32.000 Hamburger sind trotz Arbeit auf Hartz IV angewiesen. Betroffen sind Friseure, Gebäudereiniger und Callcenter-Beschäftigte - aber auch Akademiker.

Hamburg. Sabine H. (Name v. d. Red. geändert) ist zwar froh, überhaupt eine Stelle zu haben. Sie arbeitet im Callcenter und beantwortet geduldig die Anfragen von Kunden. Doch leben kann sie von dem Job nicht. Sie bekommt 700 Euro brutto und arbeitet dafür 20 Stunden in der Woche. Länger will ihr Arbeitgeber seine Mitarbeiter nicht beschäftigen.

Sabine H. ist eine von 32 000 Erwerbstätigen in Hamburg, die trotz ihrer Arbeit auf staatliche Zuschüsse angewiesen ist. Im Jargon der Arbeitsmarktexperten ist sie "Aufstockerin", also eine Angestellte oder Selbstständige, der die öffentliche Hand zum Lohn so viel dazuzahlt, dass es gerade zum Leben reicht. Bundesweit gibt es 1,3 Millionen "Aufstocker". "Diese Menschen können von ihrer Arbeit nicht leben, weil sie mit Niedriglöhnen von 5,50 Euro oder weniger zurechtkommen sollen", beklagt Wolfgang Rose, Geschäftsführer der Gewerkschaft Ver.di im Bezirk Hamburg. "Es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn Menschen trotz Vollzeitarbeit auf Geld aus dem Hartz-IV-Topf angewiesen sind", so Rose.

Betroffen sind besonders häufig Friseurinnen, Altenpfleger, Kellner, Verkäuferinnen, Sicherheitsdienste und Reinigungspersonal. Im Wach- und Sicherheitsgewerbe wird grundsätzlich weniger als 7,50 Euro die Stunde gezahlt, viele Callcenter-Betreiber überweisen keine Tariflöhne, und bei Friseuren hat der Trend zu Billigketten die Preise verdorben. "Durch die Zehn-Euro-Friseure können die traditionellen Friseure die üblichen Löhne nicht mehr zahlen", beklagt Ulrike Fürniß von Ver.di. Viele Coiffeure vermieteten jetzt nur noch Friseurstühle und drängten die Friseure in eine Selbstständigkeit, die sich für diese nicht rechne.

Mit den zusätzlichen, selbst zu tragenden Kosten für die Krankenkasse und Vorsorgeaufwendungen übernehmen sich - wie die betroffenen Friseure - immer mehr Selbstständige: Unter den gut 32 000 Berufstätigen in Hamburg mit Hartz-IV-Anspruch sind 2661 Selbstständige. "Ein Drittel derjenigen, die sich aus der Arbeitslosigkeit selbstständig machen, können davon nicht längerfristig leben", sagt Fürniß. Auch sie werden dann zu Aufstockern. Zugleich wird in immer mehr Berufen das normale Angestelltenverhältnis zum Luxus. 1998 standen noch fast drei Viertel der Erwerbstätigen in einem Normalarbeitsverhältnis, 2008 waren es nur noch 66 Prozent. Der Anteil atypischer Beschäftigungsformen stieg im gleichen Zeitraum von 16,2 auf 22,2 Prozent.

Auch Akademiker sind nicht selten unter den hilfsbedürftigen Berufstätigen. Stadtführer in den Touristenbussen, die häufig Architektur oder Kulturgeschichte studiert haben, können von ihren unregelmäßigen Einnahmen genauso wenig leben wie viele Lehrer in der Erwachsenenbildung, die Fremdsprachen lehren oder Integrationskurse anbieten. "Manche Bildungsträger zahlen ihren freien Ausbildern nicht mehr als zehn Euro in der Stunde", sagt Fürniß. Die Erwachsenenbildung ist in der Krise, weil weniger Kurse von der Arbeitsagentur gefördert werden. Ein weiteres Sorgenkind ist die Altenpflege. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat gestern für einen verbindlichen Mindestlohn von rund zehn Euro pro Stunde für Beschäftigte in der Altenpflege plädiert.

Ver.di will nun gemeinsam mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Dumpinglohn-Arbeitgebern auf die Spur kommen. Wie beide gestern mitteilten, wollen sie bundesweit - und in Hamburg - eine Bestandsaufnahme machen und appellieren an Beschäftigte, Dumpinglöhne bei ihnen (Tel. 040/28 58-100; 040/285 83 13) zu melden. Die Gewerkschaften setzen sich für einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro ein.