Die Festnahme des Milliardärs Rajaratnam soll ein “Weckruf“ für die Branche sein, hofft die Staatsanwaltschaft.

New York. Der Schock an der Wall Street sitzt tief. Eben erst setzt der berühmteste Börsenplatz der Welt nach der Finanzkrise zum Neuanfang an, gerade schien die Madoff-Betrugsaffäre verdaut - da erschüttert das nächste Beben das Herz New Yorks. Der wohl größte Insiderhandelskandal der Hedgefonds-Branche rund um Milliardär Raj Rajaratnam zieht große Kreise - bis hinein in US-Vorzeigekonzerne.

Das schillernde Schwergewicht Rajaratnam war gestern Morgen Thema Nummer eins der Börsenhändler. "Festnahme von Hedgefonds-Chef erschüttert Branche", titelte die "New York Times". Das Konterfei des in Sri Lanka geborenen Schnauzbarts, der mit einem Vermögen von 1,3 Milliarden Euro laut "Forbes" auf Rang 559 der reichsten Menschen der Welt steht, prangte auf allen Blättern. Und gleich daneben Hinweise auf mögliche Finanzkontakte zur Rebellengruppe der Tamilen-Tiger LTTE auf Sri Lanka.

Rajaratnam habe - wie andere im Ausland lebende Geschäftsleute aus Sri Lanka - Geld an die in den USA ansässige pro-tamilische Wohltätigkeitsorganisation TRO gespendet. Der Verdacht kam auf, die Spenden könnten an die LTTE weitergeflossen sein. "Zu dem Zeitpunkt, als Herr Rajaratnam gespendet hat, war die TRO weder in Sri Lanka noch in den USA verboten", erklärte gestern die Ermittlungsabteilung der srilankischen Zentralbank, die in dem Land bei Geldwäscheverdacht ermittelt. Die TRO wurde verboten, ihre Guthaben wurden 2008 eingefroren.

Rajaratnam erwarb sich in den 90er-Jahren mit Technologieaktien ein Vermögen, gründete 1997 den Hedgefonds Galleon Group und machte weiter Gewinne - legal, wie er über Anwälte verlauten ließ.

Am Freitag hatten Fahnder den 52-Jährigen in seinem New Yorker Luxusappartement festgenommen. Mit an der Wall Street unüblichen Methoden der Terrorbekämpfung waren FBI und Staatsanwalt ihm auf die Schliche gekommen. Stundenlang belauschten sie Telefongespräche, werteten Unmengen von Daten zu Aktiengeschäften aus. Die Dreistigkeit und Gier der Verdächtigen verblüffte die Beamten: "Du bringst mich ins Gefängnis, wenn du auspackst", soll die zu den Hauptbeschuldigten zählende Hedgefonds-Managerin Danielle Chiesi gesagt haben. Und: "Ich bin tot, wenn das rauskommt."

Mit fünf Topmanagern als Komplizen soll Rajaratnam seit Januar 2006 über illegale Aktiengeschäfte rund 20 Millionen Dollar (13,4 Millionen Euro) ergaunert haben. Topmanager wie IBM-Vizepräsident Robert Moffat steckten den Hedgefonds laut Staatsanwalt Preet Bharara geheime Informationen über ihre Konzerne zu. Wenn die Kurse von IBM, Intel, Google und Co dann etwa nach Bekanntgabe neuer Quartalszahlen stiegen, verdienten sie kräftig mit. Die Devise laut Bharara: "Hilfst du mir, helf ich dir!" Als ein Komplize auspackte, flog alles auf. Nun tauchen reihenweise redewillige Ex-Kollegen auf. Rajaratnam streitet alles ab. Gegen 100 Millionen Dollar Kaution kam er frei.

Ermittler seien noch mehreren Netzwerken ähnlicher Finanzbetrüger auf der Spur, zitieren US-Medien Insider. Weitere Festnahmen gelten als wahrscheinlich. Einige stünden mit Rajaratnam in Verbindung. Der Skandal sei ein "Weckruf" für die ganze Branche, warnte der Staatsanwalt alle Händler und auch Firmenmitarbeiter, die über eine Beteiligung am Insiderhandel nachdenken würden: "Heute, morgen, kommende Woche und die Woche danach sollten sich privilegierte Wall-Street-Insider, die einen Gesetzesverstoß erwägen, eine wichtige Frage stellen: Hören die Ermittler mit?" Das "Wall Street Journal" schlug die Brücke zur organisierten Kriminalität: "Gemeint ist, dass die Behörden Hedgefonds nun wie die Mafia behandeln."

Noch ist ungewiss, ob die Justizbehörden ihre Vorwürfe vor Gericht ausreichend beweisen können. Wenn ja, drohen Rajaratnam bis zu 20 Jahre Gefängnis, manchen US-Medien zufolge sogar lebenslänglich. Eins bleibt unklar: Warum ein Milliardär seinen Reichtum für ein paar Millionen mehr aufs Spiel setzt. "Nach einiger Zeit ist Geld nicht mehr die Motivation", sagte Rajaratnam einmal. "Ich will gewinnen - jeden Tag." Nun hat er womöglich alles verloren.