Auf der Hauptversammlung musste Konzernchef Zetsche Kritik einstecken. Die Aktionäre erwartet ein Jahr ohne Dividende.

Hamburg/Berlin. Dieter Zetsche hatte es gestern auf der Hauptversammlung schwer, das Publikum von der Zukunftsstory seines Konzerns zu überzeugen. Unausgesprochen blieb, dass der Stern an Glanz verloren hat, dass Audi mittlerweile mehr Premiumautos verkauft als der Rivale. Umso deutlicher war die Kritik der Aktionäre darüber, dass Daimler nach Klinkenputzen bei VW, BMW, Fiat und Toyota nun eine Vernunftehe mit Renault eingehen musste, einem Hersteller, der im vergangenen Jahr Milliardenverluste schrieb. Hinzu kam die bittere Pille für die Aktionäre, dass ihre bereits im vergangenen Jahr geschrumpfte Dividende nun auf null sinkt. Dabei hatten sie schon längere Zeit nicht allzu viel Freude an ihrem Investment: Der Konzern verlor seit Ende der 90er-Jahre bereits 40 Milliarden Euro an Börsenwert auf heute 38,9 Milliarden Euro.

"Wir sind für das Rennen um die Zukunft des Automobils hervorragend aufgestellt", warb der charismatische Automanager daher um weitere Geduld der 5000 Anteilseigner, die sich gestern im Berliner ICC zusammengefunden hatten. Auch sein Ziel für das laufende Geschäftsjahr geriet ehrgeizig: "Wir wollen 2010 etwa doppelt so schnell wachsen wie der globale Pkw-Markt."

Tatsächlich sehen die Stuttgarter wieder Licht am Ende der Autokrise: In den vergangenen Wochen verkauften sich die margenträchtigen Modelle E- und S-Klasse besser als vor dem Einbruch der Branche. Auch aus der Spitzenposition bei Premiummodellen im größten Auslandsmarkt USA schöpft Zetsche Hoffnung.

Allerdings gilt Mercedes heute nicht mehr als Innovationsführer. Der Erfinder von automobilen Meilensteinen wie Antiblockiersystem oder Airbag hatte stets auf teure Oberklassefahrzeuge setzen können, deren Käufer sich solche Ausstattungen leisten konnten. Inzwischen gehören Kompaktwagen wie die A-Klasse oder Kleinstfahrzeuge wie der Smart zum Sortiment, und die Aktionäre befürchten nun auch angesichts der Kooperation mit Renault, dass die Marke weiter verwässert. "Warum hat Daimler noch immer nicht die Technologieführerschaft zurückerobert?", fragten die Redner, und Zetsches Verweis auf die neue deutsch-französische Partnerschaft ließ die Welle der Kritik erst recht aufbranden. "Burger und Spätzle passen nicht zusammen. Spätzle mit Baguette und Sushi erscheint uns auch nicht attraktiver", sagte ein weiterer Aktionär und blickte dabei auf die gescheiterte Ehe mit Chrysler zurück. Auch die Überkreuzbeteiligung mit Renault sowie die geplante Kooperation mit den Franzosen beim Smart und bei der A-Klasse bergen eine Reihe von Risiken: Denn die Ingenieure, die in Stuttgart jeden Tag mit dem Bewusstsein ins Büro kommen, für den besten Hersteller der Welt zu arbeiten, tun sich mit Teamarbeit schwer. Die Schwaben machten sich bei ihren bisherigen Partnern Chrysler, Mitsubishi und Hyundai damit unbeliebt, den Kollegen zunächst einmal erklären zu wollen, wie man ein Auto baut. Aus Sicht der Franzosen von Renault dürfte auch die neue Liaison unter dem Vorzeichen dieser deutschen Arroganz stehen.

Selbst wenn Renault die Kleinwagenprobleme von Daimler löst - die Baustelle Lkw bleibt. Knapp die Hälfte des Umsatzes erlöst Daimler mit Nutzfahrzeugen, doch günstigere Konkurrenz aus China macht dem Weltmarktführer hier die Spitzenposition streitig. Audi oder BMW können sich dagegen auf Pkw konzentrieren und tun dies effizienter als Mercedes: Während Audi 2009 eine Gewinnmarge von 5,4 Prozent erreichte, schrieb Mercedes rote Zahlen. Und anders als Daimler hat Audi bereits Einkaufs- und Produktionsmöglichkeiten im gesamten VW-Konzern. Solche Synergien sind für Autoexperten auch das stärkste Argument für Renault: Daimler wäre als Anbieter teurer Limousinen allein irgendwann zu klein geworden. "Der Premiummarkt ist schnell erschöpft, die sexy Story für die Aktionäre fehlt. Und ohne Wachstumsaussichten sinkt der Aktienkurs, und Daimler droht zum Übernahmekandidaten zu werden", sagt Stefan Bratzel, Autoprofessor aus Bergisch Gladbach, dem Abendblatt. Er sieht die Vernunftehe als richtigen, wenn auch späten Entschluss Zetsches. Bleibt die Herausforderung China, wo Mercedes 2009 nur 67 000 Exemplare verkaufte, Audi hingegen 159 000 und BMW 98 000 Fahrzeuge. Die jetzt angekündigte Kooperation mit dem am schnellsten wachsenden Autohersteller Chinas, BYD, zur Entwicklung eines Elektroautos für die Volksrepublik lässt zwar hoffen, birgt aber ebenfalls Gefahren: Im gemeinsamen Technologiezentrum könnten sich die Chinesen viel von den Deutschen abgucken. Schließlich hatte sich BYD bereits mit Nachbauten mehrerer Mercedes-Modelle für die Kooperation mit Daimler qualifiziert.