Umfangreiche Proteste sind geplant. Die Fabrik in Hamburg wird durch die Umstellung der Produktion ab 2014 aber gestärkt.

Hamburg. Die Situation bei Daimler hatte etwas Bizarres: Der Konzernbetriebsratschef Erich Klemm war gestern aus Sindelfingen als Gastredner auf eine lange anberaumte Betriebsversammlung in Hamburg gekommen. Hier wetterte er gegen die aus seiner Sicht "völlig inakzeptable" Entscheidung des Vorstandes, die ebenfalls gestern bekannt gegeben wurde und nichts Gutes für seine schwäbische Heimat verhieß: Daimler will die C-Klasse-Produktion aus Sindelfingen abziehen und in den USA und Bremen ausbauen. Klemm kündigte Proteste an. Zugleich legten bei Daimler in Sindelfingen Tausende Beschäftigte für Stunden ihr Werk lahm. In Sprechchören skandierten sie "C-Klasse" und "Zetsche raus". In Hamburg signalisierten die Beschäftigten ihre Solidarität. Doch insgeheim löste die Entscheidung in der Hansestadt große Erleichterung aus. Denn hier sind die Arbeitsplätze wegen der Entscheidung so sicher wie lange nicht mehr.

Zum Hintergrund: Der Autobauer Daimler ordnet seine Pkw-Produktion neu. Gewinner sind vor allem die Werke Tuscaloosa in den USA und das Mercedes-Werk in Bremen. In Deutschland sollen wegen des Umbaus keine Arbeitsplätze gestrichen werden. Die Betriebsräte beider Standorte sind dennoch entsetzt: Mit der Entscheidung verabschiede sich der Autobauer ein Stück weit vom Standort Deutschland.

Das Abendblatt beantwortet wichtige Fragen zu der Weichenstellung.

Was bedeutet die Entscheidung für Hamburg?

Das Produktionsvolumen für die C-Klasse erhöht sich in Bremen ab 2014 um 20 Prozent, das sind 150 Fahrzeuge mehr pro Tag als bisher. Derzeit wird die C-Klasse für die wichtigsten Märkte zur Hälfte in Sindelfingen und in Bremen gebaut. Der Ausbau in Bremen hat für die Achsenfertigung in Hamburg eine höhere Auslastung zur Folge. Denn der geplante Abzug der Fertigung des Mercedes SL aus Bremen nach Sindelfingen hat nur einen kleinen negativen Effekt auf Hamburg. "Ein um 20 Prozent höheres Volumen bei uns ist realistisch", sagte der Hamburger Betriebsratschef Norbert Dehmel dem Abendblatt. Bisher wurden die Achsen für Sindelfingen in Untertürkheim produziert. Dennoch seien Warnstreiks in den kommenden Wochen aus Protest gegen die Umbaupläne auch in der Harburger Fabrik mit ihren 2600 Beschäftigten nicht auszuschließen.

Warum wird die C-Klasse aus Sindelfingen Richtung USA abgezogen?

Daimler mindert damit den Einfluss des schwachen Dollar und profitiert von geringeren Kosten bei Personal, Einfuhrzoll und Auslieferung, sagte Mercedes-Produktionschef Rainer Schmückle. "Wenn Mercedes beispielsweise 100 Autos in den USA verkauft, sollte der Hersteller dort auch 100 Autos bauen, um die Wechselkursrisiken zu minimieren", sagte Autoanalyst Frank Schwope von der NordLB dem Abendblatt. Zudem seien die Lohnkosten in Nordamerika geringer. Daimler selbst beziffert die Einsparung auf 2000 Euro pro Fahrzeug. "Mit dem Ausbau des US-Werks in Tuscaloosa um bis zu 1200 auf 4000 Stellen können wir ab 2014 die Schwellenländer und Nordamerika günstiger mit der C-Klasse bedienen", so Schmückle.

Wo wird die C-Klasse bisher gebaut?

Die Mercedes-C-Klasse wird derzeit in weltweit vier Werken des Autoherstellers Daimler gebaut - in Sindelfingen nahe Stuttgart, in Bremen sowie in China und Südafrika. Für die neue Generation der Baureihe soll von 2014 an das US-Werk Tuscaloosa als Produktionsstandort hinzukommen.

Welchen Stellenwert hatte Sindelfingen bisher für den Konzern?

Das Werk in Sindelfingen (Kreis Böblingen) ist das größte deutsche Pkw-Werk von Daimler. Im vergangenen Jahr wurden dort insgesamt 398 646 Autos gebaut. Außerdem ist Sindelfingen der zentrale Technologie- und Forschungsstandort von Mercedes-Benz Cars.

Welche Bedeutung hat Bremen für Daimler?

Im Werk in Bremen werden vor allem Cabrios gebaut. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 261 714 Autos gefertigt.

Welche Modelle kommen bisher aus Tuscaloosa?

Das US-Werk in Tuscaloosa fertigt die M-, GL- und R-Klasse. Ende vergangenen Jahres arbeiteten 3782 Menschen in dem Werk, das 1997 gegründet wurde.

Was genau wird in Südafrika und China produziert?

Im Werk East London in Südafrika wird die C-Klasse-Limousine gefertigt, vor allem mit dem Lenkrad auf der rechten Seite. Das Werk in Peking/China ist ein Joint Venture von Daimler mit dem chinesischen Autobauer BAIC. Produziert werden kann dort die C- und die E-Klasse.

Wie sollen die Beschäftigten in Sindelfingen dennoch ausgelastet werden?

Den von 2014 an absehbaren Personalüberhang in Sindelfingen will Daimler mit neuen Fahrzeugprojekten, alternativen Antrieben und einem steigenden Absatz abwenden. Die Planungen des Autobauers sehen ab dem Jahr 2015 einen jährlichen Absatz von rund 1,5 Millionen Pkw vor: Das wären gut 50 Prozent mehr als in diesem Jahr. Allerdings kämpft der Konzern derzeit auch mit der Absatzkrise und lässt noch immer Zehntausende Beschäftigte kürzer arbeiten, auch in Hamburg.