Bis zu 80 Prozent Rabatt locken zum Einkaufsbummel - gut für die Kunden, schlecht für den Einzelhandel: Experten befürchten weitere Insolvenzen.

Hamburg. Für Ignatius Möncks hat sich der Kurztrip nach Hamburg richtig gelohnt. "Ich habe mir gerade zwei Hemden für zusammen 15 Euro gekauft, die ansonsten knapp 100 Euro gekostet hätten." Seine neue schwarze Pulloverjacke hat er für 29,95 Euro erstanden. Ursprünglich hätte sie 99,50 Euro kosten sollen. "Bei diesen Preisen macht der Einkauf Spaß", sagt der Sauerländer. Auch Marita Groenewold ist mit dem Inhalt ihrer Einkaufstasche sehr zufrieden. "Meine neue Jeans hat nur die Hälfte gekostet", sagt die Hamburgerin. Die derzeitige Krise hat sich noch nicht so richtig auf ihr Einkaufsverhalten ausgewirkt.

Deutschland im Kaufrausch: Obwohl die Zahl der Arbeitslosen steigt und immer mehr Mitarbeiter infolge von Kurzarbeit Lohneinbußen haben, geben die Menschen weiterhin ihr Geld gerne aus. Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) hat für Juni einen Konsumklimaindex ermittelt, der mit einem Wert von 3,0 zum vierten Mal in Folge stieg. Für den August erwarten die GfK-Forscher sogar einen Wert von 3,5. Erst im Herbst erwarten die Wirtschaftsexperten eine Abkühlung - falls dann, wie befürchtet, die Arbeitslosenzahlen in Deutschland weiter steigen werden.

"Vor allem die niedrige Inflationsrate stärkt die Kaufkraft", sagte GfK-Forscher Rolf Bürkl dem Abendblatt. Weil Energie und andere unverzichtbare Dinge günstiger geworden sind, bliebe mehr Geld für den Konsum in den Portemonnaies. Auch Sonderaktionen vom Staat, wie die Abwrackprämie fürs Auto, sowie Aktionen des Handels, etwa mit Prämien für gebrauchte Möbel, kurbeln laut Bürkl den Konsum an. Zudem würden die derzeit niedrigen Zinsen und das Misstrauen gegenüber dem Finanzsektor die Menschen nicht dazu motivieren, ihr Geld anzulegen.

Inoffizielle Schnäppchenzeit

Als zusätzlicher Turbo entpuppt sich derzeit der Sommerschlussverkauf, der gestern gestartet ist. Zwar gibt es diese Schnäppchenzeit seit dem Fall des Rabattgesetzes vor einigen Jahren offiziell nicht mehr, aber die Händler setzen nach wie vor in der letzten Juli- und ersten August-Woche nochmals den Rotstift an - selbst wenn die Preise schon zuvor heruntergesetzt wurden.

"Der Hamburger Einzelhandel hat seine Preise seit heute um 70 bis 80 Prozent reduziert", sagt Herwig Rollmann, stellvertretender Pressesprecher des Einzelhandelsverbands, gestern dem Abendblatt. "Die Lager des Handels sind noch gut gefüllt, sodass Verbraucher sich auf drei Wochen mit niedrigen Preisen einstellen können."

Die Hamburger Geschäfte sind regelrecht gezwungen, ihre Waren teilweise sogar zu Discountpreisen anzubieten. Schließlich brauchen sie ihren Platz für die kommende Herbst- und Winterware. Rollmann geht davon aus, dass die 80 Prozent Preisnachlass in diesem Jahr ein Einzelfall bleiben werden. "Die Betriebe werden in Zukunft vorsichtiger einkaufen. Denn Preise, die für den Kunden von Vorteil sind, können für den Einzelhandel ruinös sein."

"Wir wurden zu Schnäppchenjägern erzogen"

Laut Rollmann leiden vor allem die kleineren, inhabergeführten Betriebe unter dem zunehmenden Preiskampf der Branche. Am Ende stehe oft die Aufgabe. "Allein in den vergangenen zehn Jahren haben mehr als ein Dutzend Facheinzelhändler die Hamburger Innenstadt verlassen, weil sie auf der einen Seite bei den Einnahmen unter Druck gerieten und andererseits hohe Mieten bezahlen mussten." An ihre Stelle kamen weitere große Handelsketten.

"Der Handel kämpft schon seit Jahren mit mageren Renditen, weil wir alle zu Schnäppchenjägern erzogen wurden", sagt auch GfK-Forscher Bürkl. "Diese Situation wird sich jetzt noch verschärfen." Stefan Genth schätzt für dieses Jahr sogar, dass rund 5000 Betriebe der Branche Insolvenz anmelden müssen. "Im vergangenen Jahr waren es noch 3500", sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE) dem Abendblatt.

Denn neben dem Preisverfall der Produkte leiden die Händler unter der Unternehmenssteuerreform. "Da auch Mieten und Pachten als Einnahme versteuert werden, müssen manche Mittelständler Steuern bezahlen, obwohl sie nichts verdient haben."