Mehrheit der 40 größten Anbieter von Lebensversicherungen kürzt 2012 Verzinsung. Überschussbeteiligung sinkt im Schnitt auf 3,87 Prozent.

Hamburg. Es sollte eine Überraschung werden: Helga Grahl wollte für ihren Sohn etwas Geld sparen und investierte vor acht Jahren 6000 Euro als Einmalzahlung in eine Rentenversicherung der R + V. "Innerhalb von 17 Jahren sollte sich das Geld mehr als verdoppeln, wurde mir beim Abschluss in meiner Volksbank vorgerechnet", sagt die Rentnerin. Der Sohn hätte dann daraus eine jährliche Rente beziehen oder sich das Geld auf einen Schlag auszahlen lassen können. Doch als ihr Kind von der Police erfuhr, war es angesichts der tatsächlichen Wertentwicklung nicht gerade begeistert.

Die wohlklingenden Bescheide über den "Stand der Rentenversicherung", die seine Mutter stets abgeheftet hatte, offenbarten, dass bisher nur 345 Euro Zinsgewinn angefallen waren - nach acht Jahren Laufzeit. "Mit einem Sparbrief läge der Zinsgewinn jetzt bei mindestens 1000 Euro, die Abgeltungssteuer schon berücksichtigt", rechnet der Sohn vor.

Das Versprechen einer Verdoppelung des Kapitals rückt unterdessen zunehmend in weite Ferne. Denn die R + V gehört zu jenen 34 Versicherern, die in der Abendblatt-Umfrage unter den 40 größten deutschen Lebensversicherern ihre laufende Verzinsung für 2012 gesenkt haben. Das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Beispiel R + V: Statt mit 4,10 Prozent werden die Sparanteile der Kunden im Jahr 2012 nur noch mit 3,85 Prozent verzinst.

Die Sparanteile ergeben sich aus den eingezahlten Beiträgen abzüglich der Kosten für Vertrieb, Verwaltung und Risikoschutz. "Die aktuelle Anpassung an die Kapitalmarktentwicklung ist verantwortungsbewusst und vorausschauend, um auch in Zukunft unsere Garantieversprechen einlösen zu können", sagt Rainer Neumann, Finanzvorstand der R + V, des drittgrößten Lebensversicherers. Was das bedeutet, hat inzwischen auch Helga Grahl erkannt. "Wahrscheinlich bekommt mein Sohn nur 9350 Euro zurück", sagt sie. Denn das ist das Garantieversprechen.

Die niedrigen Zinsen bringen die Lebensversicherer in Bedrängnis. Seit mehr als anderthalb Jahrzehnten müssen sich die Kunden Jahr für Jahr mit einer sinkenden Verzinsung, auch Überschussbeteiligung genannt, abfinden. Im Durchschnitt liegt sie in diesem Jahr bei 3,87 Prozent, ergab die Umfrage des Abendblatts unter den 40 größten Lebensversicherern, die 90 Prozent des Marktes abdecken. Im Vorjahr lag der Wert noch bei 4,08 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 schrieben die Versicherer ihren Kunden noch 7,15 Prozent gut. Die laufende Verzinsung gilt in der Regel für Kapitallebensversicherungen, private Rentenversicherungen und Riester-Verträge. Erstmals wurde jetzt die Marke von vier Prozent nach unten durchbrochen. "Es ist der niedrigste Wert seit mehreren Jahrzehnten", sagt Manfred Poweleit, Herausgeber des Branchendienstes Map-Report. Da tröstet es wenig, dass die Inflationsraten zuletzt deutlich niedriger waren als etwa zu Beginn der Neunziger Jahre - damals wurde ein Großteil der Rendite durch Preissteigerungsraten von rund fünf Prozent aufgefressen.

+++ Zinsgutschriften für Anleger sinken 2012 +++

+++ Umfrage: Lebensversicherungen lohnen sich weniger +++

Eine Trendwende bei der Zinsentwicklung ist derzeit nicht in Sicht. Doch von ihr hängen die Versicherer ab, denn 88 Prozent der Kundengelder stecken in festverzinslichen Papieren. Die durchschnittliche Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen fiel von 6,82 Prozent im Jahr 1995 auf 2,67 im Jahresdurchschnitt 2011. Diese Entwicklung zeigt, dass die Versicherer schon jetzt von Reserven zehren müssen, um die aktuelle Verzinsung noch zu erfüllen. "Als Folge der niedrigen Zinsen haben die Vorsorgesparer mehr als die Hälfte der üblichen Zinsüberschüsse verloren", sagt Poweleit. Er beziffert den Fehlbetrag durch die niedrigen Zinsen in den vergangenen 15 Jahren auf 170 Milliarden Euro. Insgesamt verwalten die Lebensversicherer 747 Milliarden Euro an Kapitalanlagen.

Rund die Hälfte der Versicherer hat inzwischen eine Überschussbeteiligung von weniger als vier Prozent. So liegt der Wert bei Zurich Deutscher Herold nur noch bei 3,35 Prozent. "Natürlich bekommen die Kunden mit einem höheren Garantiezins den bei Vertragsabschluss zugesagten Zins", sagt Unternehmenssprecher Bernd O. Engelien. In der Niedrigzinsphase sind jetzt Versicherungsverträge mit einem Garantiezins von vier Prozent besonders wertvoll. "Eine Senkung des einmal dem Kunden zugesagten Garantiezinses ist ausgeschlossen", sagt Dominika Kula von der Finanzaufsicht BaFin. Die Garantien könnten erst angetastet werden, wenn dem Versicherer ein Insolvenzverfahren droht.

Doch wenn es immer weniger zu verteilen gibt und einem Teil der Kunden vier Prozent gutgeschrieben werden müssen, dann bleibt für die anderen Kunden mit einem Garantiezins von 2,75 oder gar 1,75 Prozent weniger übrig. Bei den Versicherern entsteht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. "Jüngere Kunden müssen ältere durch einen Verzicht auf Überschüsse quersubventionieren, damit die hohen Garantien aus den 90er-Jahren erfüllt werden können", sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten.

Seit 1. Januar beträgt der Garantiezins nur noch 1,75 Prozent statt bisher 2,25 Prozent. Folglich fallen die garantierten Renten nach 30 Jahren Einzahlung von monatlich 150 Euro, also insgesamt 54 000 Euro, sehr niedrig aus. Die besten Angebote kommen noch von Direktversicherern wie Europa, die dem Mann ab dem 67. Lebensjahr eine monatliche Rente von 248 Euro garantiert. Doch mit 85 Jahren hätte er das eingezahlte Geld erst zurück.

Nun ist nicht zu erwarten, dass nur die garantierte Rente gezahlt wird, aber die prognostizierte Rente im ersten Jahr beruht auf der Annahme, dass die Überschussbeteiligung konstant bleibt, also in den Folgejahren weder gesenkt noch erhöht wird. Da das wenig wahrscheinlich ist, sind innerhalb von 30 Jahren Laufzeit große Abweichungen nach unten oder oben möglich. Unter dieser Einschränkung kommen die besten Rentenangebote für Frauen und Männer mit mehr als 410 Euro Monatsrente von Allianz, Signal-Iduna und Europa. Männer erhalten eine höhere Rente als Frauen, weil sie eine kürzere Lebenserwartung haben.

Experte Rudnik wie auch die Verbraucherzentrale Hamburg raten dennoch von einem Neuabschluss ab. "Das lohnt sich nicht", sagt Rudnik. Allerdings warnt er vor einem vorschnellen Ausstieg aus Altverträgen, nur weil jetzt die Überschussbeteiligung sinkt. Altverträge sind für ihn vor 2005 abgeschlossene Policen, weil sie noch den Vorteil der Steuerfreiheit haben.

Bei den Kapitalanlagen sind viele Lebensversicherer offenbar solide aufgestellt, wie die Umfrage des Abendblatts zeigt. Denn sie halten kaum Staatsanleihen in den Problemländern Griechenland, Portugal, Spanien, Irland und Italien. So kommt Marktführer Allianz auf einen Anteil von 2,2 Prozent dieser Staatsanleihen an den gesamten Kapitalanlagen. Kaum eine Gesellschaft weist höhere Werte auf.