Die Rostocker Neptun Werft sichert mit dem Bau von Kreuzfahrern ihre Zukunft. Der Boom für Urlaubsreisen auf Binnengewässern hält an.

Rostock/Warnemünde. Das Dröhnen der Vorschlaghämmer ist ohrenbetäubend. Mit wuchtigen Schlägen zwingen sechs Arbeiter Stahlspanten, die als Rückgrat Schiffsrümpfe stabilisieren, in die richtige Lage. Dann zischen ihre Schweißbrenner. Trotz der Mittagszeit steht die Arbeit nicht still in der Vorfertigungshalle der Neptun Werft im Rostocker Stadtteil Warnemünde. Gleich hinter den Werkern sind weitere Bau-Sektionen für Binnenkreuzfahrer aufgeständert. Über ihnen wartet ein Schwerlastkran, um sie im festgeschriebenen Zeittakt zum nächsten Arbeitsschritt zu hieven. "Wir haben hier eine Fließfertigung ähnlich wie im Autobau", versucht sich Bernd Pelz, einer der beiden Meister in diesem Bereich und Chef von 120 Mitarbeitern, durch den Lärm verständlich zu machen. Nach und nach bereiten die Männer in der Halle die Blöcke für die Flussschiffe vor, ehe sie in den Schiffbauhallen zusammengesetzt werden. Am Ausrüstungskai liegen zwei fast fertige Kreuzfahrer für einen Großkunden, die aus Basel gesteuerte Reederei Viking River Cruises. "Es gibt Arbeit bis unters Dach", sagt Pelz und sein Stolz lässt sich aus den Worten heraushören.

+++Flotte wird aufgerüstet+++

Keine Frage: Von der Flaute im deutschen Schiffbau, von Auftragsmangel ist hier an der Ostsee wenig zu spüren. Allein zehn Neubauten für Flusskreuzer sind bei Neptun fest bestellt - ein Rekordwert. Dazu kommen das Forschungsschiff "Sonne" und bundesweit erstmals ein Tanker, der künftig flüssiges Erdgas, gekühlt auf minus 164 Grad, transportieren und als Treibstoff nutzen soll. "Das Schiff entspricht der derzeit modernsten Technologie", sagt Werft-Geschäftsführer Manfred Müller-Fahrenholz. Die hereingeholten Aufträge lasten die Belegschaft bis Ende 2012 komplett aus. Die Arbeit an der vom Bund bestellten "Sonne" reicht aber sogar bis Anfang 2015.

Das Konzept von Neptun, der Spezialschiffbau, gilt derzeit als letzte Chance der deutschen Branche gegen Chinesen, Koreaner und andere Schwellenländer in Asien - und Neptun hat dazu mit den Binnenkreuzfahrtschiffen als einer der Ersten eine ausbaufähige Marktnische gefunden. Notgedrungen. Denn gleich zweimal nach der Wende 1990 musste sich die Werft neu aufstellen. Zum ersten Mal, als die EU Neptun aus dem Kreis der Neubauwerften strich, nachdem sie im Gegenzug für die milliardenschwere Förderung die Schiffbaukapazität im Osten auf 60 Prozent des Werts von 1989 begrenzt hatte. Zum zweiten Mal nach der Pleite des damaligen Mutterkonzerns Bremer Vulkan im Jahr 1996.

+++Kommentar: Neptun-Werft erfindet sich neu+++

Den Neubeginn sichert dann zunächst die Papenburger Meyer Werft, die Neptun 1997 als Reparaturwerft übernimmt. Mit der steigenden Zahl der Kreuzfahrtgäste auf Meer und Flüssen ergibt sich die Chance zum Bau von Flussschiffen. "Die Werft hat dabei von der Expertise für Hochseekreuzfahrer in Papenburg profitiert und profitiert weiter", sagt Ingenieur Müller-Fahrenholz, der 1975 bei Meyer in Papenburg begann und 2000 nach Warnemünde wechselte. Schiffbaumeister Pelz geht da noch einen Schritt weiter. "Mit seinem Engagement hat Bernard Meyer Neptun gerettet", ist er überzeugt. "Ohne Meyer würde es uns heute nicht mehr geben", betont auch Neptun-Personalchef Werner Kruse. Beide haben wie knapp die Hälfte der heutigen 440 Mitarbeiter schon vor der Wende für Neptun gearbeitet und wissen, wie es war, als von 1989 an Tausende der 6800 Beschäftigten gehen mussten.

Den ersten Auftrag für zwei Binnenkreuzer schaltet im Herbst 2000 die ebenfalls in Rostock ansässige Arosa-Reederei. Sie ging zuvor ebenso wie die Hochsee-Kreuzfahrtreederei Aida aus der deutschen Seereederei (DSR) der ehemaligen DDR hervor, die die beiden Hamburger Kaufleute Horst Rahe und Nikolaus Schües übernommen hatten. "Wir haben die Werft darauf aufmerksam gemacht, dass Neubauten für Flusskreuzfahrtschiffe nicht unter das Verbot der EU fallen", erinnert sich der heutige Arosa-Chef Lars M. Clasen, "die konnten ihr Glück kaum fassen." Vor allem auch deshalb, weil Arosa seit 2002 jedes Jahr ein neues Schiff in Warnemünde bestellt hat. "Den Boom für den Urlaub auf dem Wasser haben wir mit ausgelöst", sagt Clasen selbstbewusst und belegt dies mit Zahlen. So registrierten Aida und Arosa, als sie sich 2004 trennten, 240 000 Gäste. In der gesamten Branche waren es im Jahr 1995 gerade einmal 220 000.

Das Wachstum bei den Binnen-Kreuzfahrten hält an. "Seit 1997 zeigt der Trend bei Umsatz und Passagieren auf den Flüssen nach oben, und dies wird sich fortsetzen", ist der Hamburger Kreuzfahrtexperte Helge H. Grammerstorf überzeugt. 2010 buchten 432 766 Gäste und bescherten den Reedereien ein Plus von 9,3 Prozent. Die Einnahmen erreichten nach Berechnungen von Grammerstorfs SeaConsult knapp 472 Millionen Euro nach noch knapp 190 Millionen Euro zehn Jahre zuvor. Wurden in den vergangenen fünf Jahren alle zwölf Monate neun bis zehn Schiffe abgeliefert, so werden es in diesem Jahr 16 sein. "Obwohl ältere Schiffe lange genutzt werden", sagt Grammerstorf, "besteht weiter Neubaubedarf."

Arosa hat für ihre Aufträge bisher ausschließlich Neptun gewählt. Denn die Werft bringt stets zwei Vorteile ins Spiel, die die Konkurrenz nicht bieten kann. Einer ist der Standort. So liegt der Betrieb nur knapp zehn Kilometer von der Arosa-Zentrale in Rostock entfernt. "Das spart uns bei jedem Schiff mehrere 100 000 Euro, weil wir unsere Bauaufsicht mit bis zu zehn Ingenieuren nicht auf Reisen schicken müssen", sagt Clasen. Bei Preisen zwischen 20 und 25 Millionen Euro pro Schiff eine Summe, die ins Gewicht fällt. Dazu ist die Meyer Werft jederzeit für eine Bürgschaft für ihre Tochter gut, die die Reederei während der Bauphase absichert. Nach bisher neun Aufträgen werden 2012 und 2013 zwei weitere Schiffe geliefert. Auch für 2014 gibt es "Ideen und Pläne". Eine Entscheidung steht aber noch aus.

Klar ist für Clasen: Spätestens in acht bis zehn Jahren wird sich die Zahl der Flussfahrtpassagiere auf eine Million verdoppeln. Schon weil die Zahl der Menschen über 50 Jahren bundesweit künftig immer mehr steigen und damit die Zielgruppe für Reisen auf den Flüssen größer wird. Zudem interessieren sich immer mehr Passagiere von Hochseekreuzfahrten auch für die Reisen durchs Binnenland, hat Arosa in einer Umfrage ermittelt. "Wir werden zudem Hotelurlauber gewinnen, die die europäischen Städte an Donau, Rhein oder Rhone besuchen wollen, ohne ständig aus- und einzupacken", sagt Clasen.

Neptuns Chancen stehen so nicht schlecht. Werft-Chef Müller-Fahrenholz, 61, hat sich bereits entschieden, in jedem Fall nicht vor dem Rentenalter mit seiner Frau Therese in seine Heimat Ostfriesland zurückzukehren. Auch Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling (parteilos) spricht bei Neptun von einer "Erfolgsgeschichte". In seinem Amtszimmer zeigt er auf ein Bild der Rostocker Malerin Berit Ida, das einen Kran am ersten Standort der Werft in der Stadt zeigt. "Seit 800 Jahren", so der OB, "sind Schiffbau, Schifffahrt und der Hafen die Grundlage für die Wirtschaft Rostocks." Da gehört die Neptun Werft für ihn selbstverständlich zu den Bausteinen für die Zukunft der gut 200 000 Einwohner. In Warnemünde atmet Werft-Personalchef Kruse tief durch. "Wir übernehmen unsere Lehrlinge, wir stellen Mitarbeiter ein und neue Ingenieure kommen nach Warnemünde", sagt er. "Neptun hat wieder einen Namen."