Hamburg. Wer sich schon mal so richtig über die Bahn geärgert hat, für den dürfte das "Schwarzbuch Deutsche Bahn" eine willkommene Lektüre zur Bestätigung sein. Wenn sich nur beim Lesen nicht ein mulmiges Gefühl beim Gedanken an die nächste Zugfahrt einstellen würde: Denn die ZDF-Journalisten Christian Esser und Astrid Randerath beschreiben in ihrem Buch Sicherheitslücken bei der Bahn, schlechtes Betriebsklima und Abzocke von Kunden. Die Bahn will sich zu Details des Schwarzbuchs nicht äußern.

Brüchige Achsen

Die Achsen der aktuellen ICE-Modelle seien den Belastungen nicht gewachsen, erklärt der frühere Vizechef des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit, Vatroslav Grubisic, im Schwarzbuch. Die Bahn sei seit 2004 vor Problemen mit den Achsen gewarnt worden. Ohne Folgen: 2008 entgleiste im Kölner Hauptbahnhof ein Wagen, nachdem die Achse gebrochen war. Grubisic fordert ein festeres Achsmaterial - doch davon will die Bahn nichts wissen. Grubisic wirft der Bahn vor, aus dem Zugunglück von Eschede 1998 "nichts gelernt" zu haben. Damals war ein ICE entgleist, weil ein Radreifen gebrochen war, 101 Menschen kamen ums Leben.

Schlechte Wartung

Die ZDF-Journalisten werfen der Bahn vor, die Wartungsintervalle der ICE-Achsen seit 2003 deutlich verlängert zu haben. Sie zitieren aus einem Dokument, nach dem so "die Leistung um 24 Prozent gesteigert" und die "151 Millionen Euro" eingespart worden seien. Ein Wartungsingenieur beklagt, dass die Sicherheitsprüfer "ständig unterbesetzt" seien. "Ich habe immer weniger Zeit für meine Arbeit, natürlich kann es da passieren, dass ich etwas übersehe."

Einsame Gewalt-Opfer

70 Prozent der Bahnmitarbeiter geben an, schon einmal Opfer eines Übergriffs geworden zu sein. So wurden Mitarbeiter von Kunden mit Messern, Kampfhunden oder Notfallhämmern bedroht, ins Gesicht geschlagen oder mit Flaschen beworfen. Die Vorfälle werden selten angezeigt. Der Grund: Die Konzernleitung lasse die Mitarbeiter mit ihren Problemen allein. Juristischen, therapeutischen oder medizinischen Beistand gebe es nur in den seltensten Fällen. Die Hälfte der Mitarbeiter gibt an, sich während der Arbeit nicht sicher zu fühlen.

Bespitzelung

Unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung spionierte die Bahn jahrelang ihre Mitarbeiter aus. Der Skandal kostete Hartmut Mehdorn den Job als Bahnchef. Die Autoren des Schwarzbuchs berichten jetzt, dass die Bahn unliebsamen Mitarbeitern "heimlich kompromittierende Dateien wie Pornos oder Nazihetzschriften auf den Rechner gespielt" haben soll - um einen Vorwand für eine fristlose Kündigung zu schaffen.

Ausbeutung

Lohndumping, illegale Beschäftigungsverhältnisse und Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz gibt es laut Schwarzbuch auch bei der Bahn - und zwar bei Firmen, die für das Unternehmen Gleise bauten. Mitarbeiter hätten monatelang täglich elf Stunden an sieben Tagen in der Woche gearbeitet. Pausen habe es nicht gegeben. Slowaken hätten für ihre Arbeit 1,50 Euro pro Stunde erhalten. Die Bahn hat den Einsatz von Billiglohnkräften mittlerweile missbilligt. Jetzt soll ein Fairness-Ausschuss die Angelegenheit aufklären.

Teure Tickets

"Die Bahn sieht den Reisenden nicht mehr als Mensch, sondern als Cash-Cow", sagt ein Kundenberater. Von oben gebe es die Anweisung, möglichst viele Erste-Klasse-Tickets zu verkaufen - auch wenn der Kunde eine Bahncard zweiter Klasse habe. Auch werden die Kundenberater darauf getrimmt, immer eine Reservierung zu verkaufen, "auch wenn klar ist, dass der Zug gähnend leer wird". Auch überflüssige Reiseversicherungen werden den Kunden gerne aufgeschwatzt: Denn bei einem entsprechenden Umsatz winken den Vorgesetzten der Kundenberater Prämien.