Der Wirtschaftswissenschaftler will die Amerikanisierung des Finanzwesens beenden und plädiert für strenge Auflagen für Banken.

Hamburg. Ob sie in Sachen Stabilisierung der Finanzmärkte ihr Ziel genau treffen werden, können Politiker in diesen Tagen leicht überprüfen. Man schlage eine Regulierung für den Finanzsektor vor und beobachte die Märkte: Bleiben sie vollkommen ungerührt, verharren die Aktienkurse dort, wo sie sind, oder steigen gar, kann man auch die geplante Maßnahme glatt vergessen und darf auf die nächste Parteispende aus dieser "Industrie" warten. Daran gemessen waren alle bis vor zwei Wochen vorgeschlagenen Maßnahmen nichts anderes als weiße Salbe.

Doch vorige Woche hat sich das geändert. Nachdem Präsident Barack Obama seinen neuen, auf den ehemaligen Notenbankpräsidenten Paul Volcker zurückgehenden, Vorschlag zur erneuten Aufteilung der Finanzwirtschaft in richtige Banken und in Zockerbuden gemacht hat, fielen die Aktien der wichtigen Institute auf breiter Front. Gratulation, Volltreffer!

Wer aber erwartet hatte, dass nach diesem Treffer die Politiker in Brüssel, Paris und Berlin sofort Glückwunschtelegramme nach Washington schicken und jede Unterstützung bei der schnellen internationalen Umsetzung dieser Maßnahme zusagen, sieht sein Weltbild wanken. Nichts dergleichen, aber Irritation im deutschen Finanzministerium darüber, dass die Amerikaner vorpreschen statt auf gemeinsam zu erarbeitende "Lösungen" zu setzen.

Dabei ist die Logik von Paul Volcker absolut zwingend. Man weiß genau, dass die Kasinogeschäfte an den Finanzmärkten keinerlei gesellschaftlichen Nutzen stiften, sondern nur Verluste, wenn die Akteure am Ende gerettet werden müssen. Folglich ist es nahe liegend, die großen Finanzkonglomerate aufzuspalten. Der Teil, der Einlagen der Bürger verwaltet, von den Zentralbanken zu bevorzugten Konditionen Liquidität erhält und Kredite an Investoren in Sachkapital gibt, darf sich nicht an spekulativen Geschäften beteiligen. Er wird vom Staat gerettet, wenn er in Schwierigkeiten gerät. Das ist das normale Bankgeschäft. Der andere Teil aber, das sogenannte Investmentbanking, erhält weder vom Staat mit abgesicherte Einlagen noch subventionierte Liquidität und darf niemals vom Staat gerettet werden.

Wenn die normalen Banken in einem solchen System zugleich strenge Auflagen erfüllen müssen, was die Art und die Risiken ihrer Kreditvergabe angeht, trocknet diese Maßnahme die entscheidende Quelle des "leveraging" aus, des Hochhebelns von Renditen durch die Spekulation mit geborgtem Geld. Dieses Hochhebeln der Renditen mithilfe von Krediten aber war es, das aus dem Kasinospiel einiger weniger ein systemgefährdendes russisches Roulette gemacht hat. Wer Kasino spielen will, darf das mit eigenem Geld weiter tun - aber das Risiko zu verlieren steigt enorm, wenn klar ist, dass es keinen Retter bei einer Pleite gibt.

Deswegen ist es überhaupt kein Gegenargument, wenn europäische Finanzminister, die offenbar Angst vor der Finanzindustrie haben, auf die Lehman Brothers Pleite verweisen und die Tatsache, dass das gar keine Bank mit normalen Einlagen war. Auch ist es ein nur dumm zu nennendes Ablenkungsargument, wenn in Deutschland darauf verwiesen wird, dass es hierzulande traditionell keine Trennung von verschiedenen Bankentypen gibt, wie das in den USA lange Zeit der Fall war. Es war ja gerade die Amerikanisierung des europäischen Geldwesens bei privaten und bei öffentlichen Banken, die uns mit in den Abgrund gezogen hat. Folglich muss Deutschland die Amerikanisierung ebenso beenden wie die Amerikaner.

Überhaupt ist die Angst vor der "Finanzindustrie", die man allenthalben spürt, nicht vernünftig nachzuvollziehen. Wenn unsere Politiker endlich beginnen würden zu verstehen, was Paul Volcker predigt, dass nämlich der weitaus größte Teil des Investmentbanking oder der Hedge Fonds nichts "produziert", was zu unserem Wohlstand beiträgt, müssten sie eigentlich gelassener mit dem Thema umgehen können. Wenn die Politiker zudem begriffen, dass die 25 Prozent Rendite erzeugenden Monster kurzfristig nur deswegen so hohe Gewinne machen, weil es ihnen gelingt, die Preise von Aktien, Rohstoffen und Währungen in absurde Höhen zu treiben, müssten sie Mut fassen können. Nimmt man die Tatsache hinzu, dass diese Spekulationswellen große Schäden in der Realwirtschaft anrichten, müssten auch die richtigen Investoren, nämlich diejenigen, die langfristig auf bessere Sachanlagen und bessere Infrastruktur setzen, sich mit den Politikern verbünden. Dann gäbe es Hoffnung - auch jenseits von Obama.

Der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck (59) ist Direktor bei der Uno-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Von 1998 bis 1999 war er Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, das von Oskar Lafontaine (damals SPD, heute Linke) geführt wurde.