Mit hohen Subventionen lockt Mecklenburg-Vorpommern Nahrungsmittelkonzerne an. Nun baut Nestlé in Schwerin.

Valluhn/Boizenburg. Karl-Heinz Schmidt hat einen der netteren Jobs im Fleischwerk von Edeka. Leichter Buchenduft dringt aus den 23 stählernen Kammern, in denen der Meister Tausende Würste räuchert. Mit einem kräftigen Ruck zieht Schmidt einen Rollwagen mit Wiener Würstchen heraus, beißt in eine hinein und nickt zufrieden. "Die können wir ausliefern", sagt der 56-Jährige.

Seit 3 Uhr früh läuft die Produktion im östlichsten Werk der Hamburger Supermarktkette auf Hochtouren. Mehr als 2000 Schweinehälften wandern an langen Förderbändern in die Zerlegeabteilung, werden zersägt, gepökelt, gebrüht und zu Würsten, Schinken, Kassler und Aufschnitt verarbeitet. 800 Märkte in ganz Norddeutschland beliefert Deutschlands größter Lebensmittelhändler von dem grauen Komplex aus, der direkt an der Autobahn 24 unmittelbar hinter der ehemaligen Zonengrenze liegt.

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Sechs Jahre ist es her, dass sich Edeka entschloss, das Fleischwerk vom schleswig-holsteinischen Pinneberg ins Dörfchen Valluhn in Mecklenburg-Vorpommern zu verlagern. 60 Millionen Euro hat die Supermarktkette im sogenannten Mega-Park mitten im Niemandsland investiert und bis heute rund 420 Arbeitsplätze geschaffen.

Der Grund für die Verlagerung lag auf der Hand: "Hier in Mecklenburg-Vorpommern wird Investoren noch der rote Teppich ausgerollt", sagt der Geschäftsführer des Fleischwerks, Rolf Heidenberger. Mehr als drei Jahre hatte er in Pinneberg um eine Genehmigung für einen Neubau gerungen, weil das alte Werk aus allen Nähten platzte. Doch eine Bürgerinitiative machte Front gegen den ungeliebten Nachbarn, weil sie um die Wohnqualität in der Umgebung fürchtete.

Im Osten brauchte die Baugenehmigung hingegen ganze sechs Monate. Und es gab üppige Fördergelder in Höhe von 20 Millionen Euro. "Daneben hat uns die günstige Lage an der Autobahn überzeugt", sagt Heidenberger.

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So wie um Edeka haben sie in Mecklenburg-Vorpommern auch um Nestlé gekämpft. Mehrere Jahre dauerte das Tauziehen um den weltgrößten Nahrungsmittelhersteller, bis die Landesregierung am Freitag den größten Coup seit Jahrzehnten verkünden konnte. Für seine Marke Nescafé Dolce Gusto wird der Schweizer Konzern ein Werk für Kaffeekapseln in einem Gewerbegebiet bei Schwerin errichten. 450 neue Jobs soll die Investition in Höhe von 220 Millionen Euro bringen. Ein Viertel dieser Kosten wird der Staat übernehmen.

Für den Weltkonzern Nestlé ist die Produktionsstätte im Osten die größte Investition in Deutschland seit der Wiedervereinigung. "Schwerin wird damit zu einer Kaffeemetropole", schmeichelte Deutschlandchef Gerhard Berssenbrügge seinen Gastgebern in der Handelskammer der Landeshauptstadt. Er räumte allerdings ein, dass neben der günstigen Lage zum Kaffee-Umschlagplatz Hamburg auch die in Aussicht gestellte Förderung die Entscheidung für Schwerin beeinflusst habe.

"Diese Ansiedlung stärkt die Ernährungsgüterwirtschaft, die schon eine wichtige Bedeutung für uns hat", sagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) zufrieden. Tatsächlich ist die Branche neben dem Tourismus einer der wenigen Hoffnungsträger im traditionell strukturschwachen Bundesland, das nach wie vor mit der zweithöchsten Arbeitslosenquote in Deutschland und mit einer schwachen industriellen Basis zu kämpfen hat.

+++ Rolf Heidenberger +++

Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums beschäftigen die fast 100 Betriebe der Nahrungsmittelindustrie rund 14 500 Mitarbeiter im Land. Seit 2007 kamen 1100 neue Arbeitsplätze hinzu. 3,8 Milliarden Euro setzte die Ernährungswirtschaft 2011 um. Dafür ist das Land allerdings auch bereit, hohe Summen an Subventionen zuzuschießen. Seit 1990 wurden aus Bundes-, Landes- und EU-Töpfen 383 Millionen Euro an Fördermitteln für die Branche lockergemacht.

Zu den großen Konzernen, die gleich nach der Wende in Mecklenburg-Vorpommern investierten, gehört die Oetker-Gruppe, die bei Wittenburg 75 000 Tiefkühlpizzen pro Tag herstellt und in die ganze Welt exportiert. Konkurrent Unilever ist gleich mit seiner kompletten Marke Pfanni nach Stavenhagen gezogen und verarbeitet dort jährlich 150 000 Tonnen Kartoffeln zu Knödeln, Püree und kleinen Snacks. Und Hamburgs Essighersteller Kühne baute in Hagenow eine der modernsten Fertigungsanlagen in Europa auf, in der seit Kurzem auch Salatdressings abgefüllt werden.

Den großen Erfolgen standen allerdings auch einige spektakuläre Pleiten gegenüber. Besonders peinlich war der Auftritt des Investors Frank Schaefer mit seiner Firma Caviar Creator. Ausgerechnet vom verschlafenen Demmin im Osten des Bundeslandes aus wollte er die "weltweite Marktführerschaft für die Produktion von Stör, Kaviar und Stördelikatessen" erringen. Doch der smarte Manager entpuppte sich als Millionenbetrüger, Caviar Creator ging pleite und wurde von russischen Investoren aufgekauft.

Von solchen Rückschlägen lässt man sich im Nordosten der Republik aber nicht beirren. Einer, der kräftig für den Standort Mecklenburg-Vorpommern trommelt, ist Oliver Schindler, 46. Der hochgewachsene, sportliche Manager ist ehrenamtlicher Wirtschaftsbotschafter des Landes und soll potenziellen Investoren die Vorteile des Landes erläutern. Davon kennt Schindler einige, denn im Hauptberuf führt der gebürtige Karlsruher den Bonbonhersteller Sweet Tec/Toffee Tec in Boizenburg.

In seinem silbernen Fabrikgebäude duftet es gerade nach Eukalyptus und Menthol, die Produktion von Hustenbonbons läuft. In riesigen Edelstahlkesseln köchelt die zähe, süße Masse vor sich hin, fließt dann zum Abkühlen über Förderbänder durch eine fast menschenleere Halle und wird am Ende automatisch zerteilt und in grünes Papier verpackt.

Aus einem anderen Kessel fließt die weiße Grundmasse für Kaubonbons, landet in einem weiteren Röhrensystem und kommt in fünf unterschiedlichen Farb- und Geschmacksrichtungen wieder heraus: Erdbeer, Orange, Zitrone, Kirsche und Himbeere. 3000 Bonbons pro Minute prasseln allein aus dieser Anlage, alle für den Discounter Lidl gedacht, den Hauptabnehmer von Sweet Tec in Deutschland. Ein Umsatzplus von 20 Prozent auf 65 Millionen Euro hat Schindler 2011 für die gesamte Gruppe erzielen können.

Vor sieben Jahren setzte der Chef seine erste Fabrik auf die grüne Wiese bei Boizenburg. 25 Millionen Euro investierte er, wobei 40 Prozent als Subventionen vom Land und von der Europäischen Union kamen. "Ohne die Zuschüsse gäbe es uns heute nicht", gibt der Unternehmer unumwunden zu. Zwar stammt der Sweet-Tec-Chef aus der Karlsruher Bonbon-Dynastie Ragolds (Rachengold), doch er überwarf sich früh mit seinem Vater und stieg aus dem Familienunternehmen aus. "Wir waren das Musterbeispiel für einen nicht funktionierenden Generationswechsel", sagt Schindler lakonisch.

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An seiner neuen Heimat Boizenburg schätzt der Karlsruher die Nähe zur Logistikdrehscheibe Hamburg, die niedrigen Grundstückspreise und den engen Draht zu Politikern und Behörden. Während Schindler durch seine Fabrik führt, trudelt auf seinem Smartphone gerade eine E-Mail ein. "Die Baugenehmigung für unsere Werkserweiterung bei Toffee Tec", sagt der Chef. Noch einmal gut sieben Millionen Euro will der Chef in diesem Jahr in die Hand nehmen und die Zahl der Arbeitsplätze von derzeit 240 auf rund 300 erhöhen.

Allerdings ist es für Schindler nicht einfach, trotz der hohen Arbeitslosenquote passende Fachkräfte zu finden. Wegen des noch immer höheren Lohnniveaus im Westen pendeln fast zwei Drittel der Boizenburger lieber nach Hamburg oder Lüneburg, als in der eigenen Stadt zu arbeiten.

"Wir bräuchten eigentlich eine Fachschule für die Süßwarenindustrie", sagt Schindler. Immerhin gilt die Region Ludwigslust/Parchim schon heute als der "süße Landkreis". Neben Sweet Tec sitzt hier auch die ehemalige Gummibear Factory, die heute zum Fürther Süßwarenhersteller Trolli zählt. Und in Grabow werden schon seit DDR-Zeiten Schokoküsse mit dem charakteristischen Zipfel geformt.

Noch größere Nachwuchssorgen als Sweet Tec plagen die Supermarktkette Edeka mit ihrem Fleischwerk. Trotz moderner Technik sind nämlich nur wenige Schulabgänger bereit, ihr Leben zwischen Schweinehälften und Naturdärmen zu verbringen. Hinzu kommen Arbeitszeiten, die um 3 Uhr früh beginnen und Temperaturen in den Hallen, die nur wenige Grad über dem Gefrierpunkt liegen.

Zwar werden die Schweine im Fleischwerk nicht geschlachtet, doch auch das Zerlegen der Tiere ist nichts für schwache Gemüter. Mit Sägen so groß wie Wagenräder teilen die Mitarbeiter die Schweinehälften. Im Akkord schneiden andere Beschäftigte Schinken- oder Schulterstücke heraus.

Es ist die Kolonne einer Fremdfirma, die diese unappetitlichen Arbeiten in dem Fleischwerk erledigt, angeheuert über Werkverträge für eine bestimmte Zeit. Viele der Männer haben ausländische Wurzeln, woher genau die Beschäftigten stammen, ist bei der Werksbesichtigung nicht zu klären.

Dort, wo das Fleisch für die Wiener Würstchen in die Därme gefüllt wird, arbeitet eine siebenköpfige Truppe mit vietnamesischer Herkunft. Jede Woche kommt die Kolonne mit einem Bus aus Berlin, wohnt in der Nähe des Werks und kehrt am Wochenende in die Hauptstadt zurück. Werksleiter Heidenberger schätzt die Fingerfertigkeit der Asiaten, wie er sagt.

Fleischermeister Schmidt, der Herr über die Räucherkammern, zählt zu den wenigen Beschäftigten in Valluhn, die schon vor dem Umzug für Edeka gearbeitet haben. "Im Vergleich zu früheren Jahren ist der Betrieb heute viermal so groß", sagt der gebürtige Pinneberger, dessen Eltern schon eine Fleischerei in der Stadt führten.

Wegen der familiären Wurzeln ist es Schmidt besonders schwer gefallen, aus der Nähe Hamburgs nach Mecklenburg-Vorpommern zu wechseln. Doch er baute im Alter von 50 Jahren noch einmal ein neues Haus im schleswig-holsteinischen Gudow, etwa zehn Minuten Autofahrt vom Fleischwerk entfernt. "Bereut habe ich es nicht", sagt der Fleischermeister. "Schließlich wollte ich meinen Job behalten. Und landschaftlich ist es hier wirklich schön."