Verbraucherschützer fordern verantwortlichere Kreditvergabe. Banken sollten Dispozinsen angemessen senken.

Hamburg. Marion N. (40) kaufte gern auf Pump. Ihr Auto, den Fernseher oder die Waschmaschine, ja sogar die Urlaubsreise. Banken und Handel gewährten ihr immer Kredit. Bis der Tag kam, an dem die Sekretärin ihren Job verlor. Plötzlich brach ihr finanzielles Kartenhaus zusammen. Kredite wurden fällig gestellt, Mahnungen häuften sich. Ihr letzter, schwerer Ausweg hieß: Privatinsolvenz.

Wie der Hamburgerin geht es in diesen Tagen vielen Bundesbürgern. Sie können ihre Ausgaben nicht mehr durch ihre Monatseinnahmen decken, geraten zunehmend tiefer in die Schuldenfalle. "Insgesamt drei bis vier Millionen Haushalte in Deutschland sind überschuldet", heißt es in dem neuen Schuldenreport 2009, der aus einem Bündnis der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Deutschem Roten Kreuz, der Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Diakonie herausgegeben wird. Und die Verbände sind sicher: Die Wirtschaftskrise wird in den nächsten Monaten immer mehr Privathaushalte in die finanzielle Not treiben.

Allein in Hamburg gelten nach einer Schätzung der Verbraucherzentrale 100 000 Haushalte als überschuldet. Fast jeder zehnte Einwohner kann laut Schufa entweder seine Rechnungen nicht bezahlen, Kredite nicht tilgen oder hat bereits Privatinsolvenz angemeldet. "Die Überschuldung wird in den nächsten Monaten in Hamburg weiter zunehmen. Es wird hier noch richtig knallen", ist die Verbraucherschützerin Hjördis Christiansen überzeugt. Auslöser für die Überschuldung seien meistens plötzliche Arbeitslosigkeit, Krankheit sowie Ehescheidungen.

Um den Verbrauchern aus dem Dilemma zu befreien fordern die Sozialverbände die Kreditwirtschaft auf, ein Sofortprogramm für überschuldete Verbraucher aufzulegen. So sollten Banken bei kurzfristigen Engpässen der Kunden auf Verzugszinsen verzichten oder Zahlungsaufschübe gewähren. Kreditraten könnten bei längeren Einkommensausfällen angepasst werden, ohne die Betroffenen durch neue Bearbeitungskosten zu belasten. "Banken in finanzieller Not erhalten milliardenschwere Unterstützung durch Steuergelder, die Kunden stehen dagegen im Regen", kritisierte der Vorstand der Verbraucherzentralen, Gerd Billen. Er sieht deshalb "die Kreditwirtschaft in der Pflicht, überschuldeten Verbrauchern mit Sofortmaßnahmen entgegenzukommen." Zudem appellierten die Verbände an die Banken, endlich die gesunkenen Leitzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) in Form niedrigerer Kreditzinsen an die Verbraucher weiterzugeben. Dies sei nach einer Analyse der Stiftung Warentest zwischen Juni 2008 bis April 2009 nicht geschehen. Während der EZB-Zinssatz von damals 4,0 Prozent auf heute ein Prozent gesunken sei, hätten einige Institute sogar die Dispozinsen erhöht, so der Vorwurf. Die Stiftung Warentest schätzt, dass die Banken durch die Nichtweitergabe 1,3 Milliarden Euro kassiert haben.

Die Verbraucherschützer riefen die Banken zudem zu mehr Verantwortung bei der Kreditvergabe auf. Die Institute müssten die Finanzsituation von Verbrauchern vor der Darlehensvergabe besser prüfen, um einer Überschuldung vorzubeugen. Auch Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) forderte eine bessere Kundenberatung.