Hamburg. Im Umgang mit seinen Mitarbeitern hat sich Lidl bisher nicht gerade als Vorbild hervorgetan. Durch Videoüberwachung und Bespitzelung von Beschäftigten geriet die Handelskette immer wieder in die Kritik. Jetzt prescht der Discounter mit einem überraschenden Vorschlag nach vorne: Lidl spricht sich für die Einführung von Mindestlöhnen im Einzelhandel aus.

"Damit würde die Möglichkeit und der Missbrauch von Lohndumping, der auch vereinzelt im Handel zu sehen ist, unterbunden werden", schreibt der Lidl-Aufsichtsratschef Klaus Gehrig in einem Brief an den Bremer Wirtschaftsforscher Rudolf Hickel.

Mit seinem Vorstoß überraschte der Konzern nicht nur den Universitätsprofessor, der regelmäßig gegen Lohndumping eintritt und eine faire Bezahlung fordert. Auch Gewerkschafter, die sich regelmäßig für Mindestlöhne stark machen, zeigten sich erstaunt. Entsprechend vorsichtig kommentierte die Vize-Bundesvorsitzende von Ver.di, Margret Mönig-Raane, den Vorschlag: "Wenn Lidl die Ankündigung, sich für einen Branchenmindestlohn im Handel starkzumachen, ernst meint, ist das prinzipiell zu begrüßen." Zudem bleibe die zentrale Frage offen, wie hoch ein solcher Mindestlohn sein sollte.

Auf Gegenwehr stößt das Unternehmen in der eigenen Branche: "Bei dem Vorstoß handelt es sich um einen Alleingang von Lidl", sagte der Geschäftsführer des Hamburger Einzelhandelsverbandes, Ulf Kalkmann. "Der Hamburger Einzelhandel spricht sich gegen Mindestlöhne aus. Sie erhöhen die Schwelle, neue Mitarbeiter einzustellen und sind damit kontraproduktiv." Die Hamburger Händler setzten vielmehr auf die Tarifautonomie. Lidl selbst zahlt derzeit reguläre Tariflöhne, die nach eigenen Angaben für Verkäufer im Schnitt bei 13 Euro die Stunde liegen.

Manche Experten vermuten, dass Lidl auf die Einführung von Mindestlöhnen dringt, um Konkurrenten, die wie Schlecker Zeitarbeitskräfte zu Niedriglöhnen beschäftigen, zu höheren Bezahlungen treiben zu können. Andere fürchten sogar, dass die Einführung von Mindestlöhnen einen Ausstieg der Branche aus den heute deutlich höheren Tariflöhnen im Einzelhandel nach sich ziehen könnte.

Für Hickel ist klar: "Der Mindestlohn muss minimum zehn Euro pro Stunde für eine Vollzeitkraft betragen. Und selbst diese Lohnhöhe löst nicht das Grundproblem, da viele in der Branche nur Teilzeitjobs haben. Wichtig ist, dass das Gesamtnettoeinkommen einem existenzsichernden Lohn entspricht."