Elektronik zieht ins Kinderzimmer ein - doch auch Gesellschaftsspiele sind wieder angesagt. Hersteller und Händler erwarten weiteres Umsatzplus

Nürnberg. Angespornt von drei Wachstumsjahren in Folge wird die Spielwarenbranche wieder mutig. Mit Teenagern soll nun eine verloren geglaubte Zielgruppe neu erobert werden. "Da ist Nachholbedarf da", sagte der Vizechef des heimischen Verbands der Spielwarenindustrie, Ulrich Brobeil, auf der gestern zu Ende gegangenen Branchenschau in Nürnberg. Den haben vor allem Handel und Hersteller, weil sie ihre jugendliche Kundschaft falsch einschätzen, glaubt man den Ergebnissen einer Studie. "Die Jugend spielt, sie spielt nur anders", sagt jedenfalls Studienleiter Axel Dammler.

Mit Bauklötzchen und Puppen habe man bei ihr zwar keine Chance. Ganz anders sei das aber bei klassischen Gesellschaftsspielen als einem der wichtigsten Spielwarensegmente abseits von Computer und Internet. Hier könne die Branche 13- bis 17-Jährigen "perfekt abholen", sagt Dammler. Fast zwei Drittel aller Jungendlichen zocken regelmäßig auf dem Spielbrett und mit Karten oder puzzeln.

Danach kaufen vier von fünf Teenagern jedes Jahr neue Gesellschaftsspiele und lassen dafür im Schnitt 146 Euro in den Kassen des Handels. Hochgerechnet auf die vier Millionen deutschen Teenager ergibt das gut 15 Millionen Spiele im Wert von 472 Millionen Euro, keine Randerscheinung in einer Branche, deren Umsätze voriges Jahr insgesamt um sieben Prozent auf die Rekordsumme von rund 2,7 Millionen Euro geklettert sind.

Diese Zahlen über die Jugend überraschen langjährige Branchenkenner. "Ich bin skeptisch und halte diese Dimension für übertrieben", zweifelt einer von ihnen. Aber wenn man Teenager mit Spielzeug ködern könne, dann mit Gesellschaftsspielen oder Sammelkarten. Auch Spielwarenhändler haben die Jugend anders eingeschätzt. Sie mache etwa zwölf Prozent der Kundschaft aus, haben befragte Händler vermutet.

Jugendliche leben ihre Emotionen in der Clique aus, erklärt Dammler. Dazu eigenen sich Gesellschaftsspiele besonders gut. Zurückerobert werden müssen Teenager als Kunden demnach gar nicht, nur richtig wahrgenommen und angesprochen. Sie vermissen in den Spielwarenläden zum Beispiel eigene Abteilungen, junge Fachverkäufer und die Möglichkeit zum Ausprobieren.

Bei Letzterem könnte moderne Technik unter dem Schlagwort "augmented reality" helfen. Dahinter verbirgt sich eine optische Erkennungssoftware. Wird ein Produkt vor eine Smartphone-Kamera gehalten, erkennt diese das Produkt und liefert Informationen dazu auf dem Bildschirm. Auf Spiele übertragen kann das eine virtuelle Regelerklärung und Spieldemonstration sein. Das funktioniert, ohne die Schachtel zu öffnen, notfalls ohne Verkäufer, und niemand muss die Katze im Sack kaufen.

"Das ist erst der Anfang", sagt der auf die Spielwarenbranche spezialisierte Eurotoys-Marktforscher Werner Lenzner zu dieser Entwicklung. Auch in Spielwaren selbst soll die moderne Technik künftig verstärkt eingesetzt werden. Lenzner schwärmt von einer Spielzeugpistole, in die ein Smartphone eingesetzt werden kann. Dessen Kamera gibt nicht nur den real existierenden Raum wieder, sondern auch virtuelle Ziele wie Ballons, die dann abgeschossen werden können. "Das Thema iToys ist ein Senkrechtstarter", glaubt auch der Geschäftsführer der Spielwarengruppe Idee Spiel, Otto Umbach, und wirkt begeistert.

Mit solchen und ähnlichen Ideen will die Branche ihren Siegeszug fortsetzen. "Wir erwarten, dass wir auch in diesem Jahr einen Zuwachs bei klassischen Spielwaren sehen", sagt Idee Spiel-Vize Jochen Martens. Zwei bis vier Prozent mehr Geschäft sei auch 2012 drin, schätzt Lenzner. Für selbst gemacht hält er den Aufschwung der Branche aber nur in Maßen. Sie profitiere stark von der anhaltenden Schwäche bei Computerspielen. Denn die gibt es immer mehr in Form von Gratisspielen im Internet, womit mehr Geld für andere Käufe übrig bleibe.