Hamburg. Sie warten auf den Job für einen Tag. Fliesen verlegen oder Fahrgeschäfte auf dem Dom aufbauen. Doch am Ende gehen fast alle leer aus.

Von den sanierten Häusern des Brahms-Quartiers in der Neustadt ist es nur ein Katzensprung. Einmal über die Kaiser-Wilhelm-Straße und auf der Höhe der Bushaltestelle durch ein Tor mit zwei Flügeln. Über einen bunt gekachelten Flur führt eine Treppe nach oben. Ein großer Warteraum: Die Reihen von abgenutzten, zerschlissenen Holzbänken sind um kurz vor sechs Uhr morgens noch leer, die eisernen Papierkörbe unbenutzt. Harry Metze, der Mann vom Wachdienst, schiebt gerade sein Fahrrad in den Keller. Hier kommen in den nächsten Stunden die Menschen an, die auf Jobs für einen Tag warten. Tagelöhner.

Tagesjobvermittlungen wie in Hamburg gibt es bundesweit nur noch in München, Frankfurt, Berlin und Köln. "Es ist ein freiwilliges Angebot", sagt Anja Huth, Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Deshalb wird auch nicht gezählt, wie viele Tagelöhner bundesweit exakt betreut werden. In Hamburg hat sich der Service aus der Suche nach Arbeitskräften im Hafen entwickelt. Doch dort werden mittlerweile fast nur noch qualifizierte Spezialisten nachgefragt. Für die Tagesjobs benötigen die Firmen Hilfskräfte auf dem Bau, im Lager, bei Messen, auf dem Dom oder beim Zirkus. "Wir haben nur mit Männern zu tun", sagt Teamleiter Peter Karstens, der seit Anfang 2006 seine "Kunden" an Unternehmen vermittelt. 85, die mindestens einmal pro Woche kommen, stehen in der Kartei von Fachvermittler Wolfgang Czerny. 20 kommen im Durchschnitt pro Tag.

Peter ist einer von ihnen. Er hat Einzelhandelskaufmann für Eisenwaren und Baubeschläge gelernt. Kam aber, wie er sagt, mit dem Wandel von den Fachgeschäften zu den Baumärkten "nicht zurecht". Bei einer Firma für Fassaden, Türen und Panzerglas arbeitete er sich bis zum stellvertretenden Montageleiter hoch. Doch dann beging er einen schwerwiegenden Fehler.

Peter ließ sich von einem Vertreter blenden, der ihn mit seinen Goldkettchen und dem entsprechenden Auftreten beeindruckte. "Ich wollte so einen Job auch unbedingt machen, habe gekündigt, wollte als Vertreter für Bauzubehör arbeiten." Aber auch damit kam er "nicht zurecht". Es folgte der Schritt in die Selbstständigkeit mit einem Schlüsseldienst und einem Getränkehandel. Den Handel betrieb er mit einem Partner, nahm sich zu wenig Zeit dafür und hatte am Ende 100.000 Euro Schulden.

Zuletzt arbeitete er noch mehr als acht Jahre als Fischverkäufer und als Fahrer auf Wochenmärkten. Jetzt ist Peter 47 und seit zweieinhalb Jahren Tagelöhner. Um mittelfristig die hohen Schulden loszuwerden, will er bald Privatinsolvenz anmelden. Mit seinem kargen Lohn komme er nicht weit, sagt er. "In Deutschland wird doch bei einfachen Tätigkeiten der Lohn gedrückt."

In England oder Norwegen wäre alles viel einfacher. Am liebsten würde er auswandern. "Ich muss wohl mal in den Konsulaten vorsprechen." Nun schreibt Peter auf einen Zettel alle Tätigkeiten, die er sich zutraut. Von Lagerarbeiten über den Möbelbau bis hin zum Containerpacken. Aber den einzigen Job, der an diesem Tag angeboten wird, bekommt er trotzdem nicht.

Die Krise wirkt sich längst auch auf die einfachen, niedrig bezahlten Tätigkeiten aus. "Es kommt häufiger vor, dass kaum noch Angebote für Tagesjobs eingehen", sagt Fachvermittler Czerny. Seit Ende des Jahres 2008 haben die Offerten spürbar abgenommen, bestätigt Teamleiter Karstens, der sich mit 27 Mitarbeitern nicht nur um die Tagelöhner, sondern auch um Wohnungslose und Saisonkräfte für die Gastronomie kümmert. "An zehn bis 15 Tagen in diesem Jahr konnten wir keinen Job vermitteln", rechnet Karstens vor. "Und ich glaube nicht, dass es schnell besser werden wird."

Viele, die hierher kommen, haben zumindest ein Problem: Entweder den Alkohol, vor dessen Gebrauch auf Schildern überall in der Vermittlung gewarnt wird, hohe Unterhaltszahlungen oder einfach zu wenig Ausdauer, um regelmäßig zur Arbeit zu gehen. "Manchmal frage ich mich schon, warum bemühen die sich nicht", sagt Karstens.

Er hat Verwaltungswirtschaft und Politik studiert und arbeitet wie die Hälfte seiner Kollegen für das Bezirksamt Mitte, das vor der Gründung der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Anfang 2005 allein für die Sozialhilfe zuständig war. Jetzt stellt die Arbeitsagentur die andere Hälfte der Mitarbeiter. "In allen, die hier arbeiten, muss schon ein Helfersyndrom stecken", sagt der Teamleiter. "Aber Mitleid gewöhnt man sich schnell ab."

359 Euro plus die Kosten für die Unterkunft: Das sieht der monatliche Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger vor. Tagelöhner können sich etwas hinzuverdienen. 100 Euro werden dabei nicht auf die Zahlungen angerechnet. 100 Euro sind viel, wenn man so wenig hat. Arbeitgeber müssen mindestens acht Euro pro Stunde zahlen und zehn Prozent davon an die Rentenversicherung, wenn sie sich Verstärkung von der Tagesjobvermittlung holen. Leben von Tagesjobs, das hat, so weit sich Karstens und Czerny erinnern, nur ein einziger je geschafft. "Aber es kommt vor, dass einer plötzlich ab dem nächsten Ersten einen Job hat und wir ihn dann nicht wiedersehen", sagt Czerny. "Das macht uns Mut."

Den einzigen Job für diesen Tag hat Roland Joachim zu vergeben. An der Hummelsbüttler Landstraße fliest er mit zwei seiner Gesellen die Küchen und Bäder eines Neubaus mit 19 Wohnungen. Der Handwerksmeister führt mit Ehefrau Siegrid seinen Betrieb mit neun Mitarbeitern in der Nähe von Schwerin und holt sich seit einigen Monaten Aushilfskräfte von der Arbeitsagentur. "Wir müssen häufig Aufträge kurzfristig abwickeln und sind froh, wenn wir den Transport der Fliesen an andere vergeben können", sagt Joachim.

So trägt Björn Dehn jetzt die Fliesen von der Tiefgarage durch den Rohbau hinauf bis in den vierten Stock. "Wir verlieren keine Zeit und die von uns bestellten Menschen können mit dem Job leben. Aber wir gehören sicher auch zu den Ersten, die Arbeitswilligen eine Chance geben", sagt der Handwerksmeister. Die Fliesenpakete sind schwer. Dehn erhält abends zehn Euro die Stunde bar auf die Hand.

Björn Dehn hat Realschulabschluss. Danach kam er während der Lehre bei einer Baufirma nicht mehr mit der Berufsschule zurecht. Sein Zeugnis reichte noch für weitere Anstellungen auch bei Zeitarbeitsfirmen. Im Winter 2007/08 wurde er arbeitslos, kam noch mal als Baureiniger unter. "Doch der Chef hatte dann außer Hotelreinigungen nichts mehr zu tun", erzählt er.

Mit dem Staubsauger unterwegs, das war nichts für ihn. So kam er zur Tagesjobvermittlung. Er half auf den Baustellen der HafenCity aus, stellte Zelte auf, wurde erneut bestellt. Im Staub des Rohbaus und der Luft, die nach frischem Beton riecht, fühlt er sich sichtlich wohl. "Der Bau ist meine zweite Heimat", sagt er.

Mit Hartz IV und 500 bis 700 Euro, die er als Tagelöhner verdient, komme er mit Frau und Sohn so eben klar. Aber Dehn macht sich nichts vor. Er hofft auf eine Übernahme, darauf, regelmäßig Geld nach Hause zu bringen. "Dafür steht man morgens auf."