Nach 80 Jahren als General-Motors-Tochter steht die Marke vor dem Verkauf - oder vielleicht doch nicht?

Hamburg. Seit Monaten beherrscht das Ringen um Opel die Wirtschaftsschlagzeilen. Es geht um schwere Managementfehler, um Staatshilfen und um politische Interessen. Das Abendblatt zeigt den Weg von Opel in die Krise auf - und die Perspektiven für den Autobauer.

Die guten alten Zeiten

Die gemeinsame Geschichte von Opel und General Motors (GM) beginnt inmitten einer Weltwirtschaftskrise: Am 17. März 1929 verkaufen Wilhelm von Opel und sein Bruder Friedrich 80 Prozent der Anteile ihres Autowerks an GM. 1931 gehört das Unternehmen mit dem Zeppelinlogo vollständig den Amerikanern. Im Jahr vor dem Besitzerwechsel hält Opel in Deutschland einen Marktanteil von 37,5 Prozent und ist der größte Autobauer außerhalb der USA. Nur sind die Söhne des Firmengründers Adam Opel zwar gute Ingenieure, aber schlechte Geschäftsleute. Jahrelang haben sie die Preise gesenkt, um den Absatz hochzutreiben - bis das Geld für neue Modelle fehlt.

Während des Zweiten Weltkriegs gehen GM und die deutsche Tochter getrennte Wege, doch nach der Währungsreform sind die Manager aus Detroit wieder da. Autos wie der Rekord und der Kapitän, mit Designanklängen an US-Straßenkreuzer, werden zu Symbolen des Wirtschaftswunders. Im Jahr 1972 erreichen die Rüsselsheimer einen Inlandsmarktanteil von mehr als 20 Prozent und übertreffen damit Volkswagen. Doch 1974 stellt VW den neuen Golf vor - die Verkaufszahlen von Opel brechen ein.

Der Abstieg beginnt

Die sogenannte zweite Ölkrise in den Jahren 1980 bis 1982 bringt Opel die ersten Verluste seit 1950. Die Harmonie zwischen der US-Mutter und ihrer deutschen Tochter bekommt Risse: Die Opel-Ingenieure wollen immer bessere Autos bauen, aber die GM-Manager lassen das nicht zu. Für sie sind Gewinne, die man in Quartalsberichten ausweisen kann, der Maßstab. 1986 schickt die Konzernmutter den Spanier José Ignacio López de Arriortúa als Chefeinkäufer zu Opel. Er fährt einen brutalen Sparkurs, wird bald der "Würger von Rüsselsheim" genannt. Immer häufiger zeigen sich Qualitätsmängel, hinzu kommen Fehlentscheidungen in der Modellpolitik. Opel hat nun ein eher altbackenes Image. Der Marktanteil, der im Jahr 1990 noch bei 17 Prozent liegt, beginnt rapide zu sinken.

Opel muss gerettet werden

Als die US-Hypothekenkreditkrise sich zur weltweiten Wirtschaftskrise auswächst, gerät der Autoriese GM ins Straucheln. Im vierten Quartal 2008 bricht der Umsatz um mehr als ein Drittel ein, in den ersten drei Monaten 2009 um knapp die Hälfte. Doch auch schon zuvor hatten sich die schweren, Sprit fressenden Modelle des dortigen Marktführers immer schlechter verkauft. "GM hat seit 2005 auf jeden abgesetzten Wagen im Schnitt umgerechnet 150 Euro draufgelegt - so kann man auch Autos verkaufen", sagt Stefan Bratzel, Branchenexperte an der Fachhochschule der Wirtschaft Bergisch Gladbach. Fast 70 Milliarden Dollar Verlust in nur zwei Jahren bringen den Konzern in finanzielle Bedrängnis. Wegen massiver Hilfen der US-Regierung gerät das Unternehmen schließlich zu 60 Prozent in Staatshand.

Im Frühjahr zeichnet sich immer deutlicher ab, dass GM in die Pleite rutscht und Opel mit in den Strudel gerissen wird. Das will man in Rüsselsheim verhindern: Opel soll von der Muttergesellschaft abgekoppelt werden. Von Anfang an ist klar, dass dies nicht ohne Investoren und nicht ohne Staatshilfen gehen wird. Die Angst um 25 000 Arbeitsplätze in den deutschen Opel-Werken ruft die Politiker auf den Plan - es ist schließlich Bundestagswahljahr. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier gibt für seine Partei die Devise aus: Opel muss gerettet werden. In Berlin entwickelt man die Idee, das europäische GM-Geschäft um Opel auf eine Treuhandgesellschaft zu übertragen, die vom Bund und von GM gleichberechtigt kontrolliert wird. Die Zeit der Krisentreffen zu Opel beginnt. Auf einem dieser Treffen Ende Mai zeigt sich die Bundesregierung düpiert: Carl-Peter Forster, Chef von GM Europa, meldet plötzlich einen sofortigen Finanzbedarf von 350 Millionen Euro an, und der von der US-Regierung entsandte Vertreter erklärt sich für unzuständig, dem Treuhandmodell zuzustimmen. Es bleibt nicht der letzte Fall dieser Art.

Das Rennen um die Staatshilfen

Als GM am 1. Juni wie erwartet Insolvenz anmeldet, bleibt Opel davon verschont: 65 Prozent der Anteile des GM-Europageschäfts liegen bei der Treuhandgesellschaft, der Mutterkonzern hält nur noch eine Minderheit von 35 Prozent. Die Verhandlungen mit dem kanadisch-österreichischen Automobilzulieferer Magna werden intensiviert. Partner von Magna sind eine russische Großbank und ein kleinerer dortiger Autobauer. Auch Fiat, der Finanzinvestor Ripplewood (RHJI) und ein chinesischer Fahrzeughersteller hatten Interesse angemeldet, konnten sich aber angesichts der politischen Interessen nicht durchsetzen. Denn Magna hat fest zugesagt, dass kein Werk in Deutschland geschlossen wird. Der Preis dafür: Staatsgarantien in Höhe von insgesamt 4,5 Milliarden Euro. Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hält die Risiken dieses Modells für zu hoch und droht mit Rücktritt, er befürwortet eine "geplante Insolvenz" von Opel. Doch die Kanzlerin Angela Merkel setzt sich durch. Für sie sind die Gefahren einer Alternative zu dem Rettungskonzept "politisch absolut nicht verantwortbar".

Im Juli verlässt GM nach nur 40 Tagen das Insolvenzverfahren. Und damit verändert sich offenbar die Interessenlage der Amerikaner. Nachdem ein Abschluss mit Magna nur noch eine Frage der Zeit schien, zeigt GM nun mehr Sympathie für einen Opel-Verkauf an RHJI. Für Experten liegt der Grund auf der Hand: Nach ein paar Jahren, wenn GM wieder zu Kräften gekommen ist, könnte der Autoriese seine Europatochter leicht von dem Finanzinvestor zurückkaufen.

In dieser Woche jedoch nahm das Ringen um Opel eine neue überraschende Wendung. Während GM-Chefunterhändler John Smith in Berlin ein weiteres Mal mit der Bundesregierung über einen Investor und über Staatshilfen sprach, beauftragte der Verwaltungsrat des Konzerns den Vorstand, auch Alternativen zum Verkauf zu prüfen - im Klartext: Mindestens Teile der GM-Führung würden Opel lieber behalten. Damit fühlt sich die Bundesregierung nun vollends an der Nase herumgeführt. "Für GM ist die Sache relativ klar", meint Autoexperte Bratzel, "wenn man ein globaler Hersteller bleiben will, muss man in Europa vertreten sein. Also braucht man längerfristig gesehen Opel." Die Frage sei nur, ob sich GM die Sanierung des Europageschäfts leisten könne. "Ich kann mir schwer vorstellen, wie das ohne staatliche Gelder gehen soll."

Die künftigen Risiken

Opel hat in Deutschland inzwischen nur noch einen Marktanteil von rund acht Prozent und ist nach Ansicht von Marktkennern mit seiner Produktion von jährlich 1,5 Millionen Autos zu klein, um am Markt überleben zu können. "Opel wird auf längere Sicht nicht ohne einen starken Autohersteller als Partner auskommen, schon weil man sich die notwendigen Entwicklungskosten von fünf bis zehn Milliarden Euro für neue Modelle und die Umstellung auf Elektroantriebe nicht leisten kann", ist Bratzel sicher. Er sieht einen Verkauf an Magna nur als "Zwischenlösung". Klar sei ohnehin: "Es muss eine harte Sanierung kommen. Daher kann sich die politische Festlegung, etwa auf den Erhalt von Werken, längerfristig negativ auf die Wettbewerbsposition auswirken."