Viele Verträge werfen nur noch drei Prozent Plus ab. Beschwerden bei Verbraucherzentrale nehmen massiv zu.

Hamburg. Fast zwei Jahrzehnte hat Helmut Trübe aus Ahrensburg in seine Lebensversicherung eingezahlt, 2400 Euro pro Jahr. Sein Vermittler von der Generali hatte ihm vor 19 Jahren vorgerechnet, was er einmal ausgezahlt bekommen sollte: 162 858 Mark (83 268 Euro). Doch als Zahltag war, kam die Überraschung: Nur 65 000 Euro bekam der 70-Jährige überwiesen - 22 Prozent weniger als erwartet. "Die Beschwerden über sinkende Ablaufleistungen nehmen massiv zu", sagt Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg. "Wir haben rund 100 abgelaufene Policen nachgerechnet und sind nur noch auf eine Rendite von gut drei Prozent gekommen."

Überschussbeteiligung sinkt

Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gerieten viele Versicherer in Bedrängnis, viele mussten ihre Reserven anbrechen, weitere Abschreibungen drohen, das Neugeschäft lahmt. "Wir haben den Ausblick für die gesamte deutsche Lebensversicherungsbranche schon im Oktober 2007 auf 'negativ' gesetzt und diese Prognose hat sich bei den Einzelratings bestätigt", sagt Tim Ockenga von der Ratingagentur Fitch dem Abendblatt. Rund ein Drittel der bewerteten Versicherer hat 2009 ein schlechteres Rating als ein Jahr zuvor.

Fast jeder ist betroffen. Die Deutschen haben 686 Milliarden Euro in 93 Millionen Verträgen investiert. Jeder vierte Euro des Vermögens liegt bei einer Lebensversicherung, wozu auch Rentenversicherungen oder Pensionskassen gehören.

Große Abhängigkeit von Banken

Die Finanzkrise offenbarte, wie extrem abhängig die Versicherungen von den Banken sind. Rund 60 Prozent ihrer festverzinslichen Anlagen haben die Versicherer bei den Banken, schätzt die Ratingagentur Fitch. Ein Zusammenbruch der inzwischen verstaatlichen Hypo Real Estate wäre für die Kunden der Lebensversicherer zur Katastrophe geworden. "Ohne Stützungen des Staates für die Banken wäre die Altersvorsorge der Deutschen extrem gefährdet gewesen", sagt Reiner Will, Geschäftsführer der Ratingagentur Assekurata. Er sieht kaum Alternativen für das große Engagement der Lebensversicherer bei den Banken. "Sie waren in der Vergangenheit sehr bonitätsstarke Schuldner und wurden deshalb von den Versicherern bevorzugt", sagt Daniela Röben vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV). Ein Vorteil dieser Anlagen: Im Gegensatz zu Unternehmensanleihen drohen bei Schuldscheindarlehen der Banken keine Kursverluste, die abgeschrieben werden müssen.

Unter 5 Prozent in Aktien angelegt

Ohne Erleichterungen bei der Bilanzierung wäre es nicht möglich gewesen, Abschreibungen zu vermindern und das Kapitalanlageergebnis aufzupolieren. Ein Kursrutsch von 20 Prozent bei einem Wertpapier muss nicht gleich in der Bilanz berücksichtigt werden.

Manche rechnen Kursverluste mit künftigen eventuellen Dividendenzahlungen auf. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schiebt die Verantwortung den Wirtschaftsprüfern zu, die bei der Bilanz die Interpretationsspielräume nutzen. "Bei Abweichungen von mehr als 20 Prozent vom Kurswert hinterfragen wir das Testat des Abschlussprüfers im Einzelfall kritisch", sagt BaFin-Sprecherin Kathi Schulten. 2003 lag die Grenze noch bei zehn Prozent. Die Anhebung sei den hohen Schwankungen an den Kapitalmärkten geschuldet. Ein Trost für die Kunden bleibt allerdings: Die Versicherer haben weniger als fünf Prozent Aktien in den Depots.

Stresstest bestanden

Erleichterungen gibt es auch beim Stresstest, den die Versicherer einmal jährlich unter Aufsicht der BaFin absolvieren müssen. Dabei wird geprüft, wie sich ein plötzlicher Kurssturz bei Aktien und anderen Wertpapieren auf die eingegangenen Verpflichtungen auswirkt. In diesem Jahr fielen zwei Unternehmen durch. Im Aktienbereich wurde bisher ein Kurssturz von 35 Prozent simuliert. "Jetzt gibt es einen variablen Wert, der sich nach dem Stand des EuroStoxx50 richtet", sagt Schulten. Je niedriger der Index notiert, umso geringer das angenommene Rückschlagpotenzial, obwohl auch ein niedriger Index noch um 50 Prozent und mehr fallen kann. So müsste jetzt beim BaFin-Stresstest nur noch ein Kurseinbruch von 20 Prozent verkraftet werden.

Versprechen für 2009: 4,28 Prozent

Für dieses Jahr versprechen die Lebensversicherer ihren Kunden eine Überschussbeteiligung von 4,28 Prozent. Eine stolze Verzinsung angesichts des niedrigen Zinsniveaus am Markt. Für die Branche ist das ein gutes Argument, um ihr Produkt gerade in Krisenzeiten zu bewerben. "In guten Kapitalmarktzeiten werden Sicherheitspuffer aufgebaut, die in unruhigen Zeiten zur Glättung der Überschüsse der Versicherten verwendet werden", sagt Daniela Röben vom Branchenverband GDV. "Da wir sehr langfristig anlegen, profitieren wir auch noch von höheren Zinsniveaus in der Vergangenheit", ergänzt Udo Rössler von der Allianz. Mit jährlichen Rückstellungen für Beitragsrückerstattung (RfB) kann in schlechten Zeiten die Überschussbeteiligung aufgepeppt werden. Doch die Reserven schmelzen dahin. "Innerhalb von zwei Jahren hat die RfB-Quote im Branchendurchschnitt um rund 40 Prozentpunkte abgenommen", sagt Will. 2008 lag der Puffer bei 1,5 Prozent der Kapitalanlagen, zehn Jahre zuvor waren es 14 Prozent.

Jedes dritte Rating gesenkt

Fitch hat nicht nur die Ratings von einem Drittel der geprüften Lebensversicherer gesenkt, sondern viele Unternehmen auf einen negativen Ausblick gesetzt. Damit drohen weitere Abstufungen. Ockenga begründet den negativen Ausblick mit den noch vorhandenen Risiken. "Die Schwankungen an den Aktienmärkten sind nach wie vor hoch. Zusammen mit nachgeholten Abschreibungen auf andere Wertpapiere wird dies auch 2009 die Nettoverzinsung der Lebensversicherer belasten", sagt der Fitch-Experte. "Zudem stehen manche Versicherer auch vor größeren Vertragsabläufen, ohne dass sie das mit Neugeschäft kompensieren können."

Weniger Neuabschlüsse

Schon im vergangenen Jahr wurden zwölf Prozent weniger Policen abgeschlossen. Schlimmer trifft die Branche, dass immer mehr Policen vorzeitig gekündigt werden. 2008 waren das Lebensversicherungen im Wert von 14 Milliarden Euro. Wegen neuer Regeln des Bundesgerichtshofs können die Versicherten nicht mehr mit minimalen Rückkaufswerten abgespeist werden. Mit steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Überschussbeteiligung wächst die Gefahr, dass immer mehr Kunden vorzeitig aus ihren Verträgen aussteigen.

Die größte Herausforderung für die Versicherer sind deshalb die niedrigen Zinsen. "Um allein den durchschnittlichen Garantiezins erfüllen zu können, müssen die Versicherer mit ihren Kapitalanlagen eine Rendite von circa 3,2 Prozent erwirtschaften", sagt Ockenga. Bei niedrigen Zinsen sieht Manfred Poweleit, Herausgeber des Branchendienstes Map-Report eine Verschärfung der Probleme für die Branche. "Das kann gefährlicher werden als das Krisenjahr 2008", sagt er. In gut zwei Monaten werden die Versicherer ihre Überschussbeteiligung für 2010 bekannt geben. "Wir werden in diesem Jahr mehr Absenkungen sehen", so Will.

Wer vor 20 Jahren eine Lebensversicherung (z. B. für 1200 Euro pro Jahr) abgeschlossen hat, erhält im Marktdurchschnitt 40 721 Euro ausbezahlt, so der Map-Report. Wer jetzt eine abschließt, kommt nach einer Prognose nur noch auf 35 796 Euro und erhält wie Helmut Trübe am Ende eventuell noch viel weniger.