Der Chef-Prüfer mit Nerven wie Drahtseile

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Barbara Möller

Warentest: Der Stiftung eilt "ein Ruf wie Donnerhall" voraus, der sie Bekannter macht als das Rote Kreuz. Werner Brinkmann, Leiter der Stiftung, wird wegen seiner Tests oft angefeindet. Er nimmt es ruhig - und gewinnt.

Berlin. Für Franz Beckenbauer war er ein "Wichtigtuer". Der Dr. Brinkmann in Berlin solle sich doch lieber weiter mit seinen Staubsaugern beschäftigen, meinte der Bayer herablassend-böse und rückte den vermeintlichen Spielverderber der Nation damit auch noch in die Spießerecke.

Das war im Januar. Und bei der Erinnerung an jene Tage, in denen die Wellen hochgingen, wird Werner Brinkmann heute noch ein bißchen schwummerig. Es sei eine neue Erfahrung gewesen, sagt Deutschlands oberster Warentester rückblickend, "daß jemand eine Kampagne gegen uns entfesseln konnte". Aber weil der Westfale ein besonnener Mann ist, räumt er inzwischen ein, daß es besser gewesen wäre, die Studie zur Sicherheit der Fußball-WM-Stadien nicht auch noch mit der reißerischen Schlagzeile "Viermal die Rote Karte" zu garnieren. Inzwischen findet Brinkmann sogar Verständnis für einen Mann wie Schalke -04-Geschäftsführer Peter Peters, der den Warentestern damals vorwarf, sie hätten mit dem Negativbericht nur die Auflage ihres "test"-Hefts steigern wollen. "Peters hat sich bei mir beklagt: ,Ich habe Ihnen doch alle Türen bei uns aufgemacht!' Und er hatte recht." Brinkmann macht eine kleine Pause. "Das Testergebnis", sagt er dann verhalten lächelnd, "muß die Schalker wie eine kalte Dusche getroffen haben."

Er ist der Sohn eines Oberamtsrats und wirkt selbst wie ein Beamter: dreiteiliger Anzug, unauffällige Krawatte, Hornbrille. Korrekt. Wenn Brinkmann sagt, daß er privat "in Gummilatschen" über die Straße geht, wenn er in der Krummen Lanke schwimmen will, dann staunt man schon. Und wenn er berichtet, daß er beim Fahrradfahren einen Helm trägt - "Das sieht zwar bescheuert aus, aber die Verkäuferin hat mir gesagt: ,So ein Helm steht keinem!'" -, dann muß man lachen.

Irgendwie ist aber anzunehmen, daß sich hinter dieser ausgestellten Harmlosigkeit ein eisenharter Zeitgenosse verbirgt. Jedenfalls ein Mann mit Nerven wie Drahtseile. Es war Werner Brinkmann, der sich sofort mit der Pharmaindustrie anlegte, als er 1995 Alleinvorstand der Stiftung Warentest geworden war. Vier Jahre brauchten seine Tester, um das "Handbuch Medikamente" vorzubereiten - als es 2000 fertig war, flatterten Brinkmann 67 einstweilige Verfügungen ins Haus. "Wir haben alle abgeschmettert", sagt der 59jährige mit glitzernden Augen und nennt die Pharmaindustrie - Uschi Glas hin, Franz Beckenbauer her - "den gefährlichsten Gegner", mit dem er es bisher zu tun gehabt hat. "Uns kann eigentlich keiner stoppen", sagt Brinkmann dann noch und fügt hinzu: "Wenn überhaupt jemand so etwas machen kann, dann wir." Apropos Uschi Glas: Deren Gesichtscreme "Hautnah" bewerteten die Warentester vor zwei Jahren bekanntlich mit einem "Mangelhaft". Das wollte die Schauspielerin nicht auf sich sitzenlassen. ("Da will mich jemand fertigmachen!") Ihr Geschäftspartner, die Herstellerfirma 4 S-Marketing, zog in Hamburg vor den Kadi - und prompt den Kürzeren. Jedenfalls in erster Instanz.

Im Schnitt wird die Stiftung Warentest zehnmal pro Jahr verklagt. Zum Beispiel ging ein Komposthäcksler-Hersteller vor Gericht, weil die Warentester den Verbrauchern erklärt hatten, sie könnten bei der Benutzung des Gerätes zwischen die Messer geraten. Der Hersteller argumentierte empört, sein Geräte entspreche aber der DIN-Norm! "Dann reichen die Bestimmungen eben nicht aus", konterten die Warentester. Und bekamen recht. Der Bundesgerichtshof entschied, die Stiftung dürfe bei ihren Tests nicht nur über die Anforderungen der DIN-Norm hinausgehen, sondern sie sei dazu im Interesse des Verbraucherschutzes "geradezu verpflichtet".

Es gibt die Stiftung Warentest seit 1964. Als sich Ende der fünfziger Jahre herumsprach, daß die Bundesregierung vorhatte, eine unabhängige Institution zu gründen, deren Aufgabe es sein sollte, die Bürger über "objektivierbare Merkmale des Nutz- und Gebrauchswertes sowie der Umweltverträglichkeit" von Waren und Dienstleistungen zu unterrichten, war der Bundesverband der Deutschen Industrie allerdings alles andere als begeistert. Der Verbraucher sei "durch Werbung in ausreichendem Maße unterrichtet", erklärte der BDI damals gekränkt. Jahrzehnte später bekannte die Verbandsspitze: "Die international führende Position der deutschen Haushaltsgeräteindustrie verdanken wir der Stiftung Warentest."

Getestet wird, je nach Produkt und Anforderung, übrigens im In- oder Ausland: Notebooks in Deutschland, Inline-Skates in Florida, Zelte am Himalaya. Was nach den Tests noch funktioniert, landet in einer der Auktionen, die die Stiftung Warentest drei-, viermal pro Jahr in Berlin veranstaltet. Im März kamen Windelpakete und Nordic-Walking-Stöcke unter den Hammer, Fernseher mit LCD-Bildschirmen und Digitalkameras.

Der Stiftung Warentest eile ein Ruf wie Donnerhall voraus, hat mal einer geschrieben. Das ist nicht übertrieben. 96 von 100 erwachsenen Deutschen wissen, was die Stiftung Warentest ist und was sie tut. Und laut Forsa-Umfrage schenken sie ihr mehr Vertrauen als dem Roten Kreuz oder Greenpeace.

Die Stiftung Warentest, die sich bis heute aus dem Verkauf der "test"-Hefte finanziert und einen jährlichen Bundeszuschuß in Höhe von 6,5 Millionen Euro erhält, weil die Zeitschriften anzeigenfrei sind, ist ein Kind des Wirtschaftswunders. In den sechziger Jahren testete sie überwiegend Haushaltsgeräte, in den Siebzigern Unterhaltungselektronik, in den Achtzigern erste Heimcomputer ("Obwohl es ein Hauptziel unseres Tests war herauszufinden, welche Anwendungsgebiete es für einen kleinen Computer geben könnte, sind wir in monatelangen Prüfungen nicht fündig geworden . . .), in den neunziger Jahren wurde die Zeitschrift "Finanztest" gegründet, mit der sich auch der einzige Flop der Stiftung verbindet: 2002 machten die Berliner bei der Berechnung der Riesterrente einen Denkfehler. Mehr als sechzig Qualitätsurteile waren falsch. Werner Brinkmann reagierte sofort: Er entschuldigte sich bei den Versicherern und bei seinen Abonnenten, ließ die Restexemplare an den Kiosken einsammeln, stellte den korrigierten Test kostenlos ins Internet und feuerte den Abteilungsleiter.

Damals mag Brinkmann öfter auf das kleine Holzschild geblickt haben, das so gar nicht zur funktionalen Einrichtung seines Büros am Berliner Lützowplatz paßt und auch nicht besonders schön ist. Dieses Schild, sagt Brinkmann, habe schon hinter dem Schreibtisch seines Vaters gehangen - des bereits erwähnten Oberamtsrats, der am Oberlandesgericht Hamm wirkte. "Nicht aufregen", steht darauf, "tief Luft holen, ruhig atmen."

Werner Brinkmann ist übrigens auch Jurist. Er hat in Münster promoviert. Sein Thema: "Die Verbraucherorganisationen in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Tätigkeit bei der überbetrieblichen technischen Normung". Brinkmann hat in den siebziger Jahren die Abteilung Verwaltung und Recht der Stiftung Warentest geleitet, ging dann zum Deutschlandfunk, stieg 1992 vom Kuratoriums- zum Vorstandsmitglied der Stiftung Warentest auf und war gewissermaßen der natürliche Nachfolger von Roland Hüttenrauch, als der 1994 in Pension ging.

Natürlich testen die 280 Leute, die unter Brinkmanns Führung am Lützowplatz arbeiten, nicht selbst. Sie entwickeln Prüfprogramme, kaufen dafür ein, bestimmen, wer die Tests durchführt, und schreiben auf, was herausgekommen ist. Sie bringen Honighersteller und Bestatter gleichermaßen auf die Palme. Und manchmal sogar elfjährige Jungen. "Mein Sohn", sagt Werner Brinkmann zum Abschied lächelnd, "hat mich gefragt, ob das denn sein mußte mit Schalke 04."

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