Hans-Theodor Kutsch, Vorsitzender des Industrieverbandes Hamburg, sagt, warum die Industrie wichtig für die Hansestadt ist.

Hamburg. "Hamburg braucht seine Industrie", sagt Hans-Theodor Kutsch. Der 59-Jährige wurde zum Vorsitzenden des Industrieverbandes Hamburg (IVH) gewählt. In seinem ersten Interview spricht er im Abendblatt über Politik, Hamburg und die Wirtschaftskrise.

Abendblatt: Herr Kutsch, Hamburg ist zur Europäischen Umwelthauptstadt 2011 gekürt worden. Qualmende Schornsteine stören diese Idylle. Braucht eine prosperierende Dienstleistungsmetropole wie Hamburg überhaupt noch Industrie?

Hans-Theodor Kutsch: Industrie ist heute weit mehr als qualmende Schornsteine! Wir haben in Deutschland die wohl strengsten Auflagen für die Industrie weltweit. Zudem zählt die deutsche Industrie zur Weltspitze bei der Entwicklung von Produkten in der Umwelttechnik. Beispiele aus Nordrhein-Westfalen zeigen vorbildhaft, wie sich heute Industrie und Umwelt auch landschaftlich hervorragend vereinigen lassen. Hamburg als Stadt braucht natürlich auch wirtschaftlich eine gut funktionierende Industrie. Viele Handels- und Dienstleistungsunternehmen leben von Aufträgen aus der Industrie. Zudem sind wir mit 1500 Ausbildungsverhältnissen die drittgrößte Ausbildungsbranche. Darauf kann Hamburg nicht verzichten.



Abendblatt: Nach dem Wahlsieg der schwarz-gelben Koalition müssen in Ihrer Branche die Sektkorken geknallt haben.


Kutsch: Warum? Noch wissen wir noch nicht einmal viele Einzelheiten aus der Koalitionsvereinbarung.


Abendblatt: Union und FDP haben sich bei den Koalitionsverhandlungen im Grundsatz bereits auf eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken verständigt.


Kutsch: Davon allein haben wir nichts. Nur wenn die Laufzeitenverlängerungen dazu führen, dass ein Teil der resultierenden Gewinne dazu verwendet wird, den Strompreis für die energieintensive Industrie zu senken, ist uns und auch dem Industriestandort Deutschland geholfen. Es geht beim Strompreis aber bei Weitem nicht nur um die Frage der Laufzeitverlängerungen. Auch das Erneuerbare Energien Gesetz EEG muss geändert werden. Die Subventionen aus diesem Gesetz müssen gesenkt werden, sie verteuern die Energie für alle Verbraucher in Deutschland.


Abendblatt: Jammern gehört natürlich zum Geschäft. Aber mal ehrlich, warum soll immer nur die Wirtschaft von Wahlgeschenken profitieren?


Kutsch: Es geht nicht um Wahlgeschenke, sondern darum, dass die Industriestrompreise in Deutschland zu hoch sind für den internationalen Wettbewerb. Damit der Industriestandort Deutschland konkurrenzfähig bleibt, verlangen wir nur, dass wir hier vergleichbare Preise bekommen. In Spanien liegt der Industriestrompreis mit 28 bis 30 Euro pro Megawattstunde gerade einmal auf der Hälfte des deutschen Niveaus von 55 bis 60 Euro pro Megawattstunde.


Abendblatt: Wünsche werden nun mal nicht immer erfüllt.


Kutsch: Es geht um mehr als um reine Wünsche. An den Strompreisen hängt die Überlebensfähigkeit des Industriestandortes Deutschland. Energieintensive Produkte wie Stahl, Kupfer oder Aluminium werden zu Weltmarktpreisen gehandelt. Nur weil hier der Strom teurer ist, können Unternehmen wie Aurubis, Trimet Aluminium oder ArcelorMittal nicht mehr Geld für ihre Erzeugnisse verlangen. Also besteht die Gefahr, dass die Produktion in Hamburg und in Deutschland irgendwann nicht mehr konkurrenzfähig ist. Es ist nicht nachvollziehbar, dass wir sogar innerhalb Europas solche Kostennachteile gegenüber der Konkurrenz auf dem Weltmarkt haben.


Abendblatt: Wenn Industriestrom billiger wird, geht dies zulasten der Privatkunden. Warum sollen sie die Zeche bezahlen?


Kutsch: Weil die Industrie Arbeitsplätze schafft, Steuern bezahlt und in Deutschland produziert. Geht die Industrie ins Ausland, verliert auch das Klima, da dann an Orten mit wesentlich geringeren Klimaschutzstandards produziert werden wird. Wenn auch nur ein Teil der Gewinne, die die längeren Laufzeiten der Kernkraftwerke bringen, für konkurrenzfähige Industriestrompreise verwendet wird, ändert sich für den normalen Verbraucher nichts. Von einer Änderung des EEG würden die Verbraucher sogar profitieren.


Abendblatt: Wie steht die Hamburger Industrie mit ihren 180.000 Arbeitsplätzen in Zeiten der Finanzkrise da?


Kutsch: Ich schätze, dass in der Hamburger Industrie im Jahresvergleich 1000 Arbeitsplätze abgebaut wurden. 25 000 Mitarbeiter befinden sich in Kurzarbeit. Die Lage ist je nach Branche aber unterschiedlich. Autozulieferern geht es zum Beispiel schlechter als etwa der Medizintechnik.


Abendblatt: Wie kommt Ihr Unternehmen durch die Krise?


Kutsch: Gut, auch wenn Umsätze und Gewinne sinken werden. Mit einer Eigenkapitalquote von 43 Prozent ist die Otto-Krahn-Gruppe gut ausgestattet. Das Geschäft belebt sich, sowohl in der Krahn Chemie als auch in der Albis Plastic. Daher haben wir bei Albis Plastic die Kurzarbeit für die gewerblichen Mitarbeiter ausgesetzt. Für die Angestellten haben wir die 35-Stunden-Woche wieder auf 37,5 Stunden ausgedehnt bei vollem Lohn. Zudem erhalten unsere 950 Mitarbeiter trotz Krise ein 13. Monatsgehalt.


Abendblatt: Ihre Forderungen an die Hamburger Politik?


Kutsch : Bei Problemen finden wir schnell Zugang und Unterstützung von der Politik. Aber die Willensbildung dauert oft zu lange. Bei Infrastrukturvorhaben wie der Hafenquerspange, der Elbvertiefung oder auch beim Flächenmanagement und der Entbürokratisierung kommen wir in Hamburg noch zu langsam voran. Das ist für den Standort gefährlich. Denn wenn Konzerne mit mehreren Niederlassungen in Deutschland ihre Standorte auf den Prüfstand stellen, wird Hamburg mit anderen Bundesländern verglichen. Die Stadt kommt dabei nicht immer gut weg.


Abendblatt: Das hört sich nach Drohgebärde an.


Kutsch: Ganz kurz und plastisch: Wir haben einen überdurchschnittlich hohen Gewerbesteuerhebesatz. Er ist mehr als doppelt so hoch wie in einigen Umlandgemeinden. Das ist ein Nachteil gegenüber dem Umland, aber auch im nationalen und internationalen Vergleich.


Abendblatt: Zu ihrem Amtsantritt als Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg haben Sie gesagt, dass Sie dazu beitragen wollen, dass Wirtschaft und Forschung künftig besser verknüpft werden. Das läuft doch schon. Beiersdorf, Airbus oder die Lufthansa Technik finanzieren sogar schon Lehrstühle.


Kutsch: Ja, aber im Bundesvergleich ist Hamburg bei der Zahl der forschungsintensiven Arbeitsplätze unterrepräsentiert. Die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Wirtschaft funktioniert meist nur mit großen Firmen. Als IVH organisieren wir bereits regelmäßig Veranstaltungen mit Universitäten und Unternehmen. In Zukunft möchte ich auch die mittelständische Industrie dafür sensibilisieren, in Sachen Innovation stärker mit Hamburger Forschungseinrichtungen zusammenzuarbeiten. Davon würde auch der Standort Hamburg insgesamt profitieren.


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