Den Jobverlust nutzen viele Hamburger zum Sprung in die Selbstständigkeit. Neun Monate lang gibt es Zuschüsse.

Hamburg. Die Gemüsebrühe köchelt auf kleiner Flamme, ein Topf mit Linsen steht auf dem Herd. Dazwischen, neben Zutaten wie ausgepressten Tomaten, Möhrenscheiben und einer Flasche Apfelessig, steht John-Hendric Matthies. Selbstständig sein wollte er schon immer, erzählt er. Seit dem 1. November ist er es. Mit seiner Firma, für die er sich als Symbol eine Biene ausgesucht hat, wird er von Ende November an auf Wochenmärkten seine nur aus zertifizierten Biozutaten gekochten Suppen und gepressten Säfte anbieten. Bei einem Verkauf von 30 Litern Suppe pro Tag plus Getränken und Gemüsekuchen wie Quiche Lorraine soll sich das Geschäft lohnen. Für die Märkte in Ottensen, St. Georg und Eppendorf gibt es mündliche Zusagen. "Ich kann jetzt selbstbestimmt arbeiten", sagt Matthies, "ein gutes Gefühl."

Ganz freiwillig jedoch war der Wechsel in das neue Leben nicht. Rückblende: Über 20 Jahre verdiente Matthies als Schiffsmakler bei verschiedenen Firmen in Hamburg gutes Geld. Dann kam die Krise, in der mit sinkenden Transportmengen und Frachtraten auch die Umsätze der Firmen fielen. Der gelernte Schifffahrtskaufmann hatte das Pech, erst im Sommer 2008 in eine neue, junge Firma gewechselt zu sein. Der Chef musste Personal abbauen. Ihn traf es. Seit März 2009 ist der 45-Jährige arbeitslos.

"Zunächst war ich geschockt. Man weiß in einem solchen Moment nicht, was man denken soll", sagt Matthies. "Ich bin mit der S-Bahn nach Hause gefahren und habe gedacht: In deinem Job kannst du dich derzeit vorstellen, wo du willst. Da passiert nichts." In seiner Branche ist der Hamburger längst nicht der Einzige. "Wenn Reedereien Dienste einstellen und Europa nicht mehr anlaufen, fallen Jobs weg", sagt Klaus Bültjer, Geschäftsführer der Vereinigung Hamburger Schiffsmakler und Schiffsagenten. Erst bei dem von ihm seit 1983 jährlich in Hamburg organisierten Eisbeinessen für die internationale Branche war die Krise Hauptthema. Mit 4500 Gästen kamen zudem deutlich weniger als im Vorjahr. Nun fürchtet Bültjer, dass bis zu 20 Prozent der mehr als 1000 Beschäftigten von Agenturen, die für Linienreedereien arbeiten, nicht mehr gebraucht werden könnten.

In einer solchen Situation, ohne Job, haben sich in den vergangenen zehn Jahren knapp 44 000 Menschen in Hamburg ähnlich wie Matthies selbstständig gemacht. Diese Bilanz zog gestern die Hamburger Arbeitsagentur. Nach dem Auslaufen der Ich-AG und des Überbrückungsgeldes im August 2006 wird heute ein Gründungszuschuss gezahlt (siehe Infokasten). Nach 3294 Gründern 2007 und 3527 im vergangenen Jahr werden in diesem Jahr voraussichtlich mehr als 4000 Frauen und Männer von der Agentur unterstützt werden, sagte Rolf Steil, der Chef der Hamburger Arbeitsagentur, gestern in Hamburg. Er rechnet damit, dass 2009 mehr als 40 Millionen Euro auf die "Konten der Jungunternehmer fließen".

Für die Agentur sind die 464 Millionen Euro, die in den vergangenen zehn Jahren in die Förderung geflossen sind, effizient eingesetzte Mittel. Denn auch knapp fünf Jahre nach ihrer Gründung sind 56 bis 70 Prozent der Selbstständigen noch immer am Markt. Dazu haben weitere 20 Prozent einen neuen Job gefunden, hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) herausgefunden.

Für seine Selbstständigkeit setzt Matthies jetzt auf seine Leidenschaft für das Kochen, die ihm bislang Komplimente von Bekannten und Freunden eingebracht hat. Schon in den vergangenen Jahren kochte er für sie Suppen und bereitete italienische Vorspeisen vor, baute Büfetts auf und sorgte bei der Examensfeier seiner Freundin Kirsten für Speis und Trank. Als die Vermittlerin der Arbeitsagentur ihn nach einer Idee für die Selbstständigkeit fragte, konnte er so auf erste Überlegungen hinweisen. Eine Gelegenheit zum Vorbereiten der Suppen fand Matthies beim Eidelstedter Partyservice über eine Anzeige im Abendblatt. Inhaber Kurt Torner hatte sich bei ihm gemeldet und räumte ihm eine günstige Miete ein. "Er kommt mir sehr entgegen", sagt der Jungunternehmer.

Der mithilfe eines Freundes mit Betriebswirtschafts-Kenntnissen ausgearbeitete Businessplan überzeugte dennoch zunächst viele Hamburger Geschäftsbanken nicht. "Es war ein elendiger Kampf", erinnert sich der Hamburger. "Die Haspa wollte 200 Euro für die Begutachtung des Konzepts", sagt Matthies. "Das machen wir generell", bestätigt ein Sprecher der Haspa. Dafür gebe es auch eine fundierte Analyse. Wenn der Kredit gewährt wird, wird die Gebühr verrechnet. Doch dazu kam es nicht. Die 15 000 Euro Kredit für Investitionen erhielt Matthies schließlich von der Hamburger Volksbank und steckte sie vor allem in ein Dreirad-Fahrzeug, das derzeit von einer Firma für den Verkauf umgebaut wird.

Der Wagen soll die Kunden bald neugierig auf Essen und Getränke machen, die für rund fünf Euro zu haben sein werden. Matthies hofft darauf, auch künftig Komplimente zu erhalten. Das wäre "Balsam" für seine Seele. "Ich bin Koch aus Passion", sagt der ehemalige Schiffsmakler. "Nun muss ich auch verkaufen."