Hamburger Kapitalgeber eVenture stellt 100 Millionen Dollar zur Verfügung. Man hofft, sei Geld in einem Markt der Zukunft angelegt zu haben.

Hamburg. Die Adresse Hohe Bleichen 21 in der City dürften Fashionfans kennen. In dem Prada-Geschäft hinter der eleganten Fassade stöbern Trendsetter aus dem gesamten Norden nach den neuesten Kreationen der internationalen Modeszene. Das Bürogeschoss darüber mit seinen Stuckdecken, Jugendstilkaminen und Designermöbeln ist ebenfalls ein Ort für Spürnasen: Christian Leybold und Andreas Haug sind Venture-Kapitalgeber, sie statten Firmenneulinge auf der ganzen Welt mit Geld aus und sind dafür ständig auf der Suche nach den Gründertalenten mit den größten Erfolgschancen.

Geht es unten bei Prada um ein neues Outfit für einen Tausender, ebenfalls kein Taschengeld, sprechen die beiden Partner von eVenture über andere Summen. Die Hamburger, lässig gekleidet zum Termin mit der Presse, legen etliche Millionen auf den Tisch, um sich an Firmen zu beteiligen und nach dem Aufpäppeln mit einem Gewinn wieder auszusteigen.

Ihr neuester Coup: Sie investieren mit einem Fonds 100 Millionen US-Dollar (76 Millionen Euro) in Russland. "Damit werden wir zum wichtigsten Risikokapitalgeber für russische Internet-Start-ups", sagt Andreas Haug. Der 48-Jährige ist Geschäftsführer von eVenture, an dem die Otto Group maßgeblich beteiligt ist. Das ist kein Zufall, denn die Geschäfte von Otto sind ganz massiv von der digitalen Welt tangiert, mehr als die Hälfte seines Umsatzes erzielt der Konzern bereits im Internet. "Unsere Aufgabe ist es, Otto einen Einblick zu geben in die neuen Geschäftsmodelle, die sich in der Welt entwickeln", sagt Haug. Otto beteiligt sich aktuell übrigens auch am Project A, ein Unternehmen in Berlin, das jungen Firmen mit Marketing- oder Softwarekompetenzen Starthilfe gibt. Auch die bisherigen Investments von eVenture in Russland bewegen sich in der Nähe des Handelsgeschäfts von Otto, darunter beispielsweise sapato.ru, ein Online-Schuhhändler oder die Firma Darberry, das marktführende Rabattportal in und um Moskau.

Die neuen Beteiligungen über den Russland-Fonds vervollständigen bei eVenture ein ansonsten internationales Portfolio im Wert von rund 300 Millionen Euro. Zu den bekannten heutigen oder früheren Investments der Hamburger zählen der Gutscheinanbieter Groupon, Shopping.com, Angie's List, Farfetch und kaufDa. Von seinen Standorten in der Hansestadt, in San Francisco und Rio de Janeiro aus hält eVenture direkten Kontakt zu den spannendsten Städten der Internetwirtschaft. Ein großer Flachbildschirm im Konferenzraum von Leybold und Haug dient hauptsächlich den fast täglich anberaumten Videokonferenzen mit Firmenkunden.

Die 25 Mitarbeiter von eVenture sondieren den Markt in einer Zeit, in der sich die Hoffnungen der Investoren nach dem Platzen der New-Economy-Blase vor zehn Jahren erneut auf diese Branche richten. Die anstehenden Börsengänge und die Milliardenbewertungen von Internetfirmen wie LinkedIn, Twitter und dem Spielehersteller Zynga deuten an, in welchen spektakulären Dimensionen sich das digitale Business bereits wieder bewegt.

Gut 15 Internetfirmen haben für dieses Jahr ihren Börsengang angekündigt. Der Schritt von Facebook auf das Parkett in diesem Jahr dürfte dabei der größte aller Zeiten sein, einige Analysten schätzten jüngst den Börsenwert des sozialen Netzwerks auf 100 Milliarden Dollar. Groupon sammelte an der Börse jüngst 700 Millionen Dollar ein.

Auch andere Firmenbewertungen wie bei dem Internettelefondienst Skype, der von Microsoft für 8,5 Milliarden Dollar übernommen wurden, lassen Erinnerungen an die Atmosphäre zur Jahrtausendwende wach werden.

Damals wurden Ebay, Amazon und AOL geboren. Etliche junge Gründer glaubten, das Internet sei Garant für einen Geldregen. Nachdem Anfang 2000 die im Neuen Markt gelisteten Firmen noch doppelt so viel wert waren wie die Unternehmen im Nebenwerteindex MDAX, stürzten die Kurse wenig später ins Bodenlose.

Wird sich ein solcher Crash bald wiederholen? "Nein, heute leben wir in einer völlig anderen Zeit", ist Andreas Haug überzeugt. Die Gründer müssten nicht eigene kostspielige Rechenzentren aufbauen, sondern könnten sich der sogenannten Cloud bedienen, also ihre IT-Kapazitäten auslagern. Sie nutzten bestehende Technologien für E-Commerce-Shops, anstatt sie teuer zu programmieren. Zudem garantierten höhere Übertragungsgeschwindigkeiten und die Anbindung von immer mehr Haushalten ans weltweite Netz, dass die Internetfirmen ihre Kunden heute auch erreichen.

Als besonders chancenträchtig bewertet Leybold Internetfirmen mit einem Fokus auf das lokale Geschäft. Schließlich könnten die Anbieter ihre Kunden heute nicht mehr nur über den Computer, sondern auch auf Mobiltelefonen, Tablets und zunehmend auch im Auto erreichen.

Der Gutscheinanbieter Groupon beschreitet in den Vereinigten Staaten diverse neue Wege, um die Kunden unterwegs anzusprechen: Ein Friseur nutzt Groupon, um einen gerade frei gewordenen Termin über die Plattform anzubieten. Ein Restaurant kann potenzielle Gäste in der Nähe akquirieren, wenn es zu viele Steaks eingekauft hat und diese nun zu einem Sonderpreis anbieten möchte. "Firmen, die Prozesse in der Offline-Welt beschleunigen und wirtschaftlich sinnvoll gestalten, sind das Thema der Zukunft", schätzt Haug. Dazu gehörten auch (Tausch-)börsen, auf denen Privatleute ihre Wohnungen, Autos oder Gartengeräte vermieten. Beispiele sind 9flats.com oder zaarly. "So laste ich private Kapazitäten besser aus", sagt Haug, der selber theoretisch seine Wohnung in Othmarschen anbieten könnte.

Bei seinem Engagement in Russland konzentriert sich eVenture auf eine Region, in der das Internet noch viel Potenzial hat. Bereits im vergangenen Jahr gab es in Russland mehr Internetnutzer als in Deutschland. Bis 2015 sollen die Umsätze alleine im E-Commerce-Segment auf mehr als 20 Milliarden Dollar steigen. Außerdem bewegt sich eVenture mit dem Russland-Fonds in Gesellschaft etlicher guter deutsch-russischer Beziehungen in Hamburg. Sie gehören zur hanseatischen Tradition, sind zum Teil aber auch neueren Datums: So hat unter anderem Alischer Usmanow, einer der bekannten russischen Milliardäre, erst kürzlich in Hamburg eine Firma für Internetspiele auf den Weg gebracht.