Seit Monaten droht Griechenlands finanzieller Untergang. Jetzt bittet Athen die anderen EU-Staaten um Hilfe. Ist damit die Krise vorbei? Und was kostet Deutschland der Beistand? Beate Kranz beantwortet die wichtigsten Fragen.

Der Hilferuf umfasste nur drei Briefzeilen: "Sehr geehrte Herren, in Übereinstimmung mit der Erklärung der Staats- und Regierungschefs vom 25. März 2010, finanzielle Hilfe für Griechenland, wenn nötig, bereitzustellen, und der darauffolgenden Erklärung der Euro-Gruppe, bittet Griechenland hiermit um die Aktivierung des Hilfsmechanismus."

Unterzeichnet wurde der Antrag vom griechischen Finanzminister Giorgos Papakonstantinou, Adressaten sind der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, EU-Währungskommissar Olli Rehn und der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet.

Welche Bedeutung hat der Hilferuf für die Währungsunion, Deutschland, Griechenland und die Steuerzahler?

Welche Hilfen beantragt Griechenland?

Griechenland bittet um Finanzhilfen, ohne eine konkrete Summe zu nennen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU-Länder hatten Griechenland vor vier Wochen ein Hilfspaket von insgesamt 45 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Davon übernehmen die Europäer 30 Milliarden Euro. Das Paket ist auf drei Jahre ausgelegt.

Wann wird das Geld ausbezahlt?

Das konkrete Hilfsprogramm muss von der EU-Kommission und der EZB geprüft, danach von den Euro-Ländern einstimmig aktiviert werden, was innerhalb einer Woche geschehen könnte. Bevor Hilfen für 2011 und 2012 fließen, müssen die Griechen dem IWF noch ein Sparprogramm vorlegen, wie der Staatshaushalt saniert werden soll. Konkret benötigt Griechenland erst Mitte Mai frisches Geld - rund zehn Milliarden Euro.

Was muss Griechenland im Gegenzug erfüllen?

Die Athener Regierung hat Griechenland bereits ein rigides Spar- und Reformprogramm verordnet, gegen das die Bevölkerung regelmäßig mit ganztägigen Streiks, Demonstrationen und Straßenschlachten protestiert. Geplant sind unter anderem deutliche Kürzungen der Renten und Gehälter von Beamten. Das Hilfsprogramm für die nächsten zwei Jahre wird voraussichtlich nur unter weiteren strengen Auflagen vergeben. Welche Bedingungen das sind, ist bislang offen.

Reichen diese Hilfen aus?

Viele Ökonomen erwarten, dass die jetzigen Hilfen bei Weitem nicht genügen. Nach aktuellen Schätzungen hat das Land einen Finanzierungsbedarf von 213 Milliarden Euro. Die Staatsschulden liegen offiziell bei 274 Milliarden Euro, die Neuverschuldung 2009 betrug 13,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Drei Prozent sind erlaubt. Die finanzielle Lage des Landes ist prekär. Das Problem: "Alle Finanzhilfen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein", urteilt der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. "Griechenland fehlt ein tragfähiges Konzept, wie seine Wirtschaft wieder auf die Beine kommen kann. Dies ist aber für eine dauerhafte Erholung notwendig."

Was kostet Deutschland die Hilfe?

Deutschland übernimmt als stärkste Wirtschaftsmacht im Euro-Raum auch den größten Teil der Euro-Hilfen. Auf die Bundesrepublik entfallen rund 28 Prozent der Summe - und damit 8,4 Milliarden Euro alleine für 2010. Konkret errechnet sich der Anteil nach der Beteiligung des Landes am Kapital der Europäischen Zentralbank. Falls Griechenland noch mehr Geld benötigt, könnten in den Folgejahren weitere Milliarden Euro fällig werden. Eine Obergrenze gibt es nicht.

Kurzfristig könnte Deutschland an den Krediten sogar verdienen. Die Kredite sollen mit einem Zinssatz von rund fünf Prozent an Griechenland vergeben werden. Gleichzeitig zahlt Deutschland selbst am Markt derzeit nur drei Prozent Zinsen. Doch viele Ökonomen gehen davon aus, dass Griechenland seine Kredite nicht so schnell - wenn überhaupt - zurückzahlen wird. Der Eurokritiker und ehemalige Hamburger Wirtschaftssenator Professor Wilhelm Nölling ist überzeugt: "Es ist ausgeschlossen, dass Griechenland das Geld jemals zurückzahlen kann. Es handelt sich um ein Geschenk, eine Subvention." Damit muss am Ende der Steuerzahler für die ausgefallenen Kredite geradestehen und die Rettung Griechenlands mitfinanzieren.

Reißt die Hilfe neue Löcher in den deutschen Haushalt?

Die Bundesregierung behauptet: Nein. Der Milliardenkredit soll über die staatseigene Förderbank KfW abgewickelt werden, der Bund würde dann für die Summe nur bürgen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will dafür die Zustimmung des Bundestags einholen.

Können die Hilfszahlungen noch gestoppt werden?

Theoretisch ja, praktisch aber unwahrscheinlich. Die Bundesregierung hat wie andere EU-Länder ein Vetorecht. Grund dafür ist, dass eine deutsche Beteiligung aus verfassungsrechtlichen Gründen nur unter sehr strengen Bedingungen möglich sei. Hilfen sind nur dann erlaubt, wenn das Motiv dafür nicht eine Unterstützung Griechenlands ist, sondern die Stabilität des Euro.

Verstoßen die Hilfen gegen den Maastricht-Vertrag?

Viele Ökonomen werten die Hilfe der Euro-Länder als klaren Verstoß gegen die "No bail out"-Klausel (Artikel 125) im Vertrag von Maastricht. Diese schreibt vor, dass kein Euro-Land für Verbindlichkeiten und Schulden eines anderen Teilnehmerlandes haften oder aufkommen muss. Diese Regel wurde eigens geschaffen, um unsolides Haushalten einzelner Euro-Länder zu verhindern.

Vier deutsche Wissenschaftler, die schon 1998 gegen die Euro-Einführung geklagt hatten, wollen deshalb in Kürze Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die EU-Hilfen einreichen. Zu dem Team zählen der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, der frühere Hamburger Landeszentralbank-Präsident Wilhelm Nölling und die beiden Ökonomen Joachim Starbatty und Wilhelm Hankel.

Inwieweit sind auch Banken betroffen?

Bei einer Staatspleite drohen deutschen Banken und Versicherungen erhebliche Ausfälle und Abschreibungen. Denn sie sind nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) mit 43 Milliarden Dollar die drittgrößten Gläubiger Griechenlands - nach französischen (75 Milliarden) und Schweizer Instituten (64 Milliarden). Betroffen seien unter anderen die Commerzbank, die Hypo Real Estate, Allianz, Münchener Rück, Postbank, Deutsche Bank sowie die beiden Landesbanken BayernLB und WestLB.

Sind weitere Länder akut gefährdet?

Die Wirtschaftslage in der Euro-Zone ist derzeit so prekär wie nie zu vor. Neben Griechenland zählen Irland, Spanien und Portugal zu den großen Defizitsündern. Ein Domino-Effekt wird derzeit dennoch nicht befürchtet, sagte der Konjunkturchef des renommierten Hamburgischen Weltwirtschaft-Instituts (HWWI), Michael Bräuninger: "Griechenland hat bewusst falsche Zahlen vorgelegt. Die Defizite der anderen Staaten sind krisenbedingt und daher nicht vergleichbar."

Wie stabil ist der Euro?

Die Griechenlandkrise bringt die Stabilität des Euro aus Sicht vieler Ökonomen in Gefahr. Dies ist deutlich an dem Kursverfall gegenüber dem Dollar abzulesen. Der Euro sank von 1,51 US-Dollar im Dezember auf derzeit 1,33. "Der Euro ist zum Spekulationsobjekt geworden", sagt Hickel. Um die Glaubwürdigkeit zu stärken, fordert der Konjunkturchef vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, Joachim Scheide, künftig eine strikte Einhaltung der Maastricht-Kriterien und schnellere Sanktionierung bei Fehlverhalten: "Die Währungsunion wackelt und wird zur Bewährungsprobe für den ganzen Euro-Raum, weil die Spielregeln nicht eingehalten werden."

Kommt jetzt eine große Inflation?

Ökonomen erwarten zwar leicht steigende Preise, aber keine große Inflationswelle. Der schwächere Eurokurs wird mittelfristig die Importe - wie Öl - verteuern und damit die Preise in die Höhe treiben, meint Hickel. Gleichzeitig profitieren derzeit deutsche Exporteure von der Abwertung, da sie ihre Waren im außereuropäischen Raum günstiger anbieten können. Nölling erwartet zudem steigende Zinsen.

Kann Griechenland aus der EU ausgeschlossen werden?

Ein Ausschluss von EU-Mitgliedern aus der Europäischen Union ist nicht möglich. Allerdings sieht der Vertrag von Lissabon, der seit Dezember 2009 gilt, erstmals die Möglichkeit vor, dass Mitgliedstaaten freiwillig aus der Union austreten können.

Wie wichtig ist der Euro für Deutschland?

Die Meinungen sind hier durchaus geteilt. "Der Euro ist für Deutschland eine Erfolgsgeschichte", meint HWWI-Konjunkturchef Bräuninger. Der gemeinsame Währungsraum habe die Bundesrepublik als Exportnation gestärkt, zumal die Mehrheit der Ausfuhren in den Euro-Raum gehen. Ganz anders bewertet dies der Euro-Kritiker Nölling: "Der Euro ist der größte Irrtum in der Währungsgeschichte. Wir haben unsere Souveränität aufgegeben. Der Euro wird zur existenziellen Gefahr für Europa."