Deutsch-amerikanischer Privatinvestor könnte 240 Millionen Euro in die Warenhauskette stecken. Die Gewerkschaft lobt die Entscheidung.

Hamburg/Essen. Es war eine wahre Marathonsitzung. Von elf Uhr früh bis zum Abend verschanzten sich die Mitglieder des elfköpfigen Karstadt-Gläubigerausschusses im dritten Stock der Essener Hauptverwaltung. Allenfalls für kurze Zigarettenpausen kamen sie aus dem schmucklosen Konferenzraum, in dem zu besseren Zeiten die Aufsichtsratssitzungen des insolventen Warenhauskonzerns stattfanden. Auf der Tagesordnung stand nichts weniger als die Zukunft von Karstadt. Kurz vor 19 Uhr drang schließlich die erlösende Nachricht aus der Zentrale: Der deutsch-amerikanische Investor Nicolas Berggruen, 48, hatte den Zuschlag für den traditionsreichen Kaufhauskonzern mit 120 Standorten und rund 25 000 Beschäftigten erhalten. Insolvenzverwalter Klaus Hubert Görg sagte, der Kaufvertrag solle "umgehend" unterzeichnet werden und im Spätsommer in Kraft treten.

Der Sohn des verstorbenen Kunstmäzens Heinz Berggruen drängte damit gleich mehrere große Konkurrenten aus dem Rennen. Das Konsortium Highstreet als Vermieter eines Großteils der Karstadt-Immobilien ging ebenso leer aus wie der Finanzinvestor Triton. Zudem hatte sich Karstadt-Konkurrent Metro Hoffnungen gemacht, nach einer Zerschlagung Teile des Wettbewerbers übernehmen zu können.

Am Ende fiel die Entscheidung für Berggruen mehr als deutlich aus: Neun Stimmen in dem elfköpfigen Ausschuss wurden für ihn abgegeben. Eine entsprechende Tendenz hatte sich schon am Vormittag abgezeichnet, nachdem die Gewerkschaft Ver.di überraschend vom Konsortium Highstreet auf die Seite des Deutsch-Amerikaners gewechselt war. Ausschlaggebend sei gewesen, dass sein Konzept keine weiteren Zugeständnisse der Belegschaft vorsehe, sagte Ver.di-Sprecherin Cornelia Haß dem Abendblatt. Darüber hinaus sei er nicht auf Banken angewiesen, weil er selbst genug Geld besitze.

Nicolas Berggruen kündigte an, Karstadt modernisieren zu wollen. Die Warenhauskette sei nun fast 130 Jahre und damit "eine alte Dame". Er wolle Karstadt "erneuern, interessanter machen", sagte Berggruen. Laut früheren Berichten will der Investor in den kommenden drei Jahren über 240 Millionen Euro in Karstadt stecken. Alle Standorte sollen erhalten bleiben. Drücken will er nur die Zahlungen an die Vermieter.

Das Handicap des jugendlich wirkenden Junggesellen mit dem gepflegtem Dreitagebart: Er hat keine Ahnung vom Handelsgeschäft. Um dieses Manko auszugleichen, hat sich Berggruen mit der US-Modekette BCBG Max Azria aber einen Partner ins Boot geholt, der zumindest etwas vom Textilgeschäft versteht. Zudem hat der Deutsch-Amerikaner, dessen Vermögen "Forbes" auf 1,8 Milliarden Dollar beziffert, zumindest Erfahrung im Sanieren von Firmen. 2007 übernahm er ohne langen Vorlauf Teile des insolventen Möbelriesen Schieder mit 3500 Mitarbeitern und machte sie wettbewerbsfähig.

Aufgrund seines rastlosen Lebensstils bezeichnete das "Wall Street Journal" Berggruen einmal als "obdachlosen Milliardär". 1961 in Paris geboren, hatte er sich nach einem Finanzstudium in New York schon früh als privater Investor selbstständig gemacht. 1986 bündelte er seine Aktivitäten unter dem Namen Berggruen Holdings. Das Unternehmen investiert weltweit vor allem in Firmenbeteiligungen und Immobilien. Als Architekten für seine Projekte beauftragt der Kunstliebhaber gern Köpfe wie Norman Foster, Richard Meier und David Chipperfield.

Zu Berlin mit seinen zahlreichen Karstadt-Filialen hat der Finanzmanager eine besondere Beziehung: Sein Vater, einer der bedeutendsten Kunstsammler des 20. Jahrhunderts, wurde hier geboren und musste 1936 vor den Nazis fliehen. Der Sohn, der selbst eine exquisite Werksammlung von Künstlern wie Andy Warhol, Damien Hirst und Jeff Koons hat, kündigte 2007 an, ein Privatmuseum für zeitgenössische Kunst in Berlin zu errichten.

Zuvor hatte er sich auch wirtschaftlich in der Hauptstadt engagiert. 2005 gründete er die Nicolas Berggruen Holdings GmbH im Stadtteil Kreuzberg, die in zahlreiche Immobilien in Berlin und Brandenburg investiert. Zum Besitz gehören das traditionsreiche Café Moskau an der Karl-Marx-Allee, die Sarotti-Höfe und die neue Bleibe des Künstlerhauses Bethanien in Kreuzberg.

Bei Karstadt steht der Investor nun aber vor seiner größten Aufgabe. Der Warenhauskonzern hat es aus Sicht des Handelsexperten Kai Hudetz versäumt, seine noch verbliebenen Warenhäuser zu modernisieren. "Zwar haben sich Flaggschiffe wie das Alsterhaus oder das KaDeWe positiv entwickelt, doch in der Fläche gibt es viele Häuser, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint", sagt Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung in Köln.

Nach Einschätzung von Professor Jörg Funder vom Institut für internationales Handelsmanagement an der Fachhochschule Worms sind allein 100 bis 150 Millionen Euro jährlich notwendig, um das Karstadt-Geschäft in den kommenden drei Jahren zu stabilisieren. "Da sind die dringend benötigten Investitionen in neue Strukturen und Immobilien noch gar nicht eingerechnet", sagte er dem Abendblatt.

"Ein neues Karstadt-Management muss den Mut haben, die unrentable Mitte zu verlassen und sich auf eine klare Zielgruppe auszurichten", so der Experte. Aus seiner Sicht sollte sich das Unternehmen von der Unterhaltungselektronik, aber auch von Büchern und Haushaltswaren verabschieden. Ausgebaut werden müsse hingegen der Textilbereich. Auch Drogerieartikel, Uhren, sowie Leder und Schuhe hätten im Kaufhaus der Zukunft ihren Platz.