Vor vier Jahren ein Sanierungsfall, heute der strahlende Star der Branche: Das Comeback von VW beeindruckt. Doch wie lange währt das Wunder von Wolfsburg?

Es war sein Tag, wieder einmal, wie so oft in den vergangenen Monaten. Am Mittwoch trat Ferdinand Piëch vor 14 000 Mitarbeiter bei der Betriebsversammlung von Volkswagen in Wolfsburg. Ihnen, den Mitarbeitern, sei es zu danken, dass Volkswagen die Weltwirtschaftskrise besser bestanden habe als jeder andere Hersteller, lobte der Konzernpatriarch. Sie hätten es geschafft, "die besten Produkte zu entwickeln, die Volkswagen je gebaut hat", sagte Piëch, der den Aufsichtsrat leitet und Miteigentümer von Volkswagen ist. Der Applaus in Halle 11 auf dem riesigen Fabrikgelände war ihm sicher, obwohl der Betriebsrat die Mitarbeiter eingeladen hatte, um sie auf die nächste Tarifrunde am Montag einzustimmen.

Der Tarifstreit bei Volkswagen klingt dieser Tage nicht lauter als ein Hintergrundrauschen. Es sind Tage des Triumphes für Europas größten Automobilhersteller. Dessen Management will das Markenkonglomerat in weniger als zehn Jahren an die Weltspitze der Branche führen, vorbei am japanischen Konkurrenten Toyota. Der Stern des Wolfsburger Konzerns leuchtet umso heller, je düsterer die Prognosen der Konkurrenz erscheinen. Selbst Mercedes, die deutsche Auto-Nobelmarke schlechthin, fährt derzeit schwere Verluste ein.

Volkswagen aber erscheint präsenter denn je. Die Übernahmeschlacht mit Porsche hat der Volkswagen-Vorstand für sich entschieden - auch mithilfe von Piëch. Die Folgen der Wirtschaftskrise erscheinen beherrschbar, der Konzern arbeitet noch immer mit Gewinn. Rund 1,2 Milliarden Euro operatives Ergebnis waren es im ersten Halbjahr 2009 - auch dank der Abwrackprämie, von der VW wegen seines hohen Marktanteils in Deutschland am stärksten profitiert. Um fast 30 Prozent stieg der Fahrzeugabsatz im Inland gegenüber dem ersten Halbjahr 2008.

Kein anderer Hersteller feierte sich zur Eröffnung der weltgrößten Automobilmesse IAA in Frankfurt Mitte September bei der Vorführung neuer Modelle so pompös wie Volkswagen. Die Wolfsburger fuhren das komplette Programm auf, vom Einliter-Auto bis zur Studie eines neuen 16-Zylinder-Bugatti. Zeitgemäß rollte auch ein Elektromobil auf die Bühne. Kein anderer Automobilkonzern münzt die Folgen der Krise so selbstbewusst in eigene Chancen um wie der Branchenriese aus Niedersachsen. "Volkswagen hat das Potenzial, Toyota als weltgrößten Automobilhersteller zu überflügeln", sagt der Automobilanalyst Aleksej Wunrau von der Frankfurter BHF-Bank. "Die Produktion im Konzern ist technisch hoch standardisiert und effizient, sie erlaubt den Austausch einer großen Zahl von Teilen. Gleichzeitig können die Marken ihr eigenes Image pflegen. Damit hat Volkswagen ein Alleinstellungsmerkmal."

Besonders Piëch nutzte die große Bühne zum Auftakt der IAA in der Frankfurter Jahrhunderthalle, um über die Expansion des Konzerns zu plaudern, der den Sportwagenhersteller Porsche gerade als zehnte Marke übernimmt: "Zwölf ist eine gute Zahl", sagte der Enkel des "Käfer"-Erfinders Ferdinand Porsche. "Ein Dutzend ist leichter zu merken als zehn." Man arbeite an weiteren Übernahmen, sagte Piëch an der Seite seiner Ehefrau Ursula gut gelaunt: "Lassen sie sich überraschen."

Das Comeback von Volkswagen ist die erstaunlichste Erfolgsgeschichte der deutschen Industrie seit langer Zeit. Vor nur vier Jahren lag Europas führender Automobilhersteller am Boden: Die Kernmarke VW galt dem damaligen Topmanagement als "Sanierungsfall". Obendrein hatten Personalchef Peter Hartz und Betriebsratschef Klaus Volkert den Konzern 2005 durch eine Rotlicht- und Korruptionsaffäre der Lächerlichkeit preisgegeben.

Die beste Nachricht jenes Jahres war für die Volkswerker in Wolfsburg, dass der viel kleinere Porsche-Konzern als Investor bei VW einstieg und damit eine mögliche feindliche Übernahme durch eine "Heuschrecke", einen Finanzinvestor, verhindern konnte. Da ahnte noch niemand, dass Porsche selbst und dessen Chef Wendelin Wiedeking sich viel später als feindlicher Übernehmer entpuppen würde.

Die Trendwende bei Volkswagen markiert aber auch eine Renaissance der längst totgesagten "Deutschland AG", jedenfalls eines ihrer zentralen Merkmale: Bei keinem anderen führenden deutschen Konzern ziehen der Vorstand und die Belegschaft so an einem Strang. Hinzu kommt der staatliche Einfluss des Landes Niedersachsen. Gegen die Interessen des 20-Prozent-Aktionärs läuft bei Volkswagen nichts, und das wichtigste politische Interesse der Regierung in Hannover ist die Sicherung möglichst vieler Arbeitsplätze, vor allem in den landeseigenen Fabriken in Wolfsburg, Hannover, Braunschweig und Emden.

Stets wurde der massive Einfluss der Arbeitnehmerseite bei Volkswagen von der Branche mit Häme bedacht, wurde die Konsenskultur im Konzern als "VEB Wolfsburg" verspottet. 97 Prozent der Mitarbeiter in den deutschen Werken seien bei der IG Metall organisiert, inklusive etlicher Angehöriger des mittleren Managements, sagt stolz Hartmut Meine, der mächtige Bezirksleiter der Gewerkschaft in Niedersachsen: "Man kann Volkswagen nur führen, wenn man sich darauf einstellt, mit der Belegschaft, mit dem Betriebsrat, mit der IG Metall in Konfliktsituationen zu kooperieren. Das tut Konzernchef Martin Winterkorn, das tut und tat auch Ferdinand Piëch", sagt Meine. "Wolfgang Bernhard ist hingegen an dieser Notwendigkeit gescheitert."

Der Sanierer Bernhard, der bei Daimler und Chrysler zu einem der Shootingstars der Automobilbranche aufgestiegen war, blieb als VW-Markenvorstand von Anfang 2005 bis Anfang 2007 nur knapp zwei Jahre bei Volkswagen. In dieser Zeit brachte er die Belegschaft der damals verlustträchtigen Kernmarke VW massiv gegen sich auf, weil er keinen Tabubruch scheute. Er kündigte an, die jährlichen Kosten um sieben Milliarden Euro zu senken, er drohte mit der Schließung kompletter Fabriken in Deutschland und selbst damit, die Fertigung des Flaggschiffs Golf von Wolfsburg ins Ausland zu verlagern. Der damalige Konzernchef Bernd Pischetsrieder stürzte nach glückloser Amtszeit im Herbst 2006, Bernhard folgte ihm nach dem Antritt des neuen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn wenig später.

Winterkorn, ein enger Vertrauter Piëchs und zuvor Chef der Konzernmarke Audi, profitierte zwar von Bernhards Einsparungen, brachte den Konzern aber wieder auf jene Linie zurück, die bereits Piëch als Vorstandsvorsitzender verfolgt hatte. Bei den beiden detailversessenen Ingenieuren stand und steht nicht die schnelle Steigerung der Renditen im Mittelpunkt, sondern die Modellpflege und -qualität. "Volkswagen setzt heute eine lange angestrebte, schon von Piëch in den 90er-Jahren eingeleitete Strategie um, die jetzt Früchte trägt", sagt der Analyst Aleksej Wunrau von der BHF-Bank. "Der Konzern hat in den vergangenen Jahren intensiv am Modellmix gearbeitet, zum Beispiel mit dem Tiguan oder der Neuauflage des Scirocco. Hinzu kommt, dass die Gleichteile-Strategie voll greift."

IG-Metall-Funktionär Meine zollt Piëch ein Lob, das man von einem Gewerkschafter über einen Manager und mutmaßlichen Milliardär selten hört: "Wir halten Herrn Piëch für einen ausgezeichneten Aufsichtsratsvorsitzenden, sei es wegen seiner unternehmerischen, sei es wegen seiner technologischen Kompetenz." So zahlt es sich für den Patriarchen aus, das er als Vorstandschef und später als Vorsitzender des Aufsichtsrats stets Seite an Seite mit den Vertretern der Arbeitnehmer marschiert ist. Betriebliche Härten wurden den rund 100 000 Mitarbeitern bei Volkswagen in Deutschland meist abgepolstert, sei es bei Einführung der Vier-Tage-Woche unter Personalchef Hartz Anfang der 90er-Jahre, sei es bei der rechnerischen Rückkehr zur Fünf-Tage-Woche und dem Abbau von rund 5000 Stellen seit 2006: "Bei Volkswagen werden Konflikte kooperativ bewältigt", sagt Meine.

Selbstbewusst zieht die Gewerkschaft in die nächste Tarifvertragsrunde am Montag. "Die IG Metall verhandelt aus einer Position der Stärke heraus", sagt Meine. "Ich hoffe, dass wir bei dieser Runde mit Volkswagen zusammen kommen. Wenn uns das nicht gelingt, wird es Warnstreiks geben. Die Nachfrage nach Fahrzeugen bei Volkswagen ist gut."

Das sind Luxusprobleme, verglichen mit jenen, die viele der Konkurrenten von Volkswagen derzeit plagen. General Motors, jahrzehntelang der Größte der Branche, versucht sich nach einem Insolvenzverfahren zu berappeln. Die GM-Tochter Opel, deren Mehrheit die Amerikaner verkaufen müssen, ist seit Monaten Gegenstand eines würdelosen Geschachers zwischen Politik und Investoren. Toyota, der lange als unschlagbar geltende, profitabelste Massenhersteller, schrieb in der Krise zum ersten Mal in seiner 70-jährigen Unternehmensgeschichte Verlust.

Seine neue Stärke verdankt VW ironischerweise auch der Wirtschaftsflaute. Der Kollaps der Finanzmärkte ruinierte den Plan des früheren Porsche-Chefs Wiedeking und seines Finanzvorstandes Holger Härter. Sie kauften die Mehrheit von Volkswagen und wollten die gewaltige Transaktion auch mit dem Durchgriff auf die Wolfsburger Konzernkasse finanzieren - ganz wie ein Privat-Equity-Fonds, eine "Heuschrecke". Der Plan platzte mit der Finanzmarkt-Blase, Porsche fällt nun an VW, und Wiedeking verlor seinen hoch dotierten Job bei dem Stuttgarter Sportwagenhersteller.

Dem Konkurrenten Toyota wiederum rückt Volkswagen näher, weil sich die Japaner im größten Automobilmarkt der Welt, den USA, mit zu hohen Absatzzahlen verkalkuliert hatten. "Volkswagen war in den USA vor der Krise nicht so gut aufgestellt wie erhofft", sagt Konzernsprecher Peik von Bestenbostel. "Das wendete sich für uns zum Vorteil, weil der US-Automarkt von der Wirtschaftskrise besonders hart getroffen wurde." Im US-Bundesstaat Tennessee will VW ein neues, den Marktverhältnissen entsprechendes Werk bauen. Aber auch alle anderen wichtigen Automobilmärkte der Welt bearbeitet der Konzern intensiv, von China und Brasilien bis Indien und Russland. "Wir sind heute eines der am internationalsten agierenden Automobilunternehmen", sagt von Bestenbostel.

Alle Weichen für den Showdown mit Toyota sind gestellt. Auf einem anderen imageträchtigen Feld aber droht Volkswagen zurückzufallen: Den VfL Wolfsburg hatte Konzernchef Winterkorn mit Millionen Euro gepäppelt und ihm damit in der vergangenen Saison zur deutschen Meisterschaft verholfen. Nach dem Weggang von Trainer Felix Magath wird sich dieser Erfolg kaum wiederholen lassen, die Tabellenspitze ist passé. Beim heutigen Derby gegen Hannover 96 startet der VfL nur von Rang neun.