Die Politiker haben die Erwartungen hochgeschraubt: Nichts weniger als eine umfassende Reform des Finanzmarkts soll der G20-Gipfel bringen.

Hamburg. Mit entschlossenen Schritten sollen die Staats- und Regierungschefs der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer am Donnerstag und Freitag die Spielregeln für Banker so ändern, dass katastrophale Systemkrisen künftig vermieden werden können.

So fordert etwa Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, die Höhe der von einer Bank an ihre Mitarbeiter ausgeschütteten Boni zu begrenzen: "Wir wollen klare Festlegungen, wir wollen ein Ende der Bonus-Skandale." Gebe es keine konkreten Ergebnisse, werde er vorzeitig abreisen. Nicht nur Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel drängen auf ein ehrgeiziges Reformprogramm. Die USA als größte Volkswirtschaft der Welt müsse "nicht nur mit Worten vorangehen, sondern auch mit Taten", sagte Präsident Barack Obama. So könne die Jagd "nach schnellen Profiten und dicken Managerprämien" nicht mehr hingenommen werden.

Branchenexperten haben allerdings ihre Zweifel, ob die vielen guten Vorsätze tatsächlich in scharfe neue Regeln münden. "Meine Erwartungen an den Gipfel sind sehr gering", sagte Martin Faust, Professor für Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of Finance and Management, dem Abendblatt. So werde dort voraussichtlich eine Anzahl "unausgegorener Ideen" wie etwa die sogenannte Tobin-Steuer auf Devisengeschäfte diskutiert, während es in anderen Punkten wie den Boni keine Einigkeit geben werde.

"Ich habe die Befürchtung, dass in Pittsburgh nur Kosmetik betrieben wird", sagte auch Thomas Hartmann-Wendels, Professor für Bankbetriebslehre an der Universität Köln. Nach seiner Auffassung werden Amerikaner und Briten die Bemühungen von Merkel und Sarkozy um eine Beschränkung der Bonuszahlungen torpedieren.

Nachdem der Schock der Lehman-Pleite überwunden ist und manche Banken schon wieder Milliardengewinne erzielen, scheine manchen Staaten die Förderung des eigenen Finanzplatzes inzwischen wichtiger zu sein als ein gemeinsames Handeln zur Begrenzung von Exzessen. "Sogar die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden beginnt darunter bereits zu leiden", erklärte Hartmann-Wendels. Er nennt ein Beispiel für solchen Egoismus: Auf dem G20-Gipfel soll darüber beraten werden, wie die Anforderungen an das Eigenkapitalpolster der Banken künftig aussehen sollen, um sie krisenfester zu machen - "aber die Amerikaner wollen stille Einlagen, die bei etlichen deutschen Banken eine wichtige Rolle spielen, nicht zum haftenden Eigenkapital hinzuzählen."

Auch für den Hamburger Wirtschaftsrechtler Michael Adams hat die Frage der Boni große Bedeutung: "Das Vergütungssystem darf nicht zu einem Vabanque-Spiel verleiten." Adams glaubt jedoch nicht daran, dass sich die Höhe der Sonderzahlungen wirksam reglementieren lässt: "Das wird man international nicht durchsetzen können." Durchaus realistische Chancen hätten aber Vorstöße, die Boni an die Erreichung längerfristiger Ziele zu binden und nicht mehr an den vermeintlichen Erfolg in einem einzelnen Jahr. Ebenso umsetzbar erschienen erhöhte Transparenzanforderungen, um drohende Zusammenballungen von Risiken bei den Banken besser erkennen zu können: "Das wäre schon ein erheblicher Fortschritt." Eine Maßnahme jedoch, die nach Ansicht von Adams entscheidend zur Stabilisierung des Finanzsystems beitragen könnte, wird auf dem G20-Gipfel gar kein Thema sein: "Bankvorstände müssten persönlich dafür haften, wenn sie Papiere kaufen, die sie nicht verstehen."

Bei aller Skepsis könne das Treffen in Pittsburgh aber doch seinen Nutzen haben, meint Hartmann-Wendels. Er wünscht sich, dass dort zumindest "die Einsicht siegt, dass nationale Alleingänge keine dauerhafte Finanzmarktstabilität bringen können."