Hamburgerin Annerose Beurich wächst mit neuem Buchhandelskonzept Stories! stärker als die Branche

Hamburg. Annerose Beurich hat sich nicht weniger als ihren Lebenstraum erfüllt. "Ich wollte schon immer meine eigene Buchhandlung haben", sagt die Wahlhamburgerin. Mit ihrem Buchladen Stories! am Straßenbahnring ist für die Literaturliebhaberin der lang gehegte Plan zur Wirklichkeit geworden. Die 47-Jährige strahlt mit ihrem blonden Kurzhaarschnitt und den blitzenden Augen viel Energie aus, auch an diesem Tag, der mit Dauerregen und Sturmböen eher für schläfrige Stunden auf dem Sofa geeignet scheint. Beurich braucht die Power, gerade in ihrer Branche. Bücher sind keine Selbstläufer mehr. Etliche junge Leute verbringen mehr Zeit vor dem Computer als mit einem Buch. Und große Ketten wie Thalia bedrängen kleinere Läden, die mit der Literatur kaum noch genug Geld zum Überleben verdienen. Bei Beurich ist es anders. Sie gehört trotz aller Herausforderungen in ihrer Branche mit Stories! zu den erfolgreichsten Buchhändlern in der Bundesrepublik.

Während der Markt in den vergangenen Jahren jeweils nur um knapp ein Prozent zulegen konnte und sich um die zehn Milliarden Euro einpendelt, wächst der Umsatz bei Stories! auf gleicher Fläche zweistellig, freut sich die Unternehmerin. Nach dem Erfolg mit dem ersten Geschäft in Eppendorf, das sie Anfang 2008 eröffnete, hat Beurich jetzt den Schritt in die City gewagt: Seit einigen Wochen ist Stories! auch im Hanse-Viertel vertreten.

Stories! wächst, während der Verband der Branche, der Börsenverein, jedes Jahr mehr als 100 Mitglieder verliert: Die Händler geben ihr Geschäft auf. Schließlich werden immer mehr Bücher als E-Books verkauft, der Einfluss der Internethändler wie Amazon wächst. Der Online-Handel mit Büchern hat in den vergangenen drei Jahren jeweils Erlöse in Höhe von 500 Millionen Euro dazugewonnen und erreicht einen Anteil von 17 Prozent.

Auch an den Universitäten, in den Schulen und in den Bibliotheken der Firmen und Kanzleien schrumpft der Anteil an gedruckten Büchern, weil der Trend zu elektronischen Medien geht.

Außerdem wächst die Konkurrenz zum Buch, sagt Beurich. "Das Buch steht im Wettbewerb zu allem, mit dem ich eineinhalb Stunden freie Zeit verbringen kann." Filme, Musik, Zeitschriften, Computerspiele, alle diese Medien stellen Alternativen dar. Der Griff zum Buch ist da längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Beurich sieht den Schlüssel zum Erfolg daher in der besonderen Inszenierung. "Ich kaufe einen teuren Kaschmirpulli doch auch nur, wenn er schön präsentiert wird", sagt die gelernte Buchhändlerin. Bei vielen ihrer Mitstreiter, die in Deutschland 4900 Buchläden betreiben, vermisst sie diese Orientierung an einer liebevollen Präsentation.

Bei Stories! haben etliche Bücher ihren besonderen Auftritt. Sie stehen nicht Rücken an Rücken, sondern mit dem Titel gut sichtbar in den Regalen. Zum Teil wirken sie in den Schaukästen wie gerahmt. "Es erscheinen 80 000 Bücher im Jahr", sagt Beurich, "da ist es Aufgabe des Buchhändlers, eine Vorauswahl zu treffen und dem Kunden eine Orientierung zu geben."

Zur Gestaltung des Ladens, der mit lackweißen Regalen und edlen Materialien das sichtbare Werk von Innenarchitekten ist, gehören aber auch Überraschungen. "Dann sortieren wir die Bücher nach Farben, und es steht plötzlich Astrid Lindgren neben Jürgen Habermas", lacht Beurich.

Dabei hört die Beratung nicht zum Ladenschluss auf. Fast schon Kult ist das "Abendbrot" bei Stories!. Zu Leberwurstschnittchen und einem Glas Wein stellen die Mitarbeiter ihre Lieblingsbücher vor. Inzwischen gibt es lange Wartelisten für die Veranstaltungen, mit denen Stories! sich von den Konkurrenten abhebt, die nur Lesungen mit Autoren anbieten.

Eine weitere Besonderheit in Beurichs Läden ist die Konzentration auf einen Lieferanten, auf den Großhändler Libri, den ehemaligen Arbeitgeber der Unternehmerin. "Dadurch haben wir weniger Bürokratie", sagt die Chefin - sie kommt mit zehn Mitarbeitern aus.

Annerose Beurich profitiert in Hamburg, dem Heimatmarkt der Kette Thalia, allerdings nicht nur von ihrer Kreativität, sondern auch vom Lesehunger der Hanseaten: Hamburg ist die Stadt, in der bundesweit das meiste Geld für Bücher ausgegeben wird. 131,02 Euro pro Kopf und Jahr sind es an der Elbe, danach folgen Bayern und Baden-Württemberg. "Das ist sicherlich eine Frage der Kaufkraft", schätzt Beurich. Die gebürtige Fränkin äußert aber auch noch eine andere Vermutung: "Vielleicht liegt es auch am schlechten Wetter?"