Die Tinte auf dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag war noch nicht trocken, als das Kapitel Steuerentlastung leidenschaftliche Diskussionen pro und kontra auslöste. Das ist verständlich, da FDP und CSU im Wahlkampf massiv solche Entlastungen bei der Einkommensteuer versprochen hatten, die jüngsten Steuerschätzungen aber keine nennenswerte Verbesserung der Steuereinnahmen vorhersagen.

Gehen wir von den Fakten aus. Zum 1. Januar 2010 wird es durch ein Gesetz, das die schwarz-rote Koalition mit dem Konjunkturpaket 2 im Februar 2009 beschlossen hat, eine steuerliche Entlastung in Höhe von rund 14 Milliarden Euro geben. Sie dämpft wie alle Steuersenkungen seit 1990 die sogenannte kalte Progression und ist daher zu begrüßen. Darüber hinaus will die neue schwarz-gelbe Koalition den Kinderfreibetrag und das Kindergeld erhöhen, sowie die Erbschafts- und Unternehmenssteuer so verändern, dass die Steuerzahler ab 1. Januar 2010 zusätzlich um weitere acht Milliarden Euro entlastet werden. Das Gesetz dazu heißt hochtrabend "Wachstums-Beschleunigungs-Gesetz", kann aber gerade noch akzeptiert werden. Neben dieser jährlichen Entlastung von 22 Milliarden Euro beabsichtigt die Koalition, ab 2011 die Einkommensteuer um weitere 24 Milliarden Euro zu senken, sodass der Staat dann 46 Milliarden Euro jährlich weniger einnimmt. Die Begründung lautet: Die Steuersenkungen erzeugen Wirtschaftswachstum, das später zu höheren Steuereinnahmen führt.

Diese Aussage ist in ihrer Schlichtheit falsch. Zwar steigt bei einer Steuersenkung das verfügbare Einkommen ("mehr netto vom brutto"); ob dadurch aber mehr konsumiert und so Wachstum erzeugt wird, ist absolut nicht sicher. Aus empirischen Untersuchungen wissen wir, dass die Konsumenten ihr zusätzliches verfügbares Einkommen eher sparen, wenn ihre Zukunftserwartungen negativ sind, das heißt wenn sie wegen der hohen Staatsverschuldung nicht an eine dauerhafte Steuersenkung glauben, oder mit höheren Sozialabgaben rechnen, oder auch wenn ihr Arbeitsplatz bedroht ist.

Da genau diese Gründe bei uns im Moment zutreffen, glaube ich, dass die beabsichtigten Steuersenkungen ihr Ziel verfehlen und das Wachstum der Wirtschaft nur in geringem Maße ankurbeln werden. Gestützt wird diese Einschätzung durch eine von mir vorgenommene statistische Analyse mit dem Ergebnis, dass die seit 1993 immer wieder veränderten Eingangs- und Spitzensteuersätze keinen statistisch messbaren Einfluss auf die Wachstumsrate der Wirtschaft gehabt haben. In seinem jüngsten Gutachten kommt der Sachverständigenrat zu einem ähnlichen Ergebnis und lehnt Steuersenkungen ab.

Wenn der Erfolg der Steuersenkung kaum zu belegen ist, muss man das Augenmerk umso stärker auf die "Kosten" der Steuerentlastung richten, das heißt auf die Erhöhung der Staatsverschuldung durch die Mindereinnahmen. Auf diesem Gebiet sieht es dramatisch aus. Infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise und der beschlossenen Konjunkturpakete rechnet das Finanzministerium für die Jahre 2009 bis 2013 mit einer Neuverschuldung allein des Bundes von insgesamt 310 Milliarden Euro. Eigentlich müssten noch 34,5 Milliarden Euro mehr Kredite aufgenommen werden, doch lässt das die neue "Schuldenbremse" im Grundgesetz nicht zu, sodass dieser Betrag durch Einsparungen im Haushalt erwirtschaftet werden muss.

Schon 2010 wird der Schuldenstand der Bundesrepublik bei 84 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen, was die erlaubte Schuldengrenze des EU-Vertrags von maximal 60 Prozent deutlich übertrifft. Dafür müssen allein im nächsten Jahr 72 Milliarden Euro an Zinsen gezahlt werden.

Bei dieser dramatisch hohen Staatsverschuldung sind weitere Steuersenkungen der schwarz-gelben Koalition nicht zu verantworten. Es ist daher zu hoffen, dass Finanzminister Schäuble rechtzeitig die Notbremse zieht und FDP und CSU ein Argument einfällt, warum sie ihre Wahlversprechen nicht halten können.

Professor Karl-Werner Hansmann leitet das Institut für Industriebetriebslehre und Organisation an der Universität Hamburg.