Seit die resoluten Italiener die Oberfranken vor dem endgültigen Aus retteten, herrscht wieder Zuversicht in der gebeutelten Region. Ein Ortstermin in Selb.

Selb. Drei Flamingos staksen durch ihr Gewächshaus, so als wäre nie etwas gewesen. Das steht mitten in der Fabrikhalle des Porzellanproduzenten Rosenthal. Doch die Arbeiter, die ringsum Porzellanmasse in Formen gießen, haben für die rosa Vögel keinen Blick.

Der Bauhaus-Professor Martin Gropius entwarf in den 1960er-Jahren im Auftrag von Philip Rosenthal die Fabrik am Rothbühl in der oberfränkischen Stadt Selb. Um Natur in die Hallen zu bringen, konzipierte er mitten zwischen den Produktionslinien auch das "Grünhaus".

Uwe Künzel mag die Flamingos, auch wenn er, wie die anderen "Porzelliner", regelmäßig zum Putzdienst bei den Tieren antreten muss. Denn die Flamingos gehören zu Rosenthal. Als das Unternehmen im Januar 2009 Gläubigerschutz beantragte, wurden auch die Tiere ein Fall für Insolvenzverwalter Volker Böhm. Sie waren, wie die Maschinen, auf einmal "massezugehörig". "Wenn Rosenthal nicht verkauft worden wäre, hätten wir wohl versuchen müssen, für sie ein neues Zuhause in einem Zoo zu finden", erzählt Böhm.

Die Vögel im Werk sind lebender Beweis, dass es Rosenthal vorerst geschafft hat. Die italienischen Brüder Pierluigi (61) und Franco (57) Coppo haben vor neun Monaten den Traditionshersteller gekauft. Die Unternehmer aus dem Piemont, die bis dato mit ihrer Firma Sambonet Paderno Kochtöpfe und Besteck produzierten, sicherten sich eine Weltmarke.

Genau genommen gibt es zwei Rosenthals: die in Insolvenz befindliche AG und die GmbH, die neu gegründet wurde. Einen Kilometer Luftlinie vom Gropius-Bau entfernt steht das Regenbogen-Haus, die Zentrale mit kunterbunter Fassade, gestaltet von Friedensreich Hundertwasser. Mussten die Verkäufer vorher ihre Kunden in ein angestaubtes Rückgebäude führen, um Teller und Tassen vorzuführen, hat die Markenwelt nun ihren Platz im Erdgeschoss des Haupthauses. Links vom Gang zeigen die Marken Rosenthal, Hutschenreuther und Thomas ihre neuesten Designlinien. Rechts vom Gang sollen bald die Bestecke des italienischen Herstellers Sambonet zu sehen sein. Noch richten Arbeiter die Räume her.

Die Hoffnungsträger für Rosenthal heißen im Unternehmen nur "Ingegnere" und "Dottore", "Ingenieur" und "Doktor". Franco ist der Techniker, Pierluigi der Herr der Bilanzen. Die beiden ließen sich Rosenthal rund 35 Millionen Euro kosten. Pierluigi Coppo ist ein Mann mit vollendeten Umgangsformen. "Sie wollen Zahlen?", sagt der "Dottore", holt aus dem Nebenzimmer eine rote Mappe und zieht aus einem hölzernen Etui seine Lesebrille. Für dieses Jahr rechne er mit einem Umsatz für Rosenthal von 90 bis 95 Millionen Euro. Angepeilt habe er eigentlich 100 Millionen Euro. "Das erste Quartal war in Deutschland, also auf unserem wichtigsten Markt, recht schwach." Da der deutsche Markt, der für 50 Prozent des Umsatzes sorgt, stagniere, müsse Rosenthal vermehrt auf den Export setzen. "Für uns ist es einfacher, im Ausland zu wachsen." Soeben verbuchte er einen Großauftrag aus dem Iran, auch die Russen kaufen wieder.

"Wir schreiben dauerhaft noch keine Gewinne", räumt Coppo ein. Man sei eben noch in einer "Phase der Reorganisation", investiere in Logistik und Lagerhaltung, in die Modernisierung des IT-Systems. "Für das operative Geschäft könnte 2010 eine schwarze Null stehen."

Doch wie soll es weitergehen? Eine Idee davon gibt ein reich gedeckter Tisch im Showroom. Eine Bestecklinie namens "Skin" von Sambonet diente als Vorbild für eine Porzellanlinie namens "TAC Skin" von Rosenthal. Gemeinsame Designs könnten die Produktpolitik in Zukunft bestimmen.

Coppo will auch die Verkaufsorganisationen zusammenführen. Rosenthal müsste stärker im Hotel- und Gastronomiegewerbe werden. Sambonet könnte im Einzelhandel stark wachsen. "Die Kombination Sambonet und Rosenthal ist ein Glücksfall", meint er. Man werde nun Porzellan und Besteck aus einer Hand anbieten.

"Wir sind eine eher kleine Manufaktur geworden", sagt Uwe Künzel, der seit 32 Jahren oben im Werk arbeitet und Rosenthaler ist wie schon Vater und Großvater. Hier ist noch vieles Handarbeit, etwa das Stempeln. Eine Mitarbeiterin drückt auf die Böden von Teekannen den geschwungenen Schriftzug. Am Rothbühl arbeiten heute nur noch 100 Mitarbeiter, das größte Werk liegt in Speichersdorf, 70 Kilometer entfernt. Insgesamt arbeiten bei Rosenthal 1000 Menschen. In besseren Zeiten waren es fünfmal so viele.

"Jetzt beginnt bei uns wieder das Herz für Rosenthal zu schlagen. Sie hatten es uns ja fast schon rausgerissen", sagt Künzel. Die vergangenen Jahre waren von Niedergang geprägt. Die Insolvenz. Und nun die Rettung. "Wir spüren schon, dass wir jetzt ein Familienunternehmen sind und nicht mehr angestellte Manager das Sagen haben", sagt ein Mitarbeiter.

Bei Rosenthal glauben viele, die anfangs skeptisch waren, dass die Italiener für länger gekommen sind. "Wenn es denen nur um die Marke ginge und sie so schnell wie möglich das Schnäppchen Rosenthal verkaufen wollten, dann würden die hier nicht noch renovieren", sagt einer.

Coppo sieht sich als "langfristigen Investor". Wenn er die Finanzierung des Kaufs erklärt, verzieht sich kurz das Lächeln aus seinem Gesicht. Es sei eine "Mär", dass der deutsche Staat mit Steuergeldern die Rosenthal-Übernahme maßgeblich unterstützt habe. Doch ganz ohne den Staat ging es nicht. Fünf Millionen Euro an bayerischer Regionalförderung sind geflossen. Aber die seien daran gekoppelt, so Coppo, die Arbeitsplätze für vier bis fünf Jahre zu erhalten. "Wir haben heute keine Pläne für weiteren massiven Personalabbau", sagt er. Auch eine Verlagerung der Produktion ins Ausland stehe "nicht auf der Tagesordnung". Wobei er vielsagend hinzufügt: "Auch wenn ich glaube, dass für die Werthaltigkeit einer Marke Qualität entscheidend ist und nicht das Herkunftsland."

Sorgen machen Coppo zurzeit die Studio-Häuser, Verkaufsgeschäfte in besten Innenstadtlagen. "Eine Bestandsgarantie für alle 18 Rosenthal Studio-Häuser in Deutschland kann und will ich nicht abgeben", sagt er. Jedes einzelne Geschäft werde gerade überprüft. Wenn nötig, werde er das eine oder andere Haus schließen. "Dennoch werden wir auch in Zukunft einige Flagshipstores haben, etwa in Städten wie Hamburg oder München." In den Studios sind 110 Mitarbeiter tätig. Coppo will Rosenthal zu einem "schlanken Unternehmen", machen.

Während die neuen Eigner die Zukunft planen, ist Insolvenzverwalter Böhm noch mit Aufräumen bei der insolventen Gesellschaft beschäftigt. 1500 Gläubiger mit Gesamtforderungen von 84 Millionen Euro seien zu berücksichtigen. Böhm ist stolz darauf, die Marke Rosenthal gerettet zu haben. "Schließlich will man nicht, dass die Geschichte eines solchen Unternehmens mit dem Tag der Stellung des Insolvenzantrags endet." Vom Insolvenzantrag bis zum Kaufvertrag sei nur ein halbes Jahr vergangen. Unternehmen wie Märklin oder Schiesser seien hingegen noch immer nicht veräußert. Rosenthal sei ein erfolgreicher Fall - trotz 300 Entlassener.

Von den neuen Eignern ist auch Selbs Bürgermeister Wolfgang Kreil angetan. Zwar ist die Porzellanindustrie für die Stadt nicht mehr prägend. Autozulieferer sorgen heute für die Jobs. Dennoch, Selb nennt sich weiter "Stadt des Porzellans". Es tue der Seele gut, so der Bürgermeister, dass Rosenthal überlebt habe.

Zumal gerade im Porzellanikon-Museum von Selb eine große Ausstellung eröffnet wird: "Königstraum und Massenware. 300 Jahre europäisches Porzellan". Rosenthal will dafür sorgen, dass aus den 300 Jahren Porzellankunst noch 300 plus X werden. So stellt das Unternehmen endlich wieder Lehrlinge ein. Von den vier Auszubildenden sollen ab Herbst zwei im Werk am Rothbühl arbeiten. Die dürfen sich dann auch um die Flamingos kümmern.