Saatgut: Mehr Vitamine, weniger Wasser, besserer Geschmack

Die Tomate nach Maß

| Lesedauer: 9 Minuten
Bob Geisler

Wie der Pharmariese Bayer mithilfe genetischer Analysen in Holland neue Gemüsesorten züchtet.

Nunhem. Das Treibhaus gleicht einem Tomatenurwald. Als wären sie Wunderbohnen aus dem Märchen, ragen Tausende von Pflanzen in die feucht-warme Luft. Besitzer Ad van Rijn (43) wischt sich den Schweiß aus der Stirn, während er langsam die Reihen wie beim Appell abschreitet. "Zum Ernten benutzen wir diese kleine Elektroplattform, sonst ist es einfach zu anstrengend", sagt der Bauer. Er drückt einen Knopf und schon surrt das Gefährt vier Meter in die Höhe, bis fast unters Glasdach, wo die Pflanzen ihre gelben Blüten der Sonne entgegenrecken.

Die van Rijns sind seit drei Generationen "in den Tomaten" wie der schüchterne, ein wenig untersetzte Mann mit holländischem Akzent sagt. Sein Großvater hat den Betrieb gegründet, hier, ein paar Kilometer von Venlo entfernt, unweit der deutsch-niederländischen Grenze. Das Geschäft läuft gut, die Ernte stimmt, doch die Energiekosten steigen und zudem wird die Konkurrenz für die Hollandtomaten immer größer. "Nach den Spaniern bauen jetzt auch schon die Türken Tomaten in großem Stil an", sagt van Rijn.

Deshalb setzt der Bauer große Hoffnungen in ein paar Pflanzen, die mitten zwischen den anderen in einer gesonderten Reihe stehen. Nicht rund und knubbelig wie die übrigen Früchte sind die Tomaten hier, sondern eher eiförmig. Das Besondere erschließt sich allerdings erst beim Aufschneiden. Das Fleisch ist extrem dicht, kaum noch Saft spritzt heraus, einfach deshalb, weil kaum noch welcher enthalten ist.

"Das ist ideal für Firmen, die viele Tomatenscheiben verwenden, für Sandwiches oder Salat zum Beispiel", sagt van Rijn. Erste Proben will er demnächst verkaufen, auch nach Deutschland. Sein Traum wäre es, wenn Burgerketten wie McDonald's auf die Tomate aufmerksam würden, die sich angeblich in bis zu drei Millimeter dünne Scheiben schneiden lässt, ohne dabei auseinanderzufallen.

Das Saatgut für die neue Sorte "Intense" hat van Rijn aus dem beschaulichen Dörfchen Nunhem bekommen, das etwa eine halbe Autostunde von seinem Betrieb entfernt liegt. Das einzige Unternehmen hier heißt wie der Ort: Nunhems. Es residiert in jahrhundertealten, weiß getünchten Gebäuden eines ehemaligen Nonnenklosters. Über den Teich vor dem Haupthaus beugt sich eine mächtige Trauerweide und die Magnolienbäume stehen in voller Blüte.

Doch die ländliche Idylle täuscht, der Natur allein vertraut niemand bei Nunhems. Vielmehr haben sich die Forscher hier schon vor Jahrzehnten der Verbesserung der Schöpfung verschrieben. In den modernen Anbauten des einstigen Klosters befinden sich gentechnische Labors, die der Analyse des Erbguts neuer Gemüsesorten dienen. 1916 gegründet, ist Nunhems einer der größten Saatguthersteller der Welt. Seit 2001 gehört das Unternehmen zum Leverkusener Pharmakonzern Bayer, angegliedert an die Sparte Cropscience, die ihr Geld überwiegend mit Pflanzenschutzmitteln verdient. Der Jahresumsatz der Sparte liegt bei 5,7 Milliarden Euro, der von Nunhems bei vergleichsweise bescheidenen 190 Millionen Euro.

Die Tomate ist für die Niederländer das, was Forschungschef Orlando de Ponti ein "strategisch interessantes Produkt" nennt. Der freundliche, ältere Herr mit den mächtigen, buschigen Augenbrauen hat schon Wassermelonen ohne Kerne gezüchtet und Porree mit doppeltem Ertrag. Die Tomate aber ist im Angebotskatalog von Nunhems derzeit noch unterrepräsentiert. Dabei ist die rote Frucht weltweit das zweitbeliebteste Gemüse hinter der Kartoffel. In Deutschland ist sie gar die Nummer eins: Saucen oder Sandwiches eingerechnet verzehrt jeder Bundesbürger im Jahr 21,7 Kilogramm - Tendenz steigend.

Um das Tomatengeschäft weiter auszubauen, ist den Niederländern Anfang des Jahres ein echter Coup gelungen: Für den Nahrungsmittelkonzern Unilever entwickelt die Bayer-Tochter exklusiv neue Tomatensorten. "Eine solch enge Zusammenarbeit zwischen Züchter und Nahrungsmittelindustrie ist bislang einmalig", sagt de Ponti. Schon in einigen Jahren könnte daher in Knorr-Suppen oder Bertolli-Tomatensaucen das Designergemüse aus Holland stecken.

Was genau Nunhems für Unilever entwickeln soll, darüber schweigt sich Forschungsleiter de Ponti noch aus. "Die neuen Tomatensorten könnten mehr Vitamine oder einen besseren Geschmack enthalten", sagt er. "Es gibt aber auch die Anforderung aus der Industrie, Tomaten mit weniger Wasser zu züchten, um die Kosten bei der Herstellung von Konzentrat zu reduzieren."

Die Methode, mit der neue Gemüsesorten bei Nunhems entstehen, basiert im Kern auf der traditionellen Pflanzenzüchtung, kombiniert diese aber mit einer genauen Analyse des Erbguts. Aus männlichen und weiblichen Zuchtlinien werden sogenannte Hybride hergestellt, die im Gegensatz zu reinerbigen Sorten über eine gesteigerte Leistungsfähigkeit verfügen und genetisch weitgehend identisch sind.

Zehn Jahre kann so eine Züchtung nach wie vor dauern. Bei einigen Gattungen wie den Gurken laufen Mitarbeiter von Blüte zu Blüte und bestäuben jedes Exemplar einzeln. Bei anderen setzen sie die unternehmenseigenen Bienenvölker ein, von denen derzeit gleich mehrere im Dienst von Nunhems stehen.

Die Grundsätze für diese Züchtung basieren noch immer auf den Vererbungsregeln des Augustinermönchs Johann Gregor Mendel aus dem 19. Jahrhundert. Um jedoch bestimmte Merkmale in den Pflanzen aufzuspüren, bedienen sich die Forscher der modernen DNA-Analyse. "Wir können im Erbgut der Tomaten beispielsweise Gene identifizieren, die für die Süße verantwortlich sind oder für die Widerstandsfähigkeit gegenüber einem bestimmten Schädling", sagt die Molekularbiologin Marion van de Wal, die das sogenannte Marker Assisted Breeding leitet.

Ihre Mitarbeiter in den strahlend weißen Labors zerschneiden neu gezüchtete Tomatenpflanzen schon als Setzlinge und extrahieren dann das Erbgut für die Analyse. Statt 500 Pflanzen großzuziehen und nach der Ernte den Nährstoffgehalt zu überprüfen, wird nur noch das verantwortliche Gen gecheckt. "Auf diese Weise können wir viel gezielter auf bestimmte Merkmale hin züchten und sparen mehrere Jahr Zeit", sagt die Biologin.

Direkte gentechnische Eingriffe in das Erbgut der Pflanzen nimmt man bei Nunhems nicht vor. Nicht, weil die Forscher dies nicht könnten, sondern weil die grüne Gentechnik in Europa nach wie vor nicht durchsetzbar ist. "Wir verzichten darauf, weil der europäische Verbraucher das nicht akzeptiert", sagt Forschungsleiter de Ponti.

Außerhalb Europas ist der Mutterkonzern Bayer in dieser Frage allerdings weit weniger zurückhaltend. So haben Tochterunternehmen in den USA und in Kanada gentechnisch veränderten Raps und Baumwolle hergestellt. Beim Raps wurde laut Bayer ein Gen eingefügt, das ein Protein produziert, das wiederum eine Toleranz gegenüber einem bestimmten Pflanzenschutzmittel verursacht.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace entdeckte zudem genmanipulierten Reis von Bayer in deutschen Supermarktregalen, obwohl dieser eigentlich nur zu Testzwecken in den USA angebaut werden sollte. Aus Sicht der Umweltschützer bringt der direkte Eingriff ins Erbgut unter anderem die Gefahr unerwünschter Nebenwirkungen in den Pflanzen mit sich. Auch die Wechselwirkung mit anderen Organismen im Ökosystem könne nicht vorhergesagt werden.

Gegen die Methodik bei Nunhems sei in dieser Hinsicht allerdings nichts einzuwenden, erklärt Greenpeace-Experte Alexander Hissting. "Hier werden die natürlichen Regulationsmechanismen der Pflanzen noch beachtet." Allerdings ist auch die traditionelle Züchtung von Hybriden nicht ganz unproblematisch, weil sie die Abhängigkeit der Bauern gegenüber dem Hersteller erhöht. Hybride verfügen nämlich über eine Art natürlichen Kopierschutz: Versucht ein Bauer, die Saat der Pflanzen in der nächsten Generation wiederzuverwenden, muss er feststellen, dass sich positiven Merkmale auf verschiedene Nachkommen verteilt haben. Die Qualität leidet erheblich.

Die Samen, die Nunhems an Bauern wie Ad van Rijn verkauft, sind hingegen so uniform und qualitativ einheitlich wie nur irgend möglich. In durchsichtigen Plastikröhren werden sie schon über Wochen vorgekeimt, damit alle Pflanzen zum gleichen Zeitpunkt auflaufen und im selben Moment die gleiche Höhe erreichen. Ideal für die vollautomatischen Erntemaschinen großer Agrobetriebe.

Und nicht zuletzt umgibt die Samen schon bei der Auslieferung ein Mantel aus Herbiziden, der sie gegen Pilze oder andere Schädlinge schützt. Knallorange gefärbt sind sie dann. Nicht aus holländischem Nationalstolz, sondern weil Orange die Firmenfarbe von Nunhems ist.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wirtschaft