Immer mehr Kooperationen. Das Ziel: Jugendliche für den Betrieb in der Nachbarschaft begeistern.

Hamburg. Jungs wollen Profifußballer oder Polizist werden, Mädchen gerne Ärztin oder "irgendwas mit Tieren". Soweit die Welt der Wünsche, die derzeit auch noch von Traumkarrieren wie die der smarten Lena Meyer-Landrut beflügelt wird - die als Kandidatin für den "Eurovision Song Contest" quasi von der Schulbank aus dem Stand zum Popstar aufstieg, ohne Ausbildung. Die Realität der Wirtschaft sieht bekanntlich anders aus. Um die Wünsche der jungen Leute und die Anforderungen von Firmen zusammenzubringen, arbeiten in Hamburg immer mehr Schulen und Betriebe zusammen.

Allein in den vergangenen zwölf Monaten hat die Handwerkskammer Hamburg 90 Betriebe, etwa Bäckereien, Klempnereien oder Tischlereien, als Partner an 60 Schulen weitervermittelt. "Dabei kommen etwa Gebäudereiniger in den Sportunterricht und erklären, dass in ihrem Beruf auch Fertigkeiten im Fassadenklettern gefragt sind", sagte Ina Diepold von der Handwerkskammer Hamburg.

Zudem vermittele die Kammer Praktika oder organisiere Praxislerntage. Durch den Kontakt zu den Schülern können häufig spätere Enttäuschungen verhindert werden, schließlich wird heute jeder fünfte Ausbildungsvertrag vorzeitig gelöst.

Am Freitag beschlossen auch die Schule Mümmelmannsberg und die Firmen Marling Gebäudereinigung, die Franke + Pahl Ingenieurgesellschaft mbH, der Schiffbauzulieferer Jastram und die Handelskette Saturn eine enge Kooperation. Bei der feierlichen Unterzeichung würdigten der Präsident der Handwerkskammer Hamburg, Josef Katzer, und die Senatorin der Behörde für Schule und Berufsbildung, Christa Goetsch, die Zusammenarbeit für den möglichst reibungslosen Start ins Berufsleben. "Das Handwerk wird auf diese Weise für die Schülerinnen und Schüler erlebbar gemacht. Dadurch werden sich auch mehr junge Leute für einen Handwerksberuf entscheiden", hofft Katzer.

Für das gegenseitige Kennenlernen von Handwerk und Schulen habe die Kammer eigens die Serviceagentur Anschluss Handwerk gegründet. Ziel der Agentur sei es, noch in diesem Jahr 70 Schulen und 280 Betriebe für das Projekt zu gewinnen, 700 Stunden Praxiskurse in den Ausbildungszentren der Innungen anzubieten und insgesamt 18 000 Schüler zu erreichen. So solle die Zahl der Jugendlichen, die im Handwerk anfangen, 2010 um zehn Prozent steigen. Bisher sind bei den Hamburger Handwerksbetrieben knapp 7000 Lehrlinge beschäftigt.

Schließlich spürt das Handwerk wie kaum ein anderer Berufszweig den immer stärker werdenden Fachkräftemangel. Schon im vergangenen Jahr blieben bundesweit etwa 10 000 Lehrstellen im Handwerk unbesetzt, in diesem Jahr befürchtet Handwerkspräsident Otto Kentzler eine vergleichbare Entwicklung. Und der Engpass könnte noch größer werden: Die Zahl der Schulabgänger wird in diesem Jahr erneut um 25 000 abnehmen. Hinzu kommt die wachsende Attraktivität eines Studiums: Zogen 2006 noch 350 000 Abiturienten das Studium einer Lehre vor, waren es 2009 schon mehr als 420 000.

"Die Entscheidung für einen Beruf wird zumeist in der eigenen Schulzeit getroffen", sagte Katzer. Die Basis für diese Entscheidung sei das Wissen, was es für berufliche Möglichkeiten gibt. Gerade über die Karriere im Handwerk seien viele Schülerinnen und Schüler aber nicht ausreichend informiert.

Goetsch sprach angesichts der Partnerschaft mit der Wirtschaft von einer Win-win-Situation: "Immer mehr Schulen und Betriebe erkennen, dass Kooperationen keine lästige Pflicht oder eine wohltätige Aufgabe sind, sondern dass beide Seiten davon ganz konkrete, handfeste Vorteile haben." Beispiel Still: Der Gabelstaplerbauer kooperiert schon seit einiger Zeit mit einer Schule aus der Nachbarschaft, mit dem Kurt-Körber-Gymnasium in Billstedt, und bietet Workshops an. "Es ist eine gute Chance für die Schüler, einen Industriebetrieb von innen kennenzulernen", sagte Still-Sprecher Jürgen Wrusch. Und auch das Unternehmen profitiert: Es vergrößert sein Bewerberpotenzial.