Hamburg. Überschuldete Haushalte in Deutschland können sich immer schwerer aus ihrer finanziellen Lage befreien. "Das in Deutschland seit zehn Jahren angebotene Verfahren für Privatinsolvenzen ist gescheitert", sagt Udo Reifner, Direktor des Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF). Zusammen mit "Deutschland im Plus", einer Stiftung für private Überschuldungsprävention, legte er gestern in Hamburg den IFF-Überschuldungsreport 2009 vor.

Gemessen an den sechs Millionen, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können, nutzten pro Jahr nur knapp 100 000 diese Möglichkeit und müssen sich zudem noch auf einen unübersehbar langen Zeitraum einstellen, bevor sie wieder ohne Makel am Wirtschaftsleben teilnehmen können. "Es dauert bis zu 15 Jahre von den ersten Zahlungsproblemen bis zu einem Abschluss nach der Restschuldbefreiung und der Löschung der Eintragungen bei den Auskunfteien", sagt Reifner. Das ist mehr als doppelt so lange wie die vom Gesetzgeber vorgesehene Restschuldbefreiung, die innerhalb von sechs Jahren möglich ist. "Im internationalen Vergleich ist das viel zu lange", kritisiert Reifner. In den Niederlanden können sich Verbraucher schon nach drei Jahren entschulden, in Großbritannien nach einem Jahr.

Die durchschnittliche Schuldenhöhe beträgt 33 338 Euro und verteilt sich auf 18 Forderungen. Wichtigste Gläubiger sind die Banken und die öffentliche Hand. Fast jeder fünfte überschuldete Haushalt hat kein eigenes Girokonto mehr zur Verfügung. Selbstständige Überschuldete müssen durchschnittlich 90 000 Euro begleichen. "Eine Existenzgründung ohne Kredit ist heute nicht mehr möglich", sagt Reifner. "Gemessen an den Risiken lohnt dieser Schritt nicht."

Der häufigste Auslöser für die Schuldenspirale ist Arbeitslosigkeit. Deshalb rechnen die Experten mit einem Anstieg der Überschuldungen im nächsten Jahr. Allein im dritten Quartal 2009 wurden 35 347 Privatpersonen zahlungsunfähig. Das ist ein Anstieg von 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, meldet der Wirtschaftsinformationsdienst Bürgel. Er erwartet für das Gesamtjahr 135 000 Fälle. Finanzfragen müssen in Schulen verstärkt behandelt werden, fordert Michael Piorkowsky, Vorstand der Stiftung "Deutschland im Plus", die von dem Kreditanbieter Easy Credit ins Leben gerufen wurde. "Selbst in der elften Klasse verfügen die Schüler über keinerlei Kenntnisse in diesem Bereich", sagt Piorkowsky.

"Wenn die Verbraucher in die Schuldnerberatung kommen, ist es für Prävention zu spät", sagt Hjördis Christiansen von der Verbraucherzentrale Hamburg. "Die dem Verbraucherinsolvenzverfahren vorgelagerte gütliche Einigung zwischen Schuldner und Gläubiger ist praktisch ohne Bedeutung, weil Banken fast immer auf dem Verfahren beharren, auch wenn es dabei für sie nichts zu holen gibt", sagt Christiansen. Das ist dann der Fall, wenn der Betreffende über kein pfändungsfreies Einkommen verfügt.

Reifner setzt sich dafür ein, dass das Verbraucherinsolvenzverfahren auch rückwirkend beantragt werden kann, um Zeit zu gewinnen. Durchschnittlich knapp vier Jahre vergehen zwischen ersten dokumentierten Überschuldungsmerkmalen und dem Besuch einer Beratungsstelle. In diesem Zeitraum bemühen sich die Verbraucher schon um eine Lösung mit ihren Gläubigern.