Es war ein schöner Traum, den man in Hamburg träumte, viele Jahre lang. Europas bedeutendster Containerhafen sollte Hamburg werden, noch vor Rotterdam, das größte Ein- und Ausfallstor für die Handelsverbindung zwischen den wichtigsten Wirtschaftsregionen der Welt, Europa und Ostasien. Es wird ein Traum bleiben. Die Weltwirtschaftskrise hat Hamburg in den vergangenen eineinhalb Jahren jäh aus einer zehn Jahre währenden Wachstumseuphorie herausgerissen. Mit einem Containerumschlag von sieben Millionen Einheiten (TEU) rangierte Hamburg 2009 im europäischen Vergleich nicht mehr auf Rang zwei, sondern auf Rang drei, hinter Rotterdam und Antwerpen.

Im weltweiten Maßstab nähert sich Hamburg der Größe eines größeren Regionalhafens, und es erscheint zweifelhaft, ob der Wiederaufstieg in die erste Weltliga gelingen wird. Die Gründe dafür, dass Hamburg von Ende 2008 bis Ende 2009 mit einem Schlag ein Drittel seines Containerumschlags verloren hat, sind bei öffentlichen Erörterungen immer schnell zur Hand: Hamburgs besonders ausgeprägte Abhängigkeit vom Chinahandel, der steile Absturz der Ostsee-Anrainer während der Krise, Verzögerungen bei der Elbvertiefung.

Doch die Krise des Hamburger Hafens ist keine Konjunkturkrise, die mit dem nächsten Aufschwung der Weltwirtschaft sang- und klanglos ausgestanden sein wird. Hamburgs Hafen steckt in der schwersten Strukturkrise seit Jahrzehnten. Das aber wird in der Debatte beharrlich ignoriert.

Es dauerte 20 Jahre, von 1980 bis 2000, um den Containerumschlag von einer auf vier Millionen Einheiten zu erhöhen. Von 2000 bis 2007 aber stieg der Umschlag auf annähernd zehn Millionen TEU. Vom Globalisierungsschub des zurückliegenden Jahrzehnts hat Hamburg so stark profitiert wie kein anderer europäischer Hafen: vom Auftritt Chinas als Weltindustriemacht, vom wirtschaftlichen Wiedererwachen Osteuropas und Russlands und natürlich vom deutschen Export. Vor allem der Boom des Transitverkehrs trieb die Umschlagzahlen in Hamburg in die Höhe, das Umladen der Container von großen auf kleinere Schiffe und deren Weitertransport. Hamburg, so lautet ein in der Branche geflügeltes Wort, sei "Osteuropas westlichster Hafen". Damit ist es vorbei. Hamburg wird als Transithafen in die Ostsee nicht mehr gebraucht.

Hafenunternehmen und Wirtschaftspolitiker aller Couleur würden diese Einschätzung jederzeit erbost zurückweisen - der Aufschwung darf nicht kleingeredet werden. Doch die Fakten liegen auf der Hand: Eine wirtschaftlich so brillante Konstellation wie in der zurückliegenden Dekade wird Hamburg im Containerverkehr nicht mehr erleben. Die heutzutage größten Containerschiffe mit mehr als 11 000 TEU Kapazität können selbst bei nur teilweiser Beladung die Elbe nicht passieren. Sie werden dies auch nach der geplanten Elbvertiefung nicht können.

Immer mehr dieser Riesenschiffe setzen die Reeder auf den Asienlinien ein. Sie laden ihre Transitcontainer in Rotterdam um, in Bremerhaven und künftig auch im neuen Tiefwasserhafen Wilhelmshaven. Hamburg hat während der Wirtschaftskrise massiv Transitverkehre vor allem an Rotterdam verloren, weil die Reedereien dort günstigere Bedingungen vorfanden. Dabei hat sich herumgesprochen, dass man von der Nordsee aus auf direktem Weg schneller in der Ostsee ankommt als mit dem Umweg über Hamburg. Der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesverkehrsminister, Enak Ferlemann, meint, Wilhelmshaven werde für Hamburg "niemals eine ernsthafte Konkurrenz sein". Das ist fast schon fahrlässig: Wilhelmshaven wird ein Transithafen für Schiffe mit größtem Tiefgang sein - genau das, was die Reedereien für den Transport in die Ostsee und zurück brauchen. Zugleich baut Rotterdam seine Hafenflächen an der Nordsee weiter deutlich aus.

Die Staaten Osteuropas und Russland wiederum als Zielgebiet des Transitverkehrs werden zwar wirtschaftlich wieder wachsen, wohl auch stärker als Westeuropa. Doch der Aufbauboom der vergangenen 20 Jahre ist vorüber. Dem Hafenverkehr in Hamburg brachte die Einheit Europas eine jahrelange Sonderkonjunktur. Sie wird sich nicht wiederholen.

Der Verlauf der Geschichte ist gnadenlos. Häfen steigen auf, und sie steigen ab. London oder Southampton, Bordeaux oder Lissabon, New York oder San Francisco haben ihre Bedeutung im Lauf der vergangenen 150 Jahre ganz oder großteils verloren - auch deshalb, weil für den Boom des Containers seit den 60er-Jahren neue Umschlagplätze gefunden werden mussten. Mit dem Strom der Container wurde Hamburg zum Welthafen. Doch ebenso schnell kann diese Erfolgsgeschichte im Strom auch wieder verschwinden.

Olaf Preuß ist Redakteur im Wirtschaftsressort des Abendblatts.