "Man darf nicht so tun, als könne man sichere Vorhersagen treffen."

Auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), hat wenig Verständnis für Straubhaars grundlegende Zweifel an dem Denkgebäude der Wirtschaftswissenschaften. "So fundamental würde ich das nicht angehen", sagt Hüther dem Abendblatt. Jedoch habe sich die Volkswirtschaftslehre "übernommen"; sie habe die Finanzkrise noch immer nicht vollständig verstanden. Wie auch Scheide geht Hüther eine generelle Ablehnung der Deregulierung zu weit: "Viele Marktöffnungen, etwa in der Versicherungsbranche, stellen uns heute besser als vorher."

Zwar stütze sich die Wirtschaftswissenschaft auf ein simples Menschenbild, daher seien verhaltensökonomische Studien sicher eine sinnvolle Ergänzung. "Aber das liegt alles vor, wir müssen es nur nutzen", so Hüther.