Der Solarhersteller Conergy war ein Hamburger Vorzeigeunternehmen. Missmanagement und Intrigen haben es zum Dauerpatienten gemacht.

So schön kann Industrie aussehen, so strahlend rein und automatisch. In der Fabrik von Conergy in Frankfurt an der Oder rauschen und sirren die Roboter und Fertigungsbänder. Arbeiter in weißen Overalls laufen durch eine noch weißere Halle. Maschinen bewegen Blöcke des Halbleiter-Metalls Silizium, die aus dem Schmelzofen kommen, weiter in Richtung der Präzisionssägen. Die schneiden aus den Blöcken hauchdünne Scheiben. In Reinräumen werden die Solarzellen penibel gesäubert, in der Qualitätskontrolle mikroskopisch durchleuchtet und schließlich zu Modulen verbaut. Fertig verpackt, verlassen jene matt schimmernden Paneele die Fabrik, die später auf Hausdächern oder auf freiem Feld das Sonnenlicht einfangen, um Strom zu erzeugen.

Die ostdeutsche Fabrik ist der Hoffnungsträger des Hamburger Unternehmens Conergy. Hier läuft Industriegeschichte im Zeitraffer. Die Hoffnungen in der Conergy-Zentrale am Berliner Tor ruhen darauf, dass dort bald viel Geld abfallen möge. Noch vor kurzer Zeit wurden Solarzellen und -module weitgehend in Handarbeit gefertigt. Weltweit wird die Produktion nun rasant automatisiert. So sinken die Kosten und die Preise. Solarstrom wird zum Massengut - das wiederum bringt den Unternehmen Umsatz und manchen trotz Krise sogar Gewinn.

Für mehr als eine Viertelmilliarde Euro hat Conergy, ursprünglich ein reiner Händler von Fotovoltaik-Systemen, eine der weltweit modernsten Solarproduktionen aufgebaut. Heute will Unternehmenschef Dieter Ammer mit Brandenburgs Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns die Erweiterung der Fabrik einweihen. Die Produktionskapazität des Werkes sei durch den Ausbau verdoppelt worden, sagte Ammer dem Abendblatt. Man verzeichne eine steigende Nachfrage nach den Solarscheiben: "Der Markt wird wieder robuster. Eine eigene Fabrik zu betreiben wird für uns damit von einer wirtschaftlichen Belastung mehr und mehr zu einem Vorteil im Wettbewerb."

Das ist eine mutige Aussage angesichts der tiefen Krise, in der auch die Solarwirtschaft steckt. Doch Conergy braucht gute Nachrichten so dringend, wie das angeschlagene Unternehmen endlich wieder Gewinn machen muss.

Als die Fabrik geplant wurde, war die Welt bei Conergy noch in Ordnung. Das ist drei Jahre her, im Rückblick fast unendlich lange. Damals erlebte das junge Unternehmen ungestümes Wachstum, die wirtschaftlichen und technologischen Grenzen der Solarindustrie schienen sich aufzulösen, eine Weltrezession undenkbar. Die Bilanzen des Unternehmens glänzten, der Chef strahlte. Der hieß in jenen schönen Tagen Hans-Martin Rüter.

Er war der Sonnyboy der deutschen Solarbranche, ein Charmebolzen, dem alles zu gelingen schien und der dennoch auf dem Boden blieb. Als Ein-Mann-Unternehmer hatte Rüter, Jahrgang 1965, Ende der 90er-Jahre begonnen. Die ersten Solaranlagen schraubte er seinen Kunden selbst auf die Dächer. Neun Jahre später beschäftigte er mit Produktionen und Dienstleistungen rund um die erneuerbaren Energien fast 2500 Menschen und peilte die Milliarden-Euro-Grenze beim Umsatz an. 2005 war Conergy an die Börse gegangen. Etliche Orden hängte die Wirtschaft dem früheren Zehnkämpfer an die breite Brust, unter anderem den "Leadership Award" und den "European Business Award". Die deutsche Solarindustrie machte ihn zum Verbandspräsidenten. Man empfing ihn gern, den Selfmademan von der Elbe, sogar im Bundeskanzleramt. So sah es aus, das neue deutsche Wirtschaftswunder zu Beginn des Jahrzehnts: jung, dynamisch und mit einem Produkt, das Menschen ohne Zweifel weiterbringt - Energie aus unerschöpflicher Quelle.

Rüters Absturz war noch erheblich jäher als sein Aufstieg. Im November 2007, kurz nach Entgegennahme seines letzten Preises, war Hamburgs sonnigste Unternehmensgeschichte zu Ende. Conergy drohte die Zahlungsunfähigkeit, das Unternehmen brauchte dringend frisches Kapital. Rüters Strategie, aus dem Solarunternehmen einen Mischkonzern für erneuerbare Energien zu machen, war gescheitert. Zu schnell und kaum kontrolliert hatte Conergy neue Sparten für die Vermarktung von Windkraft, von Biomasse und Wärmetauschern aufgebaut, hatte Filialen in etlichen Ländern eröffnet und sich blenden lassen vom vermeintlichen Siegeszug als "Europas führender Solartechnik-Anbieter".

Rüter musste vom Posten des Vorstandsvorsitzenden zurücktreten. Ersetzt wurde er von Dieter Ammer, dem Vorsitzenden des Conergy-Aufsichtsrats, der zuvor unter anderem die Bremer Brauerei Beck und den Hamburger Kaffeeröster Tchibo geführt hatte. Mit der Machtübernahme begann eine skurrile Aufarbeitung der Unternehmensgeschichte, die bis heute andauert, eine Art "Solar Dallas" an der Elbe. Denn Ammer und Rüter waren sich nicht nur geschäftlich verbunden. Ammer ist ein Onkel zweiten Grades des früheren Conergy-Chefs. Er hatte seinem Neffen finanzielle Starthilfe beim Aufbau des Unternehmens gegeben, blieb Anteilseigner und leitete jahrelang das Kontrollgremium von Conergy.

Oft schwärmte Rüter früher von familiärer Bande, die auch das Unternehmerische einschloss. Im Conergy-Aufsichtsrat saß unter anderem sein Bruder Andreas, ein Investmentbanker. Doch das Familiäre bei Conergy ist längst passé. Seit Rüters Sturz hat das Unternehmen keinen Gewinn mehr gemacht, die einst hoch gehandelte Aktie wurde zum Penny-Papier. Und das lastet Ammer ein ums andere Mal seinem Neffen an. Dem Altvorstand wurde bei der Hauptversammlung in diesem Frühjahr die Entlastung versagt - eines der schärfsten Instrumente, das Aktionäre gegen das Management einer börsennotierten Gesellschaft in der Hand haben. Gegen Ammers Willen hätten die Anteilseigner das nicht durchgesetzt.

Noch ist längst nicht sicher, ob Conergy die Krise überlebt. Für das zweite Quartal 2009 meldete das Unternehmen erneut einen Verlust, diesmal waren es rund 31 Millionen Euro. Zwei Faktoren verstärken die hausgemachten Probleme wie ein Turbolader: Die Wirtschaftkrise erschwert vor allem die Finanzierung von Großprojekten wie Solarparks. Zugleich drängen neue Billiganbieter aus China und anderen Ländern auf die internationalen Märkte und machen den bereits etablierten Herstellern aus Europa, den USA und Japan das Geschäft streitig.

Die Branche macht sich Mut: "Wir befinden uns in einer schweren Phase, die aber vorübergehen wird. Derzeit entstehen weltweit viele neue Absatzmärkte", sagte gestern Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbands Solarwirtschaft. Schon 2010 werde die Solarindustrie wieder an den Boom der vergangenen Jahre anknüpfen. Fragt sich nur, welche Hersteller sich die Gewinne abholen.

Die wirtschaftliche Trendwende bei Conergy ist Dieter Ammer bislang nicht gelungen. Glück und kaufmännisches Geschick, die ihm jahrzehntelang hold waren, blieben ihm in der gläsernen Zentrale des Unternehmens in Hamburg bislang versagt. Als junger Manager schuf er in Niedersachsen den zweitgrößten deutschen Zuckerkonzern Nordzucker. Später machte er als Manager des Bremer Bierkonzerns Beck von sich reden. Als Chef des Kaffee- und Handelskonzerns Tchibo trennte Ammer in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts die Interessen innerhalb der verfeindeten Eignerfamilie Herz und hielt das Unternehmen zukunftsfähig.

In der akuten Krise gelang es Ammer, das lebensnotwendige Kapital für Conergy zu organisieren. Er verkaufte einen großen Teil des Geschäfts und konzentrierte das Unternehmen wieder auf die Solarwirtschaft. Eine langfristig schlüssige Strategie aber ist nicht zu erkennen: Noch im vergangenen Jahr wollte Ammer die Solarfabrik in Frankfurt verkaufen, eine Absichtserklärung mit dem Konzern LG Electronics war bereits unterzeichnet. Doch dann sprangen die Südkoreaner ab. "Ammer hat sich um das operative Geschäft viel zu wenig gekümmert", sagt ein Insider. "Und er hat die Firmenkultur, die früher sehr kooperativ war, komplett gedreht. Er regiert mit harter Hand."

Etliche Führungskräfte haben das Unternehmen seit Ammers Amtsantritt verlassen. Nach langer Suche ist erst jetzt ein Nachfolger für den Conergy-Chef gefunden, dessen Vertrag noch bis zum Sommer 2010 läuft. Allerdings ist es ein Mann aus der zweiten Reihe: Andreas von Zitzewitz machte bei Siemens und beim Halbleiterhersteller Infineon Karriere, bevor er dort über eine Korruptionsaffäre stolperte und eine Vorstrafe kassierte. Kürzlich wurde Zitzewitz zu Ammers Stellvertreter ernannt. "Ich bin überzeugt, dass ich das Unternehmen aus den Turbulenzen dieser Monate führen kann", sagte er.

Das dachte Ammer auch. Doch dessen Image als krisenfester Sanierer hat schwer gelitten. Zu sehr hat sich Ammer auf die Strategie verlassen, seinem Neffen und Vorgänger Rüter die alleinige Schuld für das Desaster zuzuschieben. "Rüter wurde gezielt zum Sündenbock gemacht", sagt ein Kenner des Unternehmens. Nichts allerdings wurde bislang von den Vorwürfen gegenüber Rüter bewiesen, er und sein früherer Vorstand hätten die Bilanzen von Conergy frisiert. Stattdessen wird mittlerweile gegen Ammer selbst ermittelt. Er wird verdächtigt, beim Verkauf von Conergy-Aktien Insidergeschäfte betrieben zu haben.

Früher pflegten Rüter und Ammer einen engen Austausch über das Unternehmen. "Die sprachen ständig über die Strategie", sagt ein Insider. Unregelmäßigkeiten aus jener Zeit hätten dem gewieften Manager Ammer auffallen müssen. Doch damalige Kritik von ihm ist nicht bekannt.

Rüter zog sich nach seinem Sturz zurück. Heute kümmert er sich mit kleineren Firmen und rund 100 Mitarbeitern um Neuentwicklungen etwa in der Sporttechnologie. Noch immer hält er knapp ein Prozent der Conergy-Aktien. Das ist seine letzte offizielle Verbindung zu dem Unternehmen. "Das Tischtuch zwischen Rüter und Ammer", sagt einer, der beide kennt, "ist längst zerschnitten."