Erst im Herbst will der Konzern über neue Ticketpreise entscheiden. Der Börsengang ist zunächst vom Tisch.

Frankfurt/Hamburg. Manche Bahner werden sich in den letzten Wochen schon gefragt haben, ob ihr Chef einen Doppelgänger hat: Rüdiger Grube ist überall und nirgendwo. Der Nachfolger von Hartmut Mehdorn, der über die Datenaffäre bei dem Transportriesen stürzte, krempelte den Vorstand um, schiebt Nachtschichten bei der Instandhaltung, tätigt stichprobenartige Besuche am Kartenschalter und macht auch als "Außenminister" eine gute Figur: Er war bereits bei allen 16 Ministerpräsidenten zu Gast und beehrte die wichtigen Logistikkunden.

112 Tage ist der Bahnchef nun im Amt. Er bewies Tatendrang und den Mut, die Verantwortlichen der PR-Affäre, des Datenchaos und des Krankendatenskandals zu feuern. Doch gestern musste der aus kleinen Verhältnissen stammende Hamburger die schlechteste Halbjahresbilanz seit Jahren verkünden. Der Umsatz des Transportkonzerns sackte um 14 Prozent auf 14,3 Milliarden Euro. Beim Gewinn vor Zinsen und Steuern gab es sogar einen Einbruch um mehr als die Hälfte auf 671 Millionen Euro. "Es wird einige Jahre dauern, bis wir wieder zu Volumina zurückkehren werden, wie wir sie in den Rekordjahren 2007 und 2008 hatten", sagte Grube.

Dass der Bahnmanager nicht an die immer neuen Geschäftsrekorde eines Hartmut Mehdorn anknüpfen konnte, ist zum größten Teil der Krise geschuldet: Zu schaffen machte dem Konzern besonders der starke Rückgang im Güterverkehr. Die Menge der beförderten Güter sei im ersten Halbjahr um 26 Prozent auf 145 Millionen Tonnen zurückgegangen. Grube verwies dabei auf dramatische Produktionseinbrüche bei wichtigen Bahnkunden aus dem Bereich Stahl, Auto oder Chemie. Allein das Produktionsniveau bei Rohstahl habe auf dem Niveau der 50er-Jahre gelegen. Insider berichten, dass die Bahn sogar schon mit leeren Waggons durchs Land fährt, weil es nicht mehr genug Stellflächen gibt.

Auch auf die Mitarbeiter wird die Bahnflaute Auswirkungen haben. Im Inland dürfte die Kurzarbeit, von der momentan 8000 Beschäftigte betroffen sind, auf rund 10 000 Bahner ausgeweitet werden. Sollte dies nicht reichen, sei auch ein Stellenabbau möglich. Der bis Ende 2010 geltende Schutz vor Entlassungen werde aber nicht "angekratzt", sagte Grube, der nach den Schnüffelskandalen auch wieder für neues Vertrauen bei den Mitarbeitern und den Gewerkschaften sorgen muss. Immerhin fuhren im ersten Halbjahr mehr Fahrgäste mit der Bahn: Die Zahl der Passagiere legt um 1,8 Prozent auf 958 Millionen zu. Mit ihnen konnte die Bahn jedoch nicht mehr so viel verdienen wie im Vorjahreszeitraum. Weniger Geschäftsreisen und Erste-Klasse-Kunden ließen den Gewinn im Personenverkehr abschmelzen. Ob auf die Fahrgäste zum Jahreswechsel wieder höhere Ticketpreise zukommen, soll im Herbst entschieden werden.

Der CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer nannte die Bilanz ein Erbe von Ex-Bahnchef Mehdorn: Sein Expansionskurs habe die Verschuldung des Unternehmens hochgetrieben, was sich nun in Zinszahlungen von 400 Millionen Euro widerspiegele. Gewinnbringer des Konzerns sei das vom Staat mit 2,5 Milliarden Euro pro Jahr unterstützte Schienennetz. Fischer wies zudem daraufhin, dass der Konzern dem Staat als Eigentümer noch nie eine Dividende gezahlt habe. Grube bekräftigte aber, dass die im Herbst wegen der Finanzkrise gestoppten Pläne für einen Börsengang derzeit nicht zur Debatte stünden. Dies solle aber "als Option" erhalten bleiben.

Mit Blick auf Achsenprobleme bei ICE-3-Zügen stellte Grube in Aussicht, dass in Verhandlungen mit den Herstellern Siemens und Bombardier "in Kürze hoffentlich" ein Ergebnis erreicht werde. Dabei gehe es um finanzielle und technische Lösungen.

Für das Gesamtjahr ist Grube verhalten optimistisch "Es ist unser Ziel, dass wir schwarze Zahlen schreiben." Es warten viele Baustellen auf Grube - wie das von Mehdorn geerbte Sparprogramm oder der Konflikt mit der S-Bahn Berlin. Und viele Leute, die bei dem Staatsunternehmen mitreden wollen. Der neue Chef formulierte es gestern so: "Wenn man Bahnchef ist, ist man jeden Tag einem Zustand ausgesetzt, als wäre morgen Weihnachten. Denn der Wunschzettel ist im Mai genauso groß wie im Dezember."