Im Leihhaus am Jungfernstieg werden Uhren, Gold und Computerspiele zu Geld gemacht. Die Zahl der Stammkunden ist groß.

Hamburg. Linda K. ist gerade arbeitslos geworden. Für sie ist das keine Überraschung, denn sie arbeitete in der krisengeschüttelten Schifffahrtsbranche. Jetzt kämpft die 58-jährige Britin, die seit 20 Jahren in Deutschland lebt, vor dem Arbeitsgericht gegen ihre Entlassung und braucht dringend Geld, denn das Arbeitslosengeld kommt erst Ende des Monats.

Die zierliche Frau kostet es keine Überwindung hierher zu kommen - in Grüne's Leihhaus am Jungfernstieg, gelegen zwischen Apotheke und Bankfiliale. "Es ist einfach und unkompliziert und ich habe diese Möglichkeit schon mehrmals genutzt, denn es gibt Kredit ohne Papierkram und Schufa", sagt sie. "Meine Nichte heiratet in Großbritannien, jetzt brauche ich noch Geld für ein Geschenk."

50 bis 60 Euro stellt sie sich vor und legt eine Goldkette auf den Tresen des Leihhauses, das mit seinen Schaltern und gepanzerten Scheiben wie eine Mischung aus Bankfiliale und Behörde aussieht. 40 Euro bekommt Linda K. für ihre Goldkette.

Um ganz andere Beträge geht es bei der neuen Klientel der Leihhäuser: "Es kommen immer mehr Selbstständige, die vorübergehend dringend Geld benötigen", sagt Inge Grüner, Leiterin der Filiale am Jungfernstieg. "Sie bringen wertvolle Pfänder, denn es geht um größere Summen, die sie von ihrer Bank nicht mehr bekommen." Als Mitglied der Interessengemeinschaft Jungfernstieg kennt sie auch den einen oder anderen Geschäftsmann persönlich. Diskretion ist da besonders wichtig.

Größere Leihgeschäfte können in einem abgeschirmten VIP-Raum abgewickelt werden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Familienschmuck verpfändet wird, um die Löhne einer kleinen Firma zu bezahlen. Grüner kennt viele Sorgen der Selbstständigen: "Wenn das Geschäft abgewickelt ist, erzählen sie oft von ihren Nöten." Da gibt es Gastronomen, denen der Dispositionskredit überraschend gestrichen wurde oder Handwerker, denen das Finanzamt keine Stundung gewährt.

In der Krise wächst die Bedeutung des Leihhauses als Ersatz für ausbleibende Bankkredite. Mit Familienschmuck, wertvollen Uhren, oder Goldbarren wird die Liquidität der Unternehmen aufgebessert. "Die Banken spielen uns in die Hände", bestätigt Firmenchef Axel Grüne, der bundesweit 22 Filialen betreibt, davon sieben in Hamburg. 2008 nutzten bundesweit rund eine Million Deutsche die 200 Leihhäuser der Republik und schlossen Darlehensverträge über 500 Millionen Euro ab.

"90 Prozent der Pfänder, die uns in die Filiale gebracht werden, sind aus Gold", sagt Inge Grüner. Mit winzigem Abrieb und einem Säuretest überprüft sie die Echtheit. Eine Kundin legt eine Kette nach der anderen vor, bis endlich eine dabei ist, die wirklich aus Gold ist. Blender werden die Fälschungen genannt. "Für Mitarbeiter sind Brillanten und Uhren eine echte Herausforderung", sagt Grüne. "Man müsste die Uhren öffnen und ins Werk schauen, um die Blender zu erkennen, aber das kann man einem Kunden nicht zumuten, wenn er beispielsweise eine Lange & Söhne bringt. Deshalb können wir solche Pfänder oft nur noch mit Rechnung als Echtheitsnachweis annehmen."

In den Schubfächern großer Tresore reihen sich in der Filiale am Jungfernstieg unzählige braune Tütchen aneinander. Darin Ketten, Ringe, Ohrstecker, Münzen aus Gold. Es ist wegen seines gestiegenen Preises ein idealer Pfand: handlich und wertvoll. Seit 2005 hat sich der Goldpreis fast verdoppelt. Außerdem wird Gold nah am Marktwert beliehen, während bei anderen Gegenständen noch ein 20-prozentiger Abschlag erfolgt. Für ein Gramm 585er Gold gibt es rund neun Euro.

Wegen der vielen Goldpfänder bleibt der Lagerraum für die übrigen Pfänder überschaubar. Genommen wird, was Chancen hat, versteigert zu werden: Musikinstrumente, Fahrräder, LCD-Fernseher, Golfbags, Silberwaren, aber kein Silberbesteck und Computerspiele. Nicht abgeholte Pfänder kommen frühestens nach sechs Monaten zur Auktion. Verluste aus der Versteigerung trägt das Leihhaus. Ein Mehrerlös steht dem früheren Eigentümer zu. "88 Prozent der Pfänder werden bei uns wieder ausgelöst", sagt Grüner. Sie ist inzwischen 64 Jahre und hat ihr gesamtes Berufsleben im Leihhaus verbracht. "Entweder die Mitarbeiter gehen wieder nach einem Jahr, oder sie bleiben bis zur Rente", sagt ihr Chef Axel Grüne. Ein Leben im Pfandhaus ist wie ein Spiegel der Gesellschaft. Längst vorbei sind die Zeiten, als montags noch der gute Anzug gebracht und freitags, wenn es Lohn gab, wieder ausgelöst wurde. "Vor 15 Jahren haben wir noch Geschirr, Pelze, Teppiche genommen", sagt Grüner. "Jetzt ist es schon mit technischen Geräten schwierig, weil sie so schnell an Wert verlieren."

Darauf haben sich auch jene eingestellt, für die das Leihhaus oft die einzige Möglichkeit ist, an einen Kredit zu kommen. So wie Volker Thiessen, dessen Stromrechnung höher ausfällt als erwartet. "Hier fühlt man sich nicht als Bittsteller wie bei der Bank", sagt der Hartz-IV-Empfänger. Sein vielleicht noch einziges wertvolles Stück, eine Uhr von Maurice Lacroix, landet regelmäßig auf dem Tresen. Mit 80 Euro ist das Pfand voll ausgereizt. "Der Pfandwert wird jetzt häufiger ausgereizt als früher", sagt Grüner. Drei Monate hat er jetzt Zeit, die Uhr wieder auszulösen oder er verlängert dann noch einmal um weitere drei Monate.

Thiessen ist Stammkunde und rechnet sich den Zins schön. "Günstiger als der Dispo bei der Bank", sagt er. Das stimmt nur bedingt. Der Zins für das Darlehen beträgt ein Prozent pro Monat. Hinzu kommen drei Prozent Gebühren. Für drei Monate kommen so schon zwölf Prozent zusammen. Das ist der Wert, den Banken im Durchschnitt aktuell beim Dispositionskredit für ein Jahr verlangen - vorausgesetzt der Kunde ist kreditwürdig. Wenn die Zinsen wieder steigen, hat das Leihhaus einen Vorteil: "Zinsen und Gebühren sind seit 1961 staatlich festgelegt und seitdem unverändert", sagt Wolfgang Schedl, Geschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Pfandkreditgewerbes.

Die Branche ist von großer Kontinuität geprägt. Der Wandel der Pfänder ist fast die einzige Veränderung, die sie über Jahrzehnte erfahren hat. 70 Prozent sind Stammkunden. Keine kapitalkräftigen Investoren wollen die Branche aufmischen. Wenn die Konkurrenz mal einen Filialleiter abwirbt, ist das schon eine große Sache. Die Familienunternehmen bleiben unter sich und die letzte Innovation ist auch schon zehn Jahre her, wie sich Grüne erinnert. Es waren die Autoleihhäuser.